VwGH vom 08.10.2020, Ra 2019/11/0191
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des G P in S, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Hauptplatz 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W218 2116317-1/23E, betreffend Feststellung nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom wurde das Verfahren über die Berufung des Revisionswerbers wegen Sonderruhegeld bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsverfahren (einschließlich eines allfälligen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof), ob die Tätigkeit des Revisionswerbers bei der B. GmbH im Zeitraum vom bis dem Art. VII Abs. 2 Z 4 (nach der Begründung: Abs. 4) Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) unterlag, unterbrochen.
2Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, in Bestätigung eines Bescheides der belangten Behörde vom , nach durchgeführter mündlicher Verhandlung festgestellt, dass die Tätigkeit des Revisionswerbers für die B. GmbH im genannten Zeitraum keine Nachtschwerarbeit im Sinne des Art. VII Abs. 4 NSchG gewesen sei.
Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, der Revisionswerber sei seit 1994 bei der B. GmbH als Portier tätig und ab Jänner 1997 zur Betriebsfeuerwehr übernommen und formal (organisatorisch) in diese eingegliedert worden. Im fraglichen Zeitraum bis sei er aber „weiterhin hauptberuflich als Portier tätig gewesen“ und habe im Schichtbetrieb gearbeitet. Er habe pro Kalendermonat mindestens sechs Nachtschichten im Ausmaß von sechs Stunden zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr erbracht.
4Dabei habe er am Beginn seines Schichteinsatzes von 18:00 bis 22:00 Uhr in der Portiersloge gearbeitet und sei danach, als die Portiersloge nicht mehr geöffnet gewesen sei, in die „Feuerwache der Betriebsfeuerwehr“ der B. GmbH gewechselt, wo er „diverse andere Tätigkeiten“, nämlich primär Instandhaltungsarbeiten und Kontrolltätigkeiten, verrichtet habe. Dort habe er auch an „Einsätzen teilgenommen, allerdings nicht in einem überwiegenden Ausmaß, sondern hilfsweise, wenn die Feuerwehr zu unterstützen war“. Im fraglichen Zeitraum habe er so laut den entsprechenden Einsatzberichten an fünf Einsätzen als Einsatzleiter teilgenommen. Von den in diesem Zeitraum während der Anwesenheit des Revisionswerbers im Tag- oder Nachtdienst angefallenen 204 Feuerwehreinsätzen habe der Revisionswerber an 82 Einsätzen „teilgenommen bzw. mitgearbeitet“. Eine „überwiegende Tätigkeit [des Revisionswerbers] als Feuerwehrmann im Sinne einer permanenten Alarmbereitschaft und Arbeitsbereitschaft für Feuerwehreinsätze“ habe nicht festgestellt werden können.
5In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass Arbeitnehmer der Feuerwehr gemäß Art. VII Abs. 4 NSchG dann Nachtschwerarbeit leisten, wenn sie (einerseits) in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr mindestens sechs Stunden Einsätze oder Arbeitsbereitschaft für Einsätze im Schichtdienst leisten und wenn es sich dabei (andererseits) um die „Haupttätigkeit“ der Arbeitnehmer handelt.
6Nicht erfasst seien „Arbeitnehmer, die nur im Einzelfall Feuerwehrtätigkeiten, im Übrigen aber sonstige Arbeiten ausüben“ (Hinweis auf die Erläuterungen zur letztgenannten Bestimmung; nach diesen sei die Bereitschaft in Form von Rufbereitschaft nicht ausreichend).
7Gegenständlich sei die Arbeit des Revisionswerbers daher nicht als Nachtschwerarbeit anzusehen, denn dieser sei „die ganze Zeit während seiner Nachtschicht mit Arbeiten beschäftigt [gewesen] und hatte keinen Bereitschaftsdienst“. Da er nur „fallweise Feuerwehrtätigkeiten ausübte“, sei seine Tätigkeit nicht als Feuerwehrtätigkeit iSd Art. VII Abs. 4 NSchG zu werten gewesen.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10Das Nachtschwerarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 354/1981 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 30/2018 (NSchG), lautet auszugsweise:
„Artikel VII
Nachtarbeit und Nachtschwerarbeit
(1) Nachtarbeit im Sinne dieses Bundesgesetzes leistet ein Arbeitnehmer, der in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens sechs Stunden arbeitet, sofern nicht in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt.
