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VwGH vom 27.07.2007, 2006/10/0040

VwGH vom 27.07.2007, 2006/10/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des WJ in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-MIX/42/2626/2005/9, berichtigt mit Bescheid vom , Zl. UVS-MIX/V/42/4160/2006/1, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Angelegenheit nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. Begründend wurde ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei laut Zustellnachweis (RSb) nach einem ersten Zustellversuch vom beim Postamt 1110 Wien hinterlegt und ab dem zur Abholung bereitgehalten worden. Der mit datierte, verfahrensgegenständliche (Berufungs-)Schriftsatz sei am persönlich beim Magistratischen Bezirksamt für den 11. Bezirk eingebracht worden.

Zum Vorhalt der Verspätung der Berufung vom , zugestellt am , habe der Beschwerdeführer mit Telefax vom eine Stellungnahme abgegeben, in der er im Wesentlichen vorgebracht habe, dass sein Sohn Marcel seit dem krank gewesen sei und er sich deshalb nicht die Zeit habe nehmen können, um beim Magistratischen Bezirksamt die Eingabe zu verfassen. Laut Bezirksamtsleiterin sei es auch nicht möglich, laufend gratis Papier zu erhalten. Da sein rechter Arm erkrankt sei und ihm die Sozialhilfebehörde den entsprechenden Heilmittelbedarf nicht bewillige, könne er die Eingabe wegen der vorhandenen Schmerzen auch nicht mit der Hand schreiben. Der gegenständliche Bescheid sei nicht am hinterlegt und ab dem zur Abholung bereitgehalten worden, vielmehr sei er ihm am zugestellt worden, weshalb auch seine Berufung fristgerecht eingebracht worden sei.

Trotz Wissens um die verspätete Einbringung des verfahrensgegenständlichen Rechtsmittelschriftsatzes habe der Beschwerdeführer sohin nichts vorgebracht, woraus die Abwesenheit von der Abgabestelle während des Zustellvorganges hätte abgeleitet werden können. Es ergäben sich auch keinerlei Hinweise aus dem Akt, aus welchen die Abwesenheit von der Abgabestelle hervorginge. Da zudem der gegenständliche Rückschein als öffentliche Urkunde anzusehen sei, deren Richtigkeit bis zum Beweis des Gegenteils als erwiesen anzusehen sei, sei mangels irgendwelcher Indizien, dass der Berufungswerber während des Zustellvorganges nicht an der gegenständlichen Adresse wohnhaft gewesen sei, folglich von der Richtigkeit der Angaben auf dem Rückschein und vom Vorliegen von Indizien, dass der Beschwerdeführer vor dem Zustellvorgang regelmäßig an der Abgabestelle aufhältig gewesen sei, auszugehen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass ihm der gegenständliche Bescheid erst am zugestellt worden sei, könne nicht gefolgt werden, da laut im Akt erliegendem Rückschein die Sendung am hinterlegt worden sei und gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz die hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt gelte. Vom Berufungswerber sei lediglich lapidar behauptet worden, ihm sei der Bescheid erst am zugestellt worden. Dass er keine Hinterlegungsanzeige in seinem Briefkasten vorgefunden habe, sei nicht behauptet, bzw. Hinweise, woraus die Unwahrheit der Angaben des Postzustellers auf dem Rückschein erahnt werden könnten, seien nicht getätigt worden. Es bestehe daher kein Grund zur Annahme, dass die gegenständlichen Angaben auf dem als öffentliche Urkunde zu qualifizierenden Rückschein tatsachenwidrig vermerkt worden seien. Es sei daher von der Richtigkeit dieser Angabe und dem Umstand, dass der Berufungswerber den Bescheid am beim Postamt ausgehändigt erhalten habe, auszugehen. Daraus folge, dass mit die zweiwöchige Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen und am geendet habe. Der mit datierte Schriftsatz sei jedoch erst am persönlich eingebracht worden. Gemäß § 63 Abs. 5 AVG sei die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen habe. Die vorliegende Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Mit Bescheid vom berichtigte die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid dahin, dass auf Seite 1

