VwGH 22.06.2010, 2006/11/0089
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Hat eine höhere Instanz lediglich eine prozessuale Entscheidung gefällt, so ist sie, wenn es um eine Wiederaufnahme in merito geht, nicht die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Hat sich die Zuständigkeit der Behörden zwischenzeitlich geändert, so ist jene Behörde zur Entscheidung über die beantragte Wiederaufnahme zuständig, die nach der bestehenden neuen Rechtslage zur Entscheidung berufen wäre (vgl. hiezu Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 8. Auflage, Rz 599). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2005/05/0260 E RS 1
(Hier nur der zweite Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2006/11/0127
2006/11/0117
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag.Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerden des Ing. S D in L, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6,
1. gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom , Zl. BMVIT- 170.432/0002-II/ST4/2006 (zur hg. Zl. 2006/11/0089) und 2. gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 503.20-1/2006-6 (zur hg. Zl. 2006/11/0117), jeweils betreffend Übergang der Entscheidungspflicht iA. Wiederaufnahme eines Verfahrens zur Entziehung der Lenkberechtigung, sowie 3. gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 403.20-1/2006-10 (zur hg. Zl. 2006/11/0127), betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens zur Entziehung der Lenkberechtigung
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Murau (BH) vom wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von vier Monaten entzogen (Spruchpunkt 1).
Unter den Spruchpunkten 2 bis 4 des Bescheides vom wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ein Einstellungs- und Verhaltenstraining für alkoholauffällige Kraftfahrer zu absolvieren, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten vorzulegen und die psychologische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische Stellungnahme nachzuweisen.
In der Begründung führte die BH aus, der Beschwerdeführer habe am um 4:35 Uhr ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,83 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft) gelenkt.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark (Landeshauptmann) vom wurde die lediglich gegen die Spruchpunkte 2 bis 4 erhobene Berufung abgewiesen und der erstbehördliche Bescheid bestätigt.
Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde erhoben.
Mit Aktenvermerk vom wurde das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 iVm § 31 Abs. 3 VStG eingestellt. Von dieser Einstellung wurde der Beschwerdeführer schriftlich verständigt.
Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den an die BH gerichteten Antrag, "das Lenkberechtigungsentzugsverfahren wieder aufzunehmen und das Entzugsverfahren in allen Punkten einzustellen." Da die Kraftfahrbehörde an den Ausgang des Verwaltungsstrafverfahrens gebunden sei, liege der Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vor.
Mit Verfügung der BH vom wurde dieser Antrag - erkennbar: lediglich insoweit, als er die Wiederaufnahme des mit Bescheid des Landeshauptmannes vom rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens begehrt - an den Landeshauptmann gemäß § 6 AVG weitergeleitet. Dieser leitete seinerseits den Wiederaufnahmeantrag in diesem Umfang mit Verfügung vom an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (UVS) gemäß § 6 AVG weiter, wo dieser am einlangte.
Mit Schreiben vom an den Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie (Bundesminister) beantragte der Beschwerdeführer den Übergang der Zuständigkeit gemäß § 73 Abs. 2 AVG zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vom auf diesen.
Mit zu hg. Zl. 2006/11/0002 protokollierter Beschwerde machte der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Bundesminister geltend.
Nachdem der Bundesminister mit hg. Berichterverfügung vom gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgefordert worden war, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, wies der Bundesminister mit Bescheid vom den Devolutionsantrag vom wegen Unzuständigkeit zurück.
In der Begründung führte der Bundesminister erkennbar aus, zuständig zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vom sei der UVS. Demzufolge sei der UVS auch zuständig, über den Devolutionsantrag vom zu entscheiden.
Mit hg. Beschluss vom , Zl. 2006/11/0002-5, wurde das Verfahren über die Säumnisbeschwerde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG eingestellt.
Gegen den Bescheid des Bundesministers vom richtet sich die zur hg. Zl. 2006/11/0089 protokollierte Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht darauf verletzt, dass der Bundesminister über den Wiederaufnahmeantrag in der Sache selbst entscheide.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
2. Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den an den UVS gerichteten Antrag, dass gemäß § 73 Abs. 2 AVG die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vom auf diesen übergehe.
