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VwGH vom 14.04.2011, 2008/21/0218

VwGH vom 14.04.2011, 2008/21/0218

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner, Mag. Christian Schweinzer und Mag. Georg Burger, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. E3/230/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte hier die Gewährung von Asyl. Noch im Oktober 2003 wurde dieser Antrag abgewiesen; das Verfahren über die dagegen erhobene Berufung war bei Erlassung des hier bekämpften Bescheides noch nicht erledigt.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe

"A) Andere gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1) im Jänner 2004 in G den Th. H., den K. Ch. und den S. H., indem er diesen ein zumindest 20 cm langes Brotmesser entgegenhielt und äußerte, er werde sie umbringen, wenn sie ihn noch einmal aufwecken würden, wobei er die Genannten mit dem Tod bedrohte;

2) im Mai 2004 in G den Th. H. und den K. Ch. zumindest mit einer Verletzung am Körper, indem er in aggressivem Ton äußerte, er werde ihre Köpfe auf die Gehsteigkante legen und darauf treten;

C) am in P ein Gut, das ihm anvertraut wurde, nämlich das ihm von I. A. zur Durchführung eines Telefonates kurz überlassene Mobiltelefon Nokia 3650 im Wert von ca. EUR 215,--, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder den Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er das Lokal … verließ und das Mobiltelefon behielt, ohne es dem I. A. zurückzugeben;

D) im Herbst 2004 in G den S. H. durch eine brennende Zigarette eine Brandwunde unter dem Auge versetzt und diesen am Körper verletzt;

in St. Pölten

I) im Zeitraum von Mai 2004 bis Winter 2004/2005 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben, besessen und anderen überlassen,

A) wobei er die Taten gewerbsmäßig beging:

1) 10 Gramm Kokain und ca. 10 Gramm Cannabiskraut durch wiederholte Verkäufe an T. A.,

2) 10 Gramm Kokain und ca. 10 Gramm Cannabiskraut durch wiederholte Verkäufe an J. D.,


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3)
10 Gramm Kokain und 10 Gramm Cannabiskraut an C. H.,
4)
ca. 4 Gramm Kokain in wiederholten Verkäufen an I. A.,
5)
insgesamt ca. 2 Gramm Kokain bei zwei Verkäufen an E. A.,
6)
insgesamt ca. 4 Gramm Kokain und ca. 8 Gramm Cannabiskraut in wiederholten Verkäufen an G. D.,
7)
insgesamt ca. 5 Gramm Kokain und ca. 5 Gramm Cannabiskraut in wiederholten Verkäufen an D. D.,
8)
insgesamt ca. 4 Gramm Heroin und Kokain in wiederholten Verkäufen an I. A.,
9)
insgesamt ca. 1 Gramm Kokain und ca. 20 Gramm Cannabiskraut in wiederholten Verkäufen an J. L.,
10)
insgesamt ca. 8 Gramm Cannabiskraut und eine Kugel Kokain in wiederholten Verkäufen an St. L.,
11)
insgesamt ca. 4 Gramm Kokain und Heroin in wiederholten Verkäufen an A. N.,
12)
insgesamt 3 Gramm Kokain an S. N.,
13)
insgesamt ca. 20 Gramm Heroin und Kokain in wiederholten Verkäufen an bislang unbekannt gebliebene Käufer;
B) wobei er die Taten gewerbsmäßig beging und Minderjährigen den Gebrauch eines Suchtgiftes ermöglichte und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen war
1)
durch den Verkauf von ca. 8 Gramm Heroin und 2 Gramm Kokain sowie geringe Mengen Cannabiskraut in etwa l2 Verkäufen an den am geborenen R. H.,
2)
durch die kostenlose Weitergabe von einer geringen Menge an Kokain an die am geborene B. Sch.;
II) am Th. P. durch Versetzen eines Stoßes gegen den Oberkörper misshandelt, wodurch er stürzte und fahrlässig die Verletzungen des Th. P., nämlich ein Nasenbeinbruch, ein doppelter Jochbeinbruch und eine Prellung im Kiefer eingetreten sind,
III) im Dezember 2004 in P J. D. durch die Äußerung 'Gib mir mein Geld oder ich schieß dir in deinen Kopf', wobei er eine Spielzeugpistole in seiner Hand hielt und auf den Kopf des J. D. richtete, mithin durch gefährliche Drohung, zu einer Handlung, nämlich zur Zahlung eines Geldbetrages, zu nötigen versucht;
IV) im Dezember 2004 J. D. durch die mehrfachen Äußerungen, er werde ihn erschlagen und er werde ihn umbringen, gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen."
Im Hinblick auf diese Straftaten wurde der Beschwerdeführer wegen der wiederholten Begehung des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und (teilweise) Abs. 2 StGB, des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der Vergehen nach § 27 Abs. 2 Z 1 und 2 SMG, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Unter Bezugnahme auf diese Verurteilung und das dieser Verurteilung zugrunde liegende strafbare Verhalten erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 62 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot. Das begründete sie insbesondere mit den vom Beschwerdeführer begangenen Drogendelikten, aus denen sich eine hinreichend schwere Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen, wodurch jedenfalls ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt werde, ergebe. Dass der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung im Dezember 2005 nicht mehr straffällig geworden sei, könne daran nichts ändern. Zwar habe der Beschwerdeführer am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und entstamme der Ehe ein am geborenes Kind. Angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung stehe der Verhängung des Rückkehrverbotes aber auch § 66 Abs. 1 und 2 FPG nicht entgegen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ( Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2).

