VwGH vom 29.09.2011, 2008/21/0236
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der V, vertreten durch Egger und Musey Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Imbergstraße 26, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 146.555/5-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen Weißrusslands, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehemann gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.
Begründend führte sie aus, dass der am gestellte Antrag nach Inkrafttreten des NAG am nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu beurteilen sei. Die Beschwerdeführerin sei zuletzt im Besitz einer bis gültigen Aufenthaltserlaubnis mit dem Aufenthaltszweck "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z 4 FrG" gewesen. Dieser Aufenthaltstitel sei gemäß § 11 Abs. 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) nunmehr als Aufenthalts-Reisevisum (Visum D+C, § 24 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG) und daher nicht als Aufenthaltstitel gemäß dem NAG zu werten. Daraus folge, dass es sich beim Antrag der Beschwerdeführerin vom um keinen Verlängerungsantrag, sondern um einen Erstantrag handle. Bei Erstanträgen sei § 21 NAG zu beachten.
Fest stehe, dass die Beschwerdeführerin sich zum Zeitpunkt der Antragstellung sowie davor und danach im Inland aufgehalten habe. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte sie jedoch ihren Erstantrag im Ausland stellen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen, da sie keine der für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen erfülle. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar.
Als besonders berücksichtigungswürdige Gründe für die Zulassung der Inlandsantragstellung im Sinn des § 74 iVm § 72 NAG habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass sie seit dem mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei. Daraus sei für die belangte Behörde aber nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführerin eine kurzfristige Ausreise aus Österreich zwecks Antragstellung in ihrem Heimatland nicht zugemutet werden könne. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG nicht zugelassen.
Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung "dieser Bestimmung" auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 2007/07-8, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat -
nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich beim Antrag der Beschwerdeführerin um einen Erstantrag gehandelt hat, weil sie noch nie über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG, sondern nur über eine nach Inkrafttreten des NAG gemäß § 11 Abs. 1 Abschnitt B Z 10 NAG-DV als Aufenthalts-Reisevisum nach § 24 FPG geltende Aufenthaltserlaubnis verfügt hat.
Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise im Ausland einzubringen und ist deren Erledigung dort abzuwarten. Dass die Beschwerdeführerin die sie demnach ab dem treffende Verpflichtung, die Entscheidung über den von ihr gestellten Antrag im Ausland abzuwarten, nicht erfüllt hat, ist unstrittig. Es liegt auch keiner der insoweit eine Ausnahme vorsehenden Tatbestände des § 21 Abs. 2 NAG (in der hier anzuwendenden Stammfassung) vor.
Das Recht, die Entscheidung über den Antrag im Inland abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland - einschließlich des hier relevanten Abwartens der Entscheidung über den Antrag im Inland - zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0238).
Die belangte Behörde ist zwar ansatzweise auf die Ehe der Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Staatsbürger eingegangen. Einer näheren Auseinandersetzung mit den vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK relevanten persönlichen und familiären Verhältnissen der Beschwerdeführerin in Österreich hat sie sich allerdings im Hinblick darauf entzogen, dass sie ein weiteres Eingehen darauf ausdrücklich für "entbehrlich" erachtete. Diese Auffassung ist nach dem Gesagten nicht zutreffend. Im Rahmen der geforderten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK hätte sich die belangte Behörde vielmehr mit den näheren Lebensverhältnissen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes und (allenfalls) mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob dem österreichischen Ehemann der Beschwerdeführerin ein Familiennachzug in das Herkunftsland der Beschwerdeführerin möglich und zumutbar ist (vgl. in diesem Sinn auch das die Ausweisung der Beschwerdeführerin betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0183). Es hätte in einer Gesamtbetrachtung auch darauf Bedacht genommen werden müssen, dass der Beschwerdeführerin nach der im Zeitpunkt der Eheschließung und der Antragstellung im Jahr 2005 geltenden Rechtslage als Ehefrau eines Österreichers ein Anspruch auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung und das Recht zur Inlandsantragstellung zugekommen war.
Der angefochtene Bescheid war sohin schon nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass es auf die dem Beschluss vom , Zl. EU 2011/0004 bis 0008, zugrunde liegenden unionsrechtlichen Fragen angekommen wäre.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am