Mit Bescheid des UVS vom wurde diesem Devolutionsantrag insoweit Folge gegeben, als er sich im Rahmen des Wiederaufnahmeantrages auf das mit Spruchpunkt 1 des Bescheides der BH vom rechtskräftig abgeschlossene Verfahren bezog (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Devolutionsantrag vom insofern, als er sich im Rahmen des Wiederaufnahmeantrages auf das mit Bescheid des Landeshauptmannes vom rechtskräftig abgeschlossene Verfahren bezog, als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 2006/11/0117 protokollierte Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
3. Mit Bescheid des UVS vom wurde der Wiederaufnahmeantrag vom abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 2006/11/0127 protokollierte Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres rechtlichen, sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und erwogen:
Zu Spruchpunkt I.
1.1. Die im Beschwerdefall maßgebende Bestimmung des § 35 Abs. 1 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 151/2004, lautet:
"Behörden und Organe
Für die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Amtshandlungen ist, sofern darin nichts anderes bestimmt ist, in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese zuständig. Über Berufungen gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörde oder Bundespolizeibehörde entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern."
1.2. Von Interesse ist auch § 35 Abs. 1 FSG in der Stammfassung BGBl. I Nr. 120/1997, der wie folgt lautete:
"Behörden und Organe
Für die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Amtshandlungen ist, sofern darin nichts anderes bestimmt ist, in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, und in zweiter Instanz der Landeshauptmann zuständig."
1.3. Die im Beschwerdefall ebenfalls maßgebenden Bestimmungen des AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 lauten (auszugsweise):
"Zuständigkeit
...
§ 6. (1) Die Behörde hat ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.
...
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
...
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
...
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.
...
Entscheidungspflicht
§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. ...
(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
2.1.1. Hat sich die Zuständigkeit der Behörden - wie im vorliegenden Fall - zwischenzeitlich geändert (nunmehr sind gemäß § 35 Abs. 1 FSG zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörden die UVS und nicht mehr der Landeshauptmann zuständig), so ist jene Behörde zur Entscheidung über die beantragte Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 4 AVG zuständig, die nach der bestehenden neuen Rechtslage zur Entscheidung berufen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 258/71 (VwSlg. 8036/A), und vom , Zl. 2005/05/0260; vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 5592).
2.1.2. Mit am erfolgtem Einlangen des mit Verfügung des Landeshauptmannes vom weitergeleiteten Wiederaufnahmeantrages beim UVS traf diesen die Entscheidungspflicht (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2000/18/0031).
2.1.3. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war somit der UVS zuständig, über den bei ihm eingelangten Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden.
2.1.4. Anders als der Beschwerdeführer meint, ergibt sich im Übrigen weder aus der Berichterverfügung vom noch aus der mit hg. Beschluss vom erfolgten Einstellung des Verfahrens über die zur hg. Zl. 2006/11/0002 protokollierten Säumnisbeschwerde, dass der Bundesminister zuständig gewesen wäre, in der Sache über den Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden.
2.2. Aus den bisherigen Ausführungen folgt bereits, dass der Beschwerdeführer durch die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Zurückweisung des Devolutionsantrages in dem von ihm in der Beschwerde ausschließlich geltend gemachten Recht auf Entscheidung in der Sache über seinen Wiederaufnahmeantrag durch den Bundesminister jedenfalls nicht verletzt wurde, weil der Bundesminister nach dem Gesagten gegenständlich für eine Sachentscheidung nicht zuständig war.
2.3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
3. Aufwandersatz war nicht zuzusprechen, weil die belangte Behörde als obsiegende Partei Aufwandersatz nicht beantragt hat.
Zu Spruchpunkt II.
Gemäß § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines UVS durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil sie von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die belangte Behörde ist in den zweit- und drittangefochtenen Bescheiden nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/11/0233, vom , Zl. 94/11/0231, und , Zl. 96/11/0096).
In den zu den hg. Zlen 2006/11/0117 und 0127 protokollierten Beschwerden werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des § 33a VwGG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung dieser Beschwerden abzulehnen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2010:2006110089.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAE-82987