VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/11/0183
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des I H in Z (Slowakei), vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-2037/002-2018, betreffend Übertretung des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (durch Bestätigung und teilweise Abänderung des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom ) der Revisionswerber als verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher der A. s.r.o. (mit Sitz in der Slowakischen Republik) der Übertretung des § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, BGBl. Nr. 459/1993 in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 44/2016 (AVRAG), schuldig erkannt, weil diese Gesellschaft als Arbeitgeberin im Juli und August 2016 fünf namentlich genannte Arbeitnehmer auf einer in Österreich gelegenen Baustelle als "Monteur" bzw. "Bauhilfsarbeiter" (bzw. in einem Fall als "Leiter/Führer") beschäftigt habe, ohne diesen den nach dem Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe 2016 für "angelernte Arbeiter" (Tatvorwürfe 1. und 2.) bzw. "für Hilfsarbeiter" (Tatvorwürfe 3. bis 5.) zustehenden Bruttostundenlohn zu bezahlen. Der Revisionswerber habe daher, ausgehend von den jeweils genannten tatsächlich geleisteten Bruttostundenlöhnen, Unterentlohnungen der jeweiligen Arbeitnehmer im Ausmaß zwischen 7,34 % und 9,78 % zu verantworten.
Gemäß § 7i Abs. 5 AVRAG wurden über den Revisionswerber fünf Geldstrafen von jeweils EUR 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen jeweils 36 Stunden) verhängt; weiters wurde ihm ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren (10 % der Geldstrafen gemäß § 64 VStG) vorgeschrieben.
Gemäß § 25a VwGG wurde ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision gegen diese Entscheidung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
2 In der Begründung wurde die als erwiesen angesehene Unterentlohnung zusammengefasst damit begründet, der Revisionswerber habe den genannten Arbeitnehmern für die Monate Juli und August 2016 das zum Bruttostundenlohn (der nach dem genannten Kollektivvertrag für angelernte Arbeiter EUR 11,63 und für Hilfsarbeiter EUR 10,45 betrage und - nach dem Spruch insoweit - geleistet wurde) hinzukommende "anteilige Weihnachtsgeld" nicht bezahlt.
3 In der Beweiswürdigung verwies das Verwaltungsgericht auf die am durchgeführte Verhandlung, zu welcher sowohl der Revisionswerber als auch dessen als Zeugen geladene Arbeitnehmer nicht erschienen seien. Der Revisionswerber habe sein Nichterscheinen zur Verhandlung (mit Schreiben vom ) mit seiner Arbeitsunfähigkeit entschuldigt und dazu eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, die eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnose "A41" bescheinige, welche "einer Infektion gleichkommt". Damit habe er die Verhandlungsunfähigkeit nicht nachgewiesen, sodass die Verhandlung in seiner Abwesenheit habe stattfinden können. Nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" habe das Verwaltungsgericht dem Vorbringen des Revisionswerbers aber "vollinhaltlich Glauben geschenkt". 4 Dem Einwand des Revisionswerbers, er habe den Arbeitnehmern im Oktober 2016 eine Prämie für die in Österreich durchgeführten Arbeiten ausbezahlt, entgegnete das Verwaltungsgericht, dass diese Prämie dem Vorwurf der Unterentlohnung nicht entgegen stehe, weil sie, wie die Angaben des Revisionswerbers zeigten, einer Belohnung für außergewöhnliche Leistungen entspreche und keine Nachzahlung des in Österreich verpflichtend auszuzahlenden Weihnachtsentgelts darstelle.
5 Angesichts des Vorliegens einer bloß geringen Unterentlohnung der fünf Arbeitnehmer habe mit der in § 7i Abs. 5 AVRAG vorgesehenen Mindeststrafe das Auslangen gefunden werden können.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht habe gegen das Recht auf Parteiengehör bzw. die Verhandlungspflicht verstoßen, zumal trotz ordnungsgemäßer Entschuldigung des Revisionswerbers von der anberaumten Verhandlung und seines Ersuchens um Terminverlegung dessen Vernehmung unterblieben sei. In der Verhandlung hätte der Revisionswerber darlegen können, dass keine Unterentlohnung, sondern vielmehr eine Überzahlung der Arbeitnehmer erfolgt sei und dass die Einstufung als "angelernte Arbeiter" anstelle von "Hilfsarbeitern" (und damit die Annahme des entsprechenden Mindest-Bruttolohnes) zu Unrecht erfolgt sei.