(2) Nachtschwerarbeit leistet ein Arbeitnehmer im Sinne des Abs. 1, der unter einer der folgenden Bedingungen arbeitet:
...
(4) Nachtschwerarbeit leisten auch Arbeitnehmer/innen der Feuerwehr, die in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens sechs Stunden Einsätze oder Arbeitsbereitschaft für Einsätze im Schichtdienst leisten, wenn es sich dabei um die Haupttätigkeit der Arbeitnehmer/innen handelt. Dies gilt abweichend von Abs. 1 auch dann, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt.
(5) Die zuständigen Krankenversicherungsträger haben auf Antrag des Arbeitgebers, des Arbeitnehmers oder des zuständigen Organs der Arbeitnehmerschaft durch Bescheid im Einzelfall die erschwerenden Arbeitsbedingungen im Sinne des Abs. 2 oder 4, einer Verordnung nach Abs. 3 oder eines Kollektivvertrages gemäß Abs. 6 festzustellen. An einem solchen Verfahren hat der Krankenversicherungsträger das zuständige Arbeitsinspektorat zu beteiligen.
...“
11Die Erläuterungen (RV 2000 BlgNR. XXIV. GP, Seite 30) zur NSchG-Novelle BGBl. I Nr. 3/2013, auf welche die gegenständliche Regelung des Artikel VII Abs. 4 NSchG zurückgeht, lauten auszugsweise:
„Mit Art. VII Abs. 4 werden bestimmte Arbeitnehmer/innen der Feuerwehr in den Geltungsbereich des Nachtschwerarbeitsgesetzes aufgenommen. Voraussetzung dafür ist wie nach Abs. 1, dass in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens sechs Stunden gearbeitet wird und dass es sich bei den Einsätzen und der Einsatzbereitschaft um die Haupttätigkeit handelt. Bereitschaft in Form von Rufbereitschaft ist jedoch nicht ausreichend.
Anders als nach Abs. 1 wird für diese Gruppe von Arbeitnehmer/innen das Bestehen von Arbeitsbereitschaft, die ein zentrales Wesensmerkmal der Tätigkeit von Arbeitnehmer/innen der Feuerwehr ist, nicht als Hinderungsgrund für die Anerkennung als Nachtschwerarbeiter/innen normiert.
Zu den besonderen Belastungen dieser Arbeitnehmer/innen zählen Lebensgefahr, Arbeiten unter starker Hitze oder Kälte, gesundheitliche Gefährdung durch Rauch und Chemikalien, Einsatzfahrten mit hoher Geschwindigkeit, sofortige Einsatzbereitschaft auch unmittelbar nach einer Schlafphase mit entsprechender Belastung des Kreislaufs etc. sowie die Tatsache, dass in der Regel die Risiken des Einsatzes im Vorhinein nicht oder nur schwer abschätzbar sind. Insgesamt erscheinen diese Belastungen auch bei Anfall von Arbeitsbereitschaft zumindest für Schichtarbeit so hoch, dass eine Einbeziehung in das NSchG gerechtfertigt ist.
Nicht erfasst werden jedoch jene Arbeitnehmer/innen, die nur im Einsatzfall Feuerwehrtätigkeiten, im Übrigen aber sonstige Arbeiten ausüben.“
12Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzung „Haupttätigkeit“ in Art. VII Abs. 4 NSchG bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, anhand einer Gesamtbetrachtung und Bewertung aller Tätigkeiten eines Arbeitnehmers zu beurteilen sei (diesfalls würde Nachtschwerarbeit nach Ansicht des Revisionswerbers überhaupt nur „hauptberuflich“ tätigen Feuerwehrmännern zuteil) oder ob dabei „jeder belastende Beruf für sich zu prüfen“ sei, gegenständlich also die Tätigkeit des Revisionswerbers tagsüber als Portier und jene in der Nachtzeit als Feuerwehrmann getrennt zu beurteilen seien. Im letztgenannten Fall läge hinsichtlich der Feuerwehrtätigkeit des Revisionswerbers in der Nacht jedenfalls Nachtschwerarbeit vor.
13In den Revisionsgründen wird (u.a.) vorgebracht, es sei völlig unerfindlich, wie das Verwaltungsgericht habe zu dem Ergebnis gelangen können, dass der Revisionswerber während der Nachtschicht keinen Bereitschaftsdienst in der Feuerwehr gehabt habe, wo er doch laut Schichtplan und Zeugenaussagen nach 22:00 Uhr Dienst in der Alarmzentrale versehen habe bzw. (nach den Feststellungen) als Portier nach dem Schließen der Portiersloge um 22:00 Uhr in die Feuerwache gewechselt sei.
