VwGH vom 27.05.2019, Ra 2019/12/0007
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision der W M in G, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Joanneumring 6/2. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 493.33-2847/2017-53, betreffend Versetzung in den zeitlichen Ruhestand gemäß § 141 Abs. 2 Z 1 Stmk. L-DBR (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die am geborene Revisionswerberin stand bis zu ihrer Versetzung in den zeitlichen Ruhestand, welche Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Steiermark. Die Revisionswerberin war zuletzt auf einem Arbeitsplatz der Verwendungsgruppe C als Sachbearbeiterin mit der Eintreibung der festgesetzten Alimente von Kindesvätern tätig; vertretungsweise umfasste ihr Aufgabenbereich auch die "Mündelgeld-Buchhaltung".
2 Mit Bescheid der Dienstbehörde vom wurde die Revisionswerberin gemäß § 141 Abs. 2 Z 1 des Gesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk. L-DBR), LGBl. Nr. 29/2003 idF LGBl. Nr. 151/2014, von Amts wegen mit Ablauf des in den zeitlichen Ruhestand versetzt.
3 Die Behörde stützte ihre Feststellungen betreffend den Gesundheitszustand der Revisionswerberin auf ein Gutachten einer Amtsärztin vom , das sich auf vier weitere im Verlauf von fünf Jahren von dieser erstellte amtsärztliche Gutachten stützte. Zusammenfassend hielt die Behörde fest, dass aufgrund der Vielzahl behandlungsbedürftiger Krankheiten davon auszugehen sei, dass Krankenstände von weit über 35 Tagen pro Jahr anfallen würden; auch die im amtsärztlichen Gutachten vom vorgeschlagene Änderung der Arbeitsplatzsituation habe zu keiner Verringerung der Krankenstandstage geführt habe (2013: 56 Arbeitstage, 2014: 177 Arbeitstage, 2015: 111 Arbeitstage, 2016: 45 Arbeitstage, 2017 bis : 78 Arbeitstage). Eine Zuweisung an eine andere Stelle sei aus näheren Gründen nicht möglich. 4 Gegen diesen Bescheid erhob die anwaltlich vertretene Revisionswerberin Beschwerde, in der sie vorbrachte, aus den amtsärztlichen Gutachten ergebe sich, dass sie ihren Dienst wieder ordnungsgemäß versehen könne; auch im letzten Gutachten vom werde ausgeführt, dass die Revisionswerberin zwischenzeitlich immer wieder ihren Dienst versehen könne. Aus diesem Grund liege keine dauernde Arbeitsunfähigkeit vor. Allein aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit mehrere Krankenstände angefallen seien, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass dies auch in Zukunft so sein werde. Es sei daher der Grund für die einzelnen Krankenstände zu erheben, da es sich um Erkrankungen handle, die keine Folgeerkrankungen nach sich zögen (Grippe, Infektionen); eine Reihe von Krankenständen seien nämlich wegen bereits ausgeheilter Erkrankungen vorgelegen. Die Krankenstände im "Kalenderjahr 2013/2014" seien die Folge eines Arbeitsunfalls und bereits ausgeheilt.
5 Das nach Erlassung der diese Beschwerde abweisenden Beschwerdevorentscheidung mittels Vorlageantrag angerufene Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) wies die Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG in Verbindung mit § 141 Abs. 2 Z 1 Stmk. L-DBR nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das LVwG für nicht zulässig.
6 In der Verhandlung wurden u.a. die amtsärztlichen Gutachten sowie das vom Verwaltungsgericht eingeholte Gutachten eines Sachverständigen für das Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie erörtert.
