VwGH vom 26.08.2010, 2008/21/0310
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Dietmar Endmayr, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Vogelweiderstraße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 203/05, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1953 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1990 in Österreich. Ihm wurden zunächst Wiedereinreisesichtvermerke und in der Folge Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz bzw. Niederlassungsbewilligungen nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG) erteilt. Zuletzt erhielt er am eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck".
Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wels gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG keine Folge.
Die belangte Behörde gab zunächst die erstinstanzlichen Feststellungen wie folgt wieder:
"Wie aus dem Ermittlungsverfahren hervorgegangen ist, sind Sie 1990 nach Österreich zugezogen, sind verheiratet und Vater von 5 Kindern. 2 davon leben in Deutschland, 3 in Österreich, wovon nur mehr das jüngste Kind im Alter von 12 Jahren im gemeinsamen
Haushalt mit Ihrer Gattin in W., ... lebt.
Folgende strafrechtliche Verurteilungen scheinen auf:
1. BG Raab, ZI. U 107/94, Urteil vom , rk. - § 27 Abs. 1 SMG - Geldstrafe von 50 TS zu je ATS 30,-- = ATS 1.500,-- im NEF 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
2. BG Raab, ZI. U 25/98x vom , rk. - § 27 Abs. 1 SMG - Geldstrafe von 70 TS zu ATS 40,-- = ATS 2.800,-- im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
3. LG Wels, ZI. 11 Hv 50/2002w vom , rk. - § 107 Abs. 1 StGB - gefährliche Drohung, Freiheitsstrafe von 3 Monaten bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren
4. LG Wels 15 Hv 130/2003s vom , rk. - § 27 Abs. 1, 1. u. 2. Fall SMG - Geldstrafe von 180 TS zu je EUR 3,-- = EUR 540,-- im NEF 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
Bei der niederschriftlichen Einvernahme von wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass nach den Bestimmungen des § 35 Abs. 3 FrG auch gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, wenn er auch schon länger als 10 Jahre sich im Bundesgebiet aufhält, aber z.B. wegen eines Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt wird.
Es wurde Ihnen auch damals die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht.
5. LG Wels, Zl. 12 Hv 23/05m, Urteil vom , rk. , Verbrechen nach dem SMG § 28 Abs. 2 4. Fall und Abs. 3
1. Fall - Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren.
Das Landesgericht Wels hat Sie für schuldig erkannt, weil Sie im Zeitraum von Sommer 2000 bis Sommer 2004 in W. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer zumindest einfachen großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG), nämlich zumindest 735 g Cannabisprodukte (Wirkstoffgehalt 36,75 g reines THC), gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt haben, indem Sie das Suchtgift gewinnbringend zu einem Grammpreis von EUR 10,-- in den Lokalen 'S.' bzw. 'Cafe W.' an teils unbekannte und teils bekannte Drogenabnehmer verkauften."
Nach auszugsweiser Darstellung der Berufung des Beschwerdeführers und (teilweiser) Wiedergabe der §§ 60, 63 und 66 FPG führte die belangte Behörde unter der Überschrift "Rechtliche Beurteilung" aus:
"Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Zi. 1 ist schon insofern erfüllt, als Sie bereits mehrmals von österreichischen Gerichten rechtskräftig verurteilt wurden. Gegenteiliges wurde auch von Ihnen nicht ausgeführt.
Auch ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da Sie aus einer gerichtlichen Verurteilung keine Lehren gezogen haben. Trotz zahlreicher gerichtlicher Verurteilungen wurden Sie immer wieder straffällig.
Schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiegt, als das gegenläufige private Interesse des Fremden (vgl. Erkenntnis des Zl. 92/18/0475).
Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte, ganz gleich in welcher Form ist schon deshalb dringend geboten, da der immer größer werdende Konsum von Suchtgiften zu verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft und hier wiederum vor allem bei Jugendlichen, führt. Außerdem nimmt die mit dem Genuss von Suchtgiften einhergehende Suchtgiftkriminalität bereits Dimensionen an, die zu einer eklatanten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet auch der EuGH Suchtgifte als 'Geißel der Menschheit'.
In die gleiche Kerbe schlägt auch der OGH (vgl. u.a. Urteil vom , Zl. 12 Os 31, 32/95-8), wenn er ausführt, dass die Suchtgiftkriminalität bereits mit besorgniserregenden Wachstumsraten immer mehr zu einem gesellschaftlichen Destabilisierungsfaktor ausufert, dessen wirksame Bekämpfung gerade aus der Sicht seiner grenzüberschreitenden Intensivierung auf immer größere Schwierigkeiten stößt. Dass die notorischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Belastungen und Risken, die mit Suchtgiftmissbrauch regelmäßig verbunden sind, hinreichend Anlass zu konsequenter Wahrnehmung der verfügbaren Abwehrmöglichkeiten bieten, bedarf ebenso wenig einer weiterreichenden Erörterung wie die Abhängigkeit der präventiven Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen vom Gewicht ihrer Täterbelastung und ihrem Bekanntheitsgrad in potenziellen Täterkreisen.
Schon im Hinblick auf den Schutz der Gesellschaft und hier vor allem wiederum der Jugendlichen, die diesen Gefahren auf Grund ihrer mangelnden Reife vermehrt ausgesetzt sind, ist eine derartige, sicherlich in Ihr Privat- und Familienleben eingreifende, Maßnahme dringend erforderlich.
