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VwGH vom 29.04.2011, 2011/02/0063

VwGH vom 29.04.2011, 2011/02/0063

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Ing. H B in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Winkler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 2/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-03/P/50/3349/2010-2, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Übertretungen der StVO 1960 und des KFG 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien und der Bund haben dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von je EUR 663,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Antrag vom begehrte die beschwerdeführende Partei bei der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Favoriten, "Wiedereinsetzung des Verfahrens in den vorigen Stand", weil ihr wegen der lange verstrichenen Zeit zwischen dem Tatzeitpunkt der ihr zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960 und nach dem KFG 1967 am und der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom "die Situation vor Ort nicht mehr gegenwärtig" gewesen sei.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Favoriten, vom wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nicht angegeben, eine Frist oder eine mündlichen Verhandlung versäumt zu haben, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom Berufung. Auf dem Kuvert dieses Schreibens, das den Verwaltungsakten beiliegt, findet sich der Datumsstempel "11.-2.10".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, der erstinstanzliche Bescheid sei laut Zustellnachweis RSa vom Beschwerdeführer am persönlich übernommen worden, wobei er den Erhalt des Schriftstückes mit seiner Unterschrift quittiert habe. Die Rechtsmittelfrist habe daher an diesem Tag begonnen und am geendet. Die Berufung sei - laut Poststempel auf dem Briefumschlag - am , demnach erst nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist zur Post gegeben und somit eingebracht worden. Die Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In der Beschwerde wird u.a. Aktenwidrigkeit eingewendet, weil nicht ersichtlich sei, wie die belangte Behörde zur Ansicht gelange, dass der Beschwerdeführer die von ihm eingebrachte Berufung erst am zu Post gegeben habe. Wie sich aus dem vom Beschwerdeführer (Anm.: im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) vorgelegten Aufgabeschein sowie aus dem Verfahrensakt ergebe, habe der Beschwerdeführer die Berufung fristgerecht am zur Post gegeben.

Dieser Ansicht des Beschwerdeführers kann aufgrund der Aktenlage nicht gefolgt werden, weil sich bei der Berufung lediglich ein Kuvert mit dem deutlich lesbaren Stempel "11.-2.10" befindet, sodass sich für die belangte Behörde hinreichende Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die Berufung erst am zur Post gegeben wurde. Der vom Beschwerdeführer erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte Aufgabeschein konnte der Behörde aus diesem Grund noch nicht bekannt sein. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt daher nicht vor.

Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, die belangte Behörde habe es unterlassen, den für die Erledigung maßgeblichen Sachverhalt amtswegig zu erheben und vollständig zu ermitteln. Dazu wäre sie aber von Amts wegen gemäß § 39 AVG verpflichtet gewesen.

§ 63 Abs. 5 AVG lautet:

"Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung; die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiterzuleiten."

Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die belangte Behörde aus dem Grunde des § 45 Abs. 3 AVG verpflichtet ist, dem Beschwerdeführer eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, unterliegt das zur Frage der Rechtzeitigkeit erstattete Beschwerdevorbringen nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot und der Verwaltungsgerichtshof hat sich damit auseinander zu setzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0374, m.w.N.):

Es kann angesichts des vom Beschwerdeführer im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgelegten Beweismittels (Aufgabeschein der Post, datiert mit ) nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Hinsichtlich der Auferlegung der Aufteilung des Aufwandersatzes zwischen dem Bund und dem Land Wien wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/02/0032 mwN, verwiesen.

Wien, am