7 Nach Darstellung des Verfahrensganges und ausführlicher Wiedergabe der Gutachten traf das LVwG folgende Feststellungen:
Die Revisionswerberin habe sich im Beobachtungszeitraum bis an 976 Arbeitstagen im Krankenstand befunden; obwohl mehrere amtsärztliche Gutachten in den Jahren 2010, 2011, 2014 und 2017 von der Dienstfähigkeit der Revisionswerberin ausgegangen seien, seien häufige Krankenstände eingetreten; auch nach einem empfohlenen Arbeitsplatzwechsel hätte sich die Anzahl der Krankenstände gehäuft. Ursache für die Krankenstände seien diverse, zwischenzeitlich immer wieder intensiv behandlungsbedürftige Krankheiten, allen voran den Bewegungs- und Stützapparat sowie die Psyche betreffend. Weiters sei im Mai 2017 ein Asthma bronchiale akut therapiebedürftig geworden. Die degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenksprobleme sowie die depressive Erkrankung mit Somatisierungstendenzen seien nicht nur vorübergehend, sondern ein Dauerzustand. Diese führten auch zu einer erhöhten Infektanfälligkeit sowie chronischen Muskelverspannungen. Eine kontinuierliche Eingliederung in den Arbeitsprozess sei bislang nicht möglich gewesen. Die Krankenstandsdauer werde in Zukunft 35 Tage pro Jahr bei weitem überschreiten. Darüber hinaus finden sich disloziert Feststellungen zum Tätigkeitsprofil der Revisionswerberin sowie zum Nichtvorhandensein eines "Ersatzarbeitsplatzes". 8 Beweiswürdigend verwies das LVwG auf die von der Behörde eingeholten Gutachten der Amtssachverständigen, welche das Gericht aus näher dargestellten Gründen als schlüssig erachtete. Das vom LVwG selbst eingeholte Gutachten eines neuropsychiatrischen Sachverständigen, das von einer Krankenstandsprognose von zwei Wochen ausgehe, stünde nach den Ausführungen des LVwG diesen Gutachten nicht entgegen, da es sich nur auf das Fachgebiet des Sachverständigen beziehe. Die Revisionswerberin habe nicht darlegen können, dass ihre medizinischen Probleme nicht mehr vorhanden seien, da sie den wiederholten Aufforderungen des LVwG, medizinische Befunde zur Abklärung durch einen Sachverständigen vorzulegen, nicht umfassend nachgekommen sei. Die Revisionswerberin habe daher ihre Mitwirkungspflicht verletzt und könne das LVwG daher nicht feststellen, ob die Ursachen der Krankenstände tatsächlich - wie von der Revisionswerberin behauptet - zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung ausgeheilt seien. Die Beiziehung weiterer Sachverständiger sei daher nicht erforderlich gewesen.
9 Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das LVwG zu dem Ergebnis, dass die Revisionswerberin dauernd dienstunfähig sei. Ein Vorgehen nach § 141 Abs. 3 Stmk. L-DBR zur Zuweisung eines mindestens gleichwertigen Arbeitsplatzes sei nicht möglich gewesen.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften verbunden mit dem Antrag geltend gemacht werden, das angefochtene Erkenntnis aus diesen Gründen aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragte. 11 Die Revision erweist sich angesichts des in der Zulässigkeitsbegründung aufgezeigten Widerspruchs zu der unten in Rn. 18-20 wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der dauernden Dienstunfähigkeit als zulässig und auch berechtigt:
12 § 141 des Gesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk. L-DBR), LGBl. Nr. 29/2003 idF LGBl. Nr. 151/2014, lautet wie folgt:
"Versetzung in den zeitlichen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit
(1) Der Beamte/Die Beamtin kann in den zeitlichen Ruhestand versetzt werden, wenn er/sie infolge Krankheit, Unfalls oder Gebrechens dienstunfähig ist, sich jedoch die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit voraussehen lässt.
(2) Der Beamte/Die Beamtin ist in den zeitlichen Ruhestand zu versetzen, wenn er/sie
dauernd dienstunfähig oder
in den Fällen des Abs. 1 ein Jahr vom Dienst abwesend gewesen und dienstunfähig ist, sofern nicht die Voraussetzungen für die Versetzung in den dauernden Ruhestand vorliegen.
(3) Der Beamte/Die Beamtin ist dienstunfähig, wenn er/sie infolge seiner/ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung seine/ihre dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihm/ihr keine mindestens gleichwertige Stelle zugewiesen werden kann, deren Aufgaben er/sie nach seiner/ihrer körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und die ihm/ihr mit Rücksicht auf seine/ihre persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.
(4) Die einjährige Dauer der Abwesenheit vom Dienst wird durch Urlaub, Suspendierung sowie eine ungerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst nicht unterbrochen. Eine dazwischen liegende Dienstleistung ist nur dann als Unterbrechung anzusehen, wenn sie mindestens die halbe Dauer der unmittelbar vorhergegangenen Zeit der Abwesenheit vom Dienst erreicht. In diesem Fall ist das Jahr erst vom Ende dieser Dienstleistung an zu rechnen. Bei einer dazwischen liegenden Dienstleistung von kürzerer Dauer sind bei Berechnung der einjährigen Dauer der Abwesenheit vom Dienst die einzelnen Zeiten der Abwesenheit zusammenzurechnen.
(5) Die Versetzung in den Ruhestand wird mit ordnungsgemäßer Zustellung des Bescheides oder mit dem im Bescheid festgesetzten späteren Tag wirksam. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid hat keine aufschiebende Wirkung. Die vom Beamten/von der Beamtin zuletzt innegehabte Stelle darf bis zur Entscheidung des Landesgerichtes nicht auf Dauer besetzt werden.