Hinsichtlich der Gefährdungsprognose ist im vorliegenden Fall allerdings zu beachten, dass der Beschwerdeführer als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin ist. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige wie hier sein (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG. Nach dieser Bestimmung ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Diese Voraussetzungen müssen auch bei der Erlassung eines Rückkehrverbotes erfüllt sein. Dabei kann zwar auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden, es ist allerdings auch auf § 56 Abs. 1 und 2 FPG Bedacht zu nehmen. Letztlich kommt es bei der Gefährdungsprognose in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen immer auf das zugrunde liegende Verhalten an. Es ist dabei somit nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0441).

Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht hat sich die belangte Behörde nicht nur auf die Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers gestützt. Sie hat ihrer Beurteilung vielmehr dessen strafgerichtliches Fehlverhalten zugrunde gelegt und gelangte dabei zutreffend zu dem Ergebnis, dass von ihm - noch immer (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides) - eine maßgebliche Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG ausgehe. Diesbezüglich ist zunächst im Sinn des Vorgesagten darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Begehung der Vergehen nach § 27 Abs. 2 Z 1 und 2 SMG (idF vor der Novellierung dieser Bestimmung durch BGBl. I Nr. 110/2007) den Tatbestand des § 56 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Mit Blick auf die festgestellten Tathandlungen des Beschwerdeführers nach dem SMG ist dann aber besonders zu betonen, dass er gewerbsmäßig handelte und auch nicht davor zurückschreckte, Suchtgift an erst 15-jährige Minderjährige weiterzugeben. Dass er die Tathandlungen auch in Bezug auf Kokain und Heroin beging, fällt ebenso weiter gefahrenerhöhend ins Gewicht, wie der Umstand, dass sich der Tatzeitraum über knapp ein Jahr (von Mai 2004 bis Winter 2004/2005) erstreckte. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der darüber hinaus mehrfach vom Beschwerdeführer an den Tag gelegten Gewaltbereitschaft steht der Annahme einer maßgeblichen Gefährdung auch nicht entgegen, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr über knapp drei Jahre hindurch - gerechnet vom Datum der Entlassung aus der Haft nach Verbüßung des unbedingt verhängten dreimonatigen Strafteils im Dezember 2005 rd. zwei Jahre - wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nämlich in Anbetracht der mehrfach deliktischen Verhaltensweisen des Beschwerdeführers und des längeren Tatzeitraumes noch zu kurz, um (bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt) das Vorliegen einer aktuellen Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG verneinen zu können. Nicht unwesentlich ist dabei, dass der Beschwerdeführer bereits kurz nach seiner Einreise während offenen Asylverfahrens mit seinem strafbaren Verhalten begann.

Die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung wird, anders als er in seiner Beschwerde vermeint, auch nicht durch den bereits erfolgten Haftvollzug obsolet. Wenn der Beschwerdeführer im Übrigen darauf verweist, dass über ihn "bloß" eine teilbedingte Freiheitsstrafe verhängt worden sei, so ist ihm zu entgegnen, dass die im gegebenen Zusammenhang anzustellende Gefährdungsprognose allein aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorzunehmen ist und die Erwägungen des zuständigen Strafgerichts insoweit nicht als ausschlaggebend angesehen werden können (vgl. aus jüngster Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0194).

Ob sich der Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde festgestellt - in einer "angespannten finanziellen Situation" befindet, ist im gegebenen Zusammenhang nicht mehr entscheidungswesentlich. Auf die dazu angestellten Beschwerdeüberlegungen braucht daher nicht näher eingegangen werden.

Nach § 62 Abs. 3 FPG ist bei der Erlassung eines Rückkehrverbotes (u.a.) auf § 66 FPG Bedacht zu nehmen. Demnach ist gemäß § 66 Abs. 1 FPG ein Rückkehrverbot, mit dem in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) darf es nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Entgegen der Beschwerdemeinung ist auch die Beurteilung der belangten Behörde unter den erwähnten Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Nochmals ist insbesondere auf die Suchtgiftdelinquenz des Beschwerdeführers hinzuweisen, was auch nach unionsrechtlichen Maßstäben ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt und an dessen Verhinderung ein sehr großes öffentliches Interesse besteht. Zwar verfügt der Beschwerdeführer angesichts der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und des aus dieser Ehe entstammenden Kindes über massive familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich. Diese Bindungen wurden jedoch zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem der Beschwerdeführer im Hinblick auf die erfolgte strafgerichtliche Verurteilung mit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen rechnen musste. Er konnte daher nur unter der Voraussetzung, ihm werde der Status des Asylberechtigten oder jener des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden, gesichert von einem weiteren Aufenthalt in Österreich ausgehen. Gegebenenfalls würde das Rückkehrverbot ohnehin gemäß § 65 Abs. 2 FPG außer Kraft treten bzw. gemäß § 65 Abs. 3 FPG keine Wirkung entfalten. Unter Miteinbeziehung dieses Umstandes kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers auszugehen habe, nicht als rechtswidrig angesehen werden. Eine aus dem Rückkehrverbot nach allfälliger Erlassung einer Ausweisung resultierende künftige (vorübergehende) Trennung von Ehefrau und Kind und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen sind im öffentlichen Interesse - auch von den genannten Angehörigen - in Kauf zu nehmen.

Nach dem Gesagten haftet dem bekämpften Bescheid keine Rechtswidrigkeit an. Die dagegen erhobene Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
VAAAE-82823