Der VwGH erkennt in ständiger Judikatur (vgl. neben vielen anderen das Erkenntnis vom , Zl. 94/18/0370), dass die Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten besonders groß ist.
Die Sicherheitsbehörden haben den gesetzlichen Auftrag und die moralische Verpflichtung gegenüber den Staatsbürgern, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Diesbezüglich sind sie verpflichtet, die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip anzuwenden. Können nun, wie in Ihrem Fall, ständig rechtskräftige Bestrafungen und Verurteilungen (die ja letztlich nur als Mahnungen zu einem rechtstreuen Verhalten verstanden werden können - Spezialprävention) einen Fremden nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten und gehen sogar niederschriftliche Ermahnungen ins Leere, so ist die Behörde verpflichtet (gleichermaßen als 'ultima ratio'), auch von der Möglichkeit eines Aufenthaltsverbotes Gebrauch zu machen, zumal es scheint, dass andere Mittel nicht mehr ausreichen, um Sie zur Erhaltung der Rechtsordnung Ihres Gastlandes zu bewegen.
Aus oben angeführten Gründen war auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen, da eine Abstandnahme diesbezüglich die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte.
Hinsichtlich Ihrer persönlichen und familiären Situation war zu beachten, dass Ihnen zweifelsohne eine der Dauer Ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen ist. Insbesondere war zu beachten, dass Sie sich seit 1990 im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten und hier mit Ihrer Familie leben.
Da - unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen - im Hinblick auf die für Ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer zu wiegen scheinen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Ihre Lebenssituation, ist das Aufenthaltsverbot auch zulässig im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG.
Aus oben angeführten Gründen war auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen, da eine Abstandnahme diesbezüglich die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte, insbesondere da das Ihnen vorwerfbare (Fehl )Verhalten (zahlreiche strafbare Handlungen in Österreich) im Verhältnis zu der von Ihnen geltend gemachten Integration (langjähriger Aufenthalt in Österreich mit Ihrer Familie) überwiegt und weder aus der Akte noch aus Ihrer Berufungsschrift besondere Umstände ersehen werden können, die eine Ermessensübung zu Ihren Gunsten begründen würde.
Aufgrund der Art, Schwere und Dauer Ihrer strafbaren Handlungen kann nicht abgeschätzt werden, wann die Gründe, die bei Ihnen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben, wiederum wegfallen werden.
Das Aufenthaltsverbot konnte daher nur auf unbefristete Dauer erlassen werden."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Einleitend ist festzuhalten, dass der belangten Behörde Aktenwidrigkeiten unterlaufen sind. So gab sie schon die erstinstanzlichen Feststellungen über die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers insofern falsch wieder, als gemäß diesen Feststellungen - insofern in Übereinstimmung mit der Aktenlage - das zu 1. angeführte Urteil des Bezirksgerichtes Raab richtig vom (und nicht vom ) datiert und richtig wegen § 83 Abs. 1 StGB (und nicht wegen § 27 Abs. 1 SMG) ergangen ist. Darüber hinaus stammt das zu 3. erwähnte Urteil nach dem in den Verwaltungsakten erliegenden Strafregisterauszug richtig vom und erwuchs richtig am in Rechtskraft; die "Verschiebung" in das Jahr 2003 hat bereits die erstinstanzliche Bundespolizeidirektion Wels vorgenommen, ohne dass dies von der belangten Behörde richtig gestellt worden wäre.
Mit der Beschwerde - und in Anknüpfung an die dargestellten Aktenwidrigkeiten - ist der belangten Behörde weiter anzulasten, dass sie die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderliche Gefährdungsprognose nur rudimentär mit auf den konkreten Fall des Beschwerdeführers bezugnehmenden Ausführungen begründet hat. Zunächst hat sie, durch erkennbaren Verweis auf die erstinstanzlichen Ausführungen, lediglich bezüglich seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung das zugrundeliegende strafbare Verhalten dargestellt. Darüber hinaus hat sie, zumal allein auf Grund der erstinstanzlichen Feststellungen aus dem Juni 2005, aber auch auf dieser Grundlage nur ansatzweise eine individuelle Beurteilung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers vorgenommen (siehe näher zur gebotenen Gefährdungsprognose das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603).
Vor allem aber ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie kommentarlos über die niederlassungsrechtliche Stellung des Beschwerdeführers hinweggegangen ist. Ihm war unbestritten am eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt worden. Diese galt mit Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gemäß § 11 Abs. 2 lit. A Z 1 iVm Abs. 3 Z 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG". Zwar hat die Niederlassungsbehörde nach der Aktenlage infolge des strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers mit - rechtskräftigem - Bescheid vom eine "Rückstufung" nach § 28 Abs. 1 NAG vorgenommen, sodass der Beschwerdeführer bei Erlassung des bekämpften Bescheides nunmehr lediglich über eine befristete "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" verfügte. Jedenfalls während der Gültigkeitsdauer dieses im Zusammenhang mit der "Rückstufung" ausgestellten Aufenthaltstitels war aber - ohne dass es weiterer Überlegungen zum anzuwendenden Gefährdungsmaßstab bedarf - im Grunde des § 61 Z 2 iVm § 54 Abs. 1 Z 1 FPG (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0403) die Verhängung eines auf das selbe strafbare Verhalten gestützten Aufenthaltsverbotes unzulässig. Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb ihr Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
DAAAE-82988