Suchen Hilfe
VwGH vom 24.02.2011, 2008/21/0221

VwGH vom 24.02.2011, 2008/21/0221

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des X, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 316.285/2- III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den am gestellten Antrag des aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG 1997" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der "mit Datum vom zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Gleichzeitig sei gemäß § 8 des Asylgesetzes (1997) festgestellt worden, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seine Heimat "Kosovo - Serbien" zulässig sei. Am habe er die österreichische Staatsbürgerin B. geheiratet und - darauf gestützt - den gegenständlichen Antrag eingebracht.

Der Beschwerdeführer sei im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gewesen. Der Aufenthalt in Österreich als Asylwerber stelle jedoch keinen humanitären Grund dar. Zudem könne der Beschwerdeführer seit der Einreise bzw. der (am selben Tag erfolgten) Stellung des Asylantrages nicht als niedergelassen angesehen werden, weil die Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nur vorläufige Gültigkeit besitze. Es liege daher ein Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor, für den die (inhaltlich dargestellten) Regelungen des § 21 Abs. 1 und 2 NAG zu beachten seien. Der Beschwerdeführer habe den Antrag jedoch im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten.

In ihrer weiteren Begründung stellte die belangte Behörde die Bestimmungen der §§ 72 und 74 NAG näher dar. Es werde festgestellt, dass weder der Antrag noch die Berufung des Beschwerdeführers eine Behauptung humanitärer Gründe enthalte. Ein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt sei nicht gegeben. Dem Beschwerdeführer könne der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der üblichen gesetzlichen Bestimmungen zugemutet werden. Eine Inlandsantragstellung "bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland" werde gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte der Beschwerdeführer "daher (seinen) Antrag im Ausland abwarten müssen". Der Antrag sei somit gemäß § 21 Abs. 1 und 2 NAG abzuweisen.

Da ein Erstantrag vorliege - so argumentierte die belangte Behörde weiter -, brauche nicht darauf eingegangen werden, ob der Beschwerdeführer nach dem - mit außer Kraft getretenen - FrG in Anbetracht seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin den Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland hätte stellen dürfen. Die Ehe mit einer Österreicherin allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar. § 21 Abs. 1 NAG entspreche inhaltlich dem § 6 Abs. 2 AufG sowie § 14 Abs. 2 FrG. Der Gesetzgeber habe "bei Erlassung dieser Bestimmung" auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Ein weiters Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei somit entbehrlich.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1317/07-6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG idF BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Bei dem aus § 21 Abs. 1 Satz 2 NAG abzuleitenden Erfordernis, die Entscheidung über den am (zulässig im Inland) gestellten Antrag mit Inkrafttreten des NAG (am ) im Ausland abzuwarten, handelt es sich nicht um eine bloße Formalvoraussetzung, sondern um eine materielle Voraussetzung für die Bewilligung des angestrebten Aufenthaltstitels. Zutreffend hat die belangte Behörde das vorliegende Anbringen nach den Bestimmungen des NAG beurteilt (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0757, mwN).

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Ansicht der belangten Behörde, er habe entgegen § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG die Erledigung des von ihm gestellten Erstantrages im Bundesgebiet abgewartet. Das Recht, die Entscheidung über die Erteilung des Aufenthaltstitels hier abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die im § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinne dieser Bestimmung auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0458, vom , Zl. 2008/22/0757, und vom , Zl. 2009/22/0046, jeweils mwN).

Die Beschwerde ist somit im Recht, wenn sie meint, dass auch aus Gründen des Art. 8 EMRK die Zulassung einer "Inlandsantragstellung" gemäß § 74 NAG geboten sein kann. Diesbezüglich verweist sie darauf, dass sich der Beschwerdeführer seit im Bundesgebiet aufhalte und seit mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Mit dieser führe er im gemeinsamen Haushalt ein Familienleben und decke seinen Lebensunterhalt dadurch ab, dass er in der von der Ehefrau B. betriebenen Landwirtschaft mitarbeite. Er sei bestens integriert und weder gerichtlich noch verwaltungsbehördlich vorbestraft. Auch trifft es - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - zu, dass die Familiengemeinschaft zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 eine Legalisierung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland zulässig gewesen war (vgl. neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0757).

Damit hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Angesichts des bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nur knapp weniger als fünf Jahre dauernden Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Inland, seiner familiären Bindung zur österreichischen Ehefrau B. (dass die Ehe nur zum Schein eingegangen worden oder nicht mehr aufrecht sei, hat die belangte Behörde nicht festgestellt), der Selbsterhaltungsfähigkeit auf Grund kontinuierlicher Mitarbeit in der Landwirtschaft der Ehegattin und der weiteren Integration im Bundesgebiet ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde zur Bejahung humanitärer Gründe iSd § 72 NAG gelangen könnte (vgl. zu ähnlichen Fallkonstellationen die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom , und , jeweils mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
IAAAE-82836