8 Die in Bezug auf den Tatzeitraum maßgebenden Bestimmungen
des AVRAG lauten auszugsweise:
"Strafbestimmungen
§ 7i. ...
(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für die in § 7g Abs. 1 Z 1 und 2 genannten Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.
...
(6) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass
1. der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und
2. die Unterschreitung des nach Abs. 5 Z 1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder
3. das Verschulden des/der Arbeitgebers/in oder des/der zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 VStG) oder des/der verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt, hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Ebenso ist von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührende Entgelt vor der Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nachweislich leistet und die übrigen Voraussetzungen nach dem ersten Satz vorliegen. In Verwaltungsstrafverfahren nach Abs. 5 ist § 45 Abs. 1 Z 4 und letzter Satz VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen."
9 Das Verwaltungsgericht hat die Verhandlung vom in Abwesenheit des Revisionswerbers durchgeführt (im Verhandlungsprotokoll wird dazu auf § 45 Abs. 2 VwGVG verwiesen).
10 Gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG hindert der Umstand, dass eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses.
11 Nach dem gemäß § 38 VwGVG 2014 iVm § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 19 Abs. 3 AVG hat, wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Das Vorliegen eines der in § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe rechtfertigt das Nichterscheinen des Geladenen. Liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund vor, kann nicht von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden (vgl. etwa , mwN).
12 Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der Revisionswerber nicht durch einen gerechtfertigten Grund vom Erscheinen in der Verhandlung abgehalten gewesen sei, weil in der von ihm vorgelegten ärztlichen Bestätigung (bloß) die Diagnose "A41" genannt sei, die das Verwaltungsgericht (ohne weitere Begründung) gleichbedeutend mit "Infektion" ansah. Die Revision hält dem entgegen, dass die genannte Diagnose eine "Sepsis", also eine lebensbedrohende Krankheit, bezeichne, was sich unschwer durch entsprechende Übersetzungen im Internet bestätigen lasse.
13 Das Verwaltungsgericht hat somit das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes für das Nichterscheinen des Revisionswerbers zur Verhandlung verneint, ohne dies schlüssig zu begründen, sodass nach dem Gesagten die ordnungsgemäße Ladung zur Verhandlung nicht angenommen werden kann.
14 Auf die genannten Ausführungen der Revision zur Relevanz dieses Verfahrensmangels war nicht weiter einzugehen, weil eine grundsätzlich die Verpflichtung zur Verhandlung (unter Teilnahme des Beschuldigten) begründende "strafrechtliche Anklage" im Sinn des Art. 6 EMRK vorlag (vgl. etwa , sowie das bereits zitierte Erkenntnis Ra 2018/08/0007, mwN).
15 Auch das erwähnte Zusatzargument des Verwaltungsgerichts, dem Vorbringen des Revisionswerbers sei "vollinhaltlich Glauben geschenkt" worden, trifft nicht zu und kann das Unterbleiben der Verhandlung in Anwesenheit des Revisionswerbers nicht rechtfertigen. Denn dem Vorbringen der Beschwerde, sämtliche Arbeitnehmer seien keine angelernten Arbeiter, sondern Hilfskräfte gewesen und daher als solche zu entlohnen, wurde nicht vollinhaltlich gefolgt (so wird schon im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses auch auf den Bruttolohn für angelernte Arbeiter abgestellt). Überdies finden sich zur konkreten Tätigkeit der Arbeitnehmer des Revisionswerbers keinerlei Feststellungen, welche deren Einstufung nach ihrer Qualifikation nachvollziehbar machen.
16 Im fortzusetzenden Verfahren wird schließlich eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Einwand des Revisionswerbers, eine Unterentlohnung liege infolge der freiwillig an die Arbeitnehmer geleisteten Prämien nicht vor, unter dem Gesichtspunkt des § 7i Abs. 5 dritter Satz AVRAG zu erfolgen haben.
17 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen (vorrangiger) inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110183.L00 |
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