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VwGH vom 26.06.2013, 2011/01/0251

VwGH vom 26.06.2013, 2011/01/0251

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Pitsch, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA7C-2.0-M1.23-28026/2010- 101, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde 1977 in Gölyazi in der Türkei geboren. Er hält sich seit 2001 im Bundesgebiet auf und heiratete am vor dem Standesamt Niklasdorf die österreichische Staatsbürgerin BS.

Am beantragte er bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem bisherigen (türkischen) Staatsverband erbringt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Der Verleihungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am ausgefolgt.

Im Zuge dieser Verleihung wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich befragt, wobei er (am ) angab und mit seiner Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (der österreichischen Staatsbürgerin) BS nicht aufgelöst sei und er mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die

belangte Behörde wie folgt entschieden:

" Spruch I:

Das gegenständliche Verleihungsverfahren, das zuerst mit Bescheid vom , FA7C-11-1461/2005-26, rechtskräftig mit , zugesichert und mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , FA7C-11-1461/2005-56, rechtskräftig mit , abgeschlossen wurde, mit dem Herrn

H... S..., geboren am in Gölyazi, Türkei, die

österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde wird

wieder aufgenommen

und das Verfahren in den Stand vor der Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft zurückversetzt.

Rechtsgrundlage:

§§ 39 StbG in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG

§ 69 Abs. 1 Z 1 AVG

§§ 4 und 24 StbG

Spruch II:

Das Ansuchen des türkischen Staatsangehörigen, Herr H... S..., geboren am in Gölyazi, Türkei, vom auf

Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird

abgewiesen.

Rechtsgrundlage:

§§ 10 Abs. 1 Z 1, 11a Abs. 1, Abs. 4 Z 1 bis 4 und 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311/1985 i.d.F. BGBl. I Nr. 38/2011 in Verbindung mit § 70 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 (WV) i.d.F. BGBl. I Nr. 111/2010"

Begründend stellte die belangte Behörde den Verfahrensverlauf und Ermittlungsergebnisse durch wortwörtliche Wiedergabe dar. Danach führte sie aus, die wiedergegebenen Rechtsvorschriften habe sie erwogen und ausgehend vom "vorliegenden Sachverhalt" die nachfolgend aufgezählten Angaben geprüft und beurteilt. Demnach ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Verleihung mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen. Das Erfordernis eines gemeinsamen Lebens in einem Haushalt im Verleihungszeitpunkt sei allerdings "strittig". Die Ermittlungsergebnisse würden "darauf hindeuten", dass die Eheleute im Verleihungszeitpunkt nicht in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hätten; die Aussage der geschiedenen Ehegattin (damit gemeint: BS), mit dem Beschwerdeführer eine "Aufenthaltsehe" eingegangen zu sein und dafür Geld erhalten zu haben, sei "unmissverständlich". Allein die Tatsache, dass die Ehe sieben Monate nach der Verleihung geschieden worden sei, "deute darauf hin", dass die Ehe "schon bei der Verleihung defekt war". Dass die Ehepartner sich vielleicht faktisch noch an derselben Adresse aufgehalten hätten, "mache eine intakte Ehe nicht aus". Untermauert werde dies dadurch, dass der Beschwerdeführer drei Monate nach der Scheidung eine türkische Staatsangehörige geehelicht habe. Die (im Vergleich zur Darstellung der geschiedenen Gattin) gegenteiligen Aussagen des Beschwerdeführers würden "wenig glaubwürdig wirken". Aufgrund der Aussagen der BS gelte die "Aufenthaltsehe" für die belangte Behörde "als unumstritten". Der Beschwerdeführer wäre (gemäß § 4 StbG) verpflichtet gewesen, seine persönlichen Lebensumstände bekanntzugeben. Er habe jedoch "wiederholt nachweislich falsche Angaben" in der Absicht gemacht, die Behörde irrezuführen und die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu erschleichen. Nachdem "wesentliche persönliche Lebensumstände" verschwiegen worden seien, stehe fest, dass der Bescheid über die Verleihung der Staatsbürgerschaft aufgrund eines falschen Zeugnisses erlassen worden sei. Bei Kenntnis der wahren Umstände hätte die Behörde zu einer anderen Entscheidung kommen müssen. Es liege somit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG vor (Spruchteil I). Mangels aufrechter Ehe sei der Verleihungsantrag im wiederaufgenommenen Verfahren abzuweisen gewesen, zumal auch kein sonstiger Verleihungstatbestand erfüllt sei (Spruchteil II).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme (Spruchteil I des angefochtenen Bescheides) ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom in der Rechtssache C 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann zwar "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () dies bereits bedenken müssen. Demnach hat sie im Beschwerdefall nicht geprüft, ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 26; siehe auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war Spruchteil I des angefochtenen Bescheides daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (vgl. auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2010/01/0063 und Zl. 2010/01/0031, vom , Zl. 2010/01/0050, vom , Zl. 2011/01/0145, und vom , Zl. 2011/01/0246).

Schon infolge Aufhebung der mit Spruchteil I des angefochtenen Bescheides verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages in Spruchteil II des angefochtenen Bescheides als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem gesamtem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am