(6) Eine Versetzung in den Ruhestand nach Abs. 1 bis 4 ist während einer (vorläufigen) Suspendierung gemäß § 107 nicht zulässig."
13 Strittig ist im Revisionsverfahren, ob die auch in Zukunft zu erwartenden Krankenstände der Revisionswerberin eine dauernde Dienstunfähigkeit begründen können.
14 Die Frage, ob eine dauernde Dienstunfähigkeit vorliegt oder nicht, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Rechtsfrage, die nicht der ärztliche Sachverständige, sondern die Dienstbehörde bzw. in der Folge des Verwaltungsgericht zu beantworten hat. Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist es, an der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes mitzuwirken, indem er in Anwendung seiner Sachkenntnisse Feststellungen über den Gesundheitszustand des Beamten trifft und die Auswirkungen bestimmt, die sich aus festgestellten Leiden oder Gebrechen auf die Erfüllung dienstlicher Aufgaben ergeben. Dabei ist, um eine Beurteilung des Kriteriums "dauernd" zu ermöglichen, auch eine Prognose zu stellen. Die Dienstbehörde bzw. das Verwaltungsgericht hat in der Folge anhand der dem Gutachten zu Grunde gelegten Tatsachen die Schlüssigkeit des Gutachtens kritisch zu prüfen und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen (vgl. z.B. ).
15 Vor diesem Hintergrund kann wohl davon ausgegangen werden, dass die verschiedenen Krankheiten der Revisionswerberin auch in Zukunft zu - gegenüber einem gesunden Beamten - vermehrten Krankenständen führen könnten.
16 Allein aus der Tatsache, dass es aufgrund des Krankheitsbildes der Revisionswerberin in der Zukunft zu vermehrten Krankenständen kommen könnte, kann freilich eine dauernde Dienstunfähigkeit eines Beamten noch nicht abgeleitet werden:
17 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , 2006/12/0135, ausgeführt hat, kann die Dienstbehörde erst dann, wenn der Sachverständige in Anwendung seiner Sachkenntnisse die Auswirkungen bestimmt, die sich aus dem festgestellten Leiden oder Gebrechen auf die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben ergeben, und er eine Prognose über die Zahl, das Ausmaß und die Entwicklung der Krankenstände abgibt, im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung nachvollziehbar darlegen, ob der Beamte auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes in der Lage ist, seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen (vgl. auch ).
18 Bei der Beurteilung der Frage, welches Ausmaß an prognostizierten jährlichen Krankenständen schon für sich genommen eine dauernde Dienstunfähigkeit begründet, ist im öffentlichen Dienstrecht nicht auf das Verhalten von Unternehmern am allgemeinen Arbeitsmarkt abzustellen; vielmehr ist in diesem Zusammenhang auch das Wesen des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses als grundsätzlich lebenslanges vom Prinzip der wechselseitigen Treue beherrschtes Verhältnis zwischen dem Beamten und dem Rechtsträger zu beachten. Vor diesem Hintergrund ist das Ausmaß prognostizierter Krankenstände, welches trotz zwischenzeitiger Perioden von Dienstfähigkeit vorliegen muss, um von einer dauernden Dienstfähigkeit ausgehen zu können, jedenfalls höher anzusetzen als sieben Wochen (vgl. ).
19 Auch prognostizierte Krankenstände im Ausmaß von zwei Monaten reichen für sich allein noch nicht aus, um einen aktuell dienstfähigen Beamten wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen (so , zur Beurteilung einer dauernden Dienstunfähigkeit im Verständnis des § 14 Abs. 1 BDG 1979).
20 Vorliegendenfalls besteht zwar - wie auch nach § 16 BDG 1979 - eine potentielle Reaktivierungsmöglichkeit gemäß § 144 Stmk. L-DBR; das LVwG hat jedoch lediglich festgestellt, dass die "Krankenstandsdauer auch in Zukunft 35 Tage pro Jahr bei weitem überschreiten" werde. Damit wurde aber keine die Entscheidung tragende Feststellung getroffen, mit welchen Krankenständen aufgrund welcher zuordenbaren Krankheit der Revisionswerberin pro Jahr konkret zu rechnen ist, sodass fallbezogen nicht beurteilt werden kann, ob eine dauernde Dienstunfähigkeit vorliegt (siehe zur Prognose über die Zahl, das Ausmaß und die Entwicklung der Krankenstände: ).
21 Indem das LVwG die Erforderlichkeit der aufgezeigten Feststellungen zur Beurteilung der Rechtsfrage verkannte und diese daher nicht traf, belastete es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes infolge sekundärer Feststellungsmängel.
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 24 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019120007.L00 |
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