14Die Revision ist aus dem von ihr genannten Grund zulässig, sie ist auch begründet:
15Im vorliegenden Fall geht es ausschließlich um die Frage, ob die Beschäftigung des Revisionswerbers im genannten Zeitraum bei der B. GmbH gemäß Art. VII Abs. 4 NSchG als Nachtschwerarbeit einzustufen ist.
16Gemäß Art. VII Abs. 4 NSchG und den zitierten diesbezüglichen Materialien sind von dieser Regelung (bestimmte) „Arbeitnehmer/innen der Feuerwehr“ erfasst. Da der Revisionswerber nach den Feststellungen im fraglichen Zeitraum ausschließlich bei der B. GmbH beschäftigt war (auch die Revision behauptet nichts Gegenteiliges), wo er - unter anderem - Tätigkeiten eines Arbeitnehmers der Feuerwehr zu verrichten hatte, ist die Frage, ob es sich dabei um seine Haupttätigkeit handelte, jedenfalls in einem solchen Fall (eines einzigen Arbeitsverhältnisses) danach zu beurteilen, in welchem Verhältnis die Tätigkeiten für die Feuerwehr zu den anderen Tätigkeiten im Rahmen dieser Beschäftigung standen. Insoweit ist dem Verwaltungsgericht daher nicht entgegen zu treten.
17In den Revisionsgründen wird allerdings zu Recht ins Treffen geführt, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung, ob gegenständlich die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. VII Abs. 4 NSchG erfüllt sind, die Frage des Bereitschaftsdienstes des Revisionswerbers außer Acht gelassen bzw. unzutreffend beurteilt.
18Gemäß Art. VII Abs. 4 NSchG (insbesondere dessen zweiten Satz) sind nämlich auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft sowohl für die Berechnung der sechsstündigen Tätigkeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr als auch für die Frage, ob die Tätigkeit im Rahmen der Feuerwehr als Haupttätigkeit anzusehen ist, zu berücksichtigen.
19Dabei ist dem Verwaltungsgericht zwar zuzugestehen, dass die (bloße) Rufbereitschaft (also die Bereitschaft außerhalb der Arbeitszeit bzw. außerhalb der im Dienstplan vorgesehenen Dienststunden; vgl. dazu § 20a AZG; ebenso § 50 Abs. 3 BDG und § 17b Abs. 3 GehG) nach den Materialien außer Betracht zu bleiben hat.
20Das Verwaltungsgericht ist jedoch in seinen Feststellungen davon ausgegangen, dass der Revisionswerber nach der Beendigung seiner Tätigkeit als Portier um 22:00 Uhr, aber innerhalb seines (nach dem Dienstplan vorgesehenen) Schichtdienstes an zumindest 82 Einsätzen der Feuerwehr, fallweise sogar als Einsatzleiter, teilgenommen hat. Nicht nachvollziehbar erweist sich daher (mangels getroffener Feststellungen, an welchen Einsätzen der Revisionswerber entsprechend den Anordnungen seines Arbeitgebers teilzunehmen hatte), wenn das Verwaltungsgericht gegenständlich die „permanente Alarmbereitschaft“ des Revisionswerbers für Feuerwehreinsätze verneint hat.
21Entscheidend ist nach dem Gesagten auch nicht, ob die Arbeitsbereitschaft des Revisionswerbers (Alarmbereitschaft) „permanent“ gegeben war, sondern in welchem Ausmaß diese Arbeitsbereitschaft im Rahmen der Feuerwehr (fallbezogen also nach 22:00 Uhr) bestand. Dazu hat das Verwaltungsgericht in offensichtlich unrichtiger Beurteilung der Rechtslage keine Feststellungen getroffen und im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Haupttätigkeit des Revisionswerbers lediglich die - tatsächlichen - Feuerwehreinsätze, an denen dieser teilgenommen hat, der Tätigkeit als Portier gegenüber gestellt.
22Da das Verwaltungsgericht somit die Voraussetzungen des Art. VII Abs. 4 NSchG (insbesondere dessen zweiten Satz) verkannt hat, erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig.
23Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
24Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110191.L00 |
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