vorletzter Absatz die Wortfolge "... erster Zustellversuch vom

beim Postamt ..." durch die Wortfolge "... erster

Zustellversuch vom 15.2.2005 beim Postamt ..." zu ersetzen sei. Gemäß dieser Berichtigung wurde der erstinstanzliche Bescheid daher nach einem ersten Zustellversuch am ab diesem Tag beim Postamt 1110 hinterlegt. Die belangte Behörde führte aus, in der Rubrik "Zustellversuch" sei am Rückschein ein Stempel angebracht worden, welcher bei genauerer Betrachtung eindeutig als zu erkennen sei. Offenkundig im Zuge eines Tipp- oder Ablesefehlers sei irrtümlich an Stelle der Ziffer "5" die Ziffer "3" eingetippt worden. Dieser Bescheid wurde dem anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers am durch Übernahme eines Arbeitnehmers und dem Beschwerdeführer selbst am durch persönliche Übernahme zugestellt.

Gegen den Bescheid vom richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie den Zuspruch des Vorlageaufwandes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Als Rechtswidrigkeit des Inhalts des angefochtenen Bescheides macht der Beschwerdeführer geltend, im Sozialhilferecht gehe es um die Befriedigung fundamentalster Bedürfnisse von Menschen, deshalb betone das WSHG gegenüber dem schon ansonsten im Verwaltungsverfahren von vornherein gegebenen Amtswegigkeitsprinzip und der Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit nochmals zusätzlich die Amtswegigkeit des Verfahrens nach dem WSHG und die Verpflichtung zur materiellen Hilfeleistung, wenn einer Sozialhilfebehörde eine Hilfsbedürftigkeit nur in irgendeiner Weise bekannt werde. Diese Verpflichtung gelte selbstredend auch für die belangte Behörde als Berufungsbehörde; dies nicht nur bei der Überprüfung und beim Eingehen auf die materiell rechtlichen Ansprüche, sondern selbstredend auch bei der Überprüfung der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wird die Unterlassung der zeugenschaftlichen Einvernahme des Zustellorganes und die Nichtdurchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gerügt. Dass entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Angaben des Zustellorganes sehr wohl in Zweifel zu ziehen seien, hätte ein Blick des Organwalters der belangten Behörde in den Kalender ergeben: Der Tag des vom Zusteller angegebenen Zustellversuches, der , sei ein Sonntag gewesen. Es könne als amtsbekannt vorausgesetzt werden, dass durch die österreichische Post an Sonntagen keine Zustellungen durchgeführt würden. Auf Grund somit offenkundig unrichtiger Angaben des Zustellorganes wäre die belangte Behörde von Amts wegen verpflichtet gewesen, dieses in einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung, in der auch dem Beschwerdeführer ein Fragerecht zugestanden wäre, zeugenschaftlich zu vernehmen. Es hätte sich so ergeben (können), dass bezüglich des Datums der Hinterlegung ebenfalls ein Irrtum vorgelegen sei und eine Zustellung an dem vom Beschwerdeführer angegebenen 18. Februar stattgefunden habe. Die belangte Behörde hätte daher das Zustellorgan in einer - auch nach Art. 6 EMRK durchzuführenden - Berufungsverhandlung vernehmen müssen.

Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt. Sie beziehen sich zunächst erkennbar auf die Annahme der Beschwerde, die belangte Behörde hätte von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen müssen, weil ihr hätte auffallen müssen, dass der als Tag des ersten Zustellversuches angegebene ein Sonntag gewesen sei. Letzterem ist jedoch, wie sogleich darzulegen sein wird, im Hinblick auf den Berichtigungsbescheid der Boden entzogen.

Zu den behaupteten Verletzungen von Verfahrensvorschriften ist auszuführen, dass nach dem in Rechtskraft erwachsenen Berichtigungsbescheid der erste (und einzige, Anmerkung des Verwaltungsgerichtshofes) Zustellversuch am 15. Februar 2005 erfolgte. An diesem Tag begann auch die Abholfrist, sodass die hinterlegte Sendung gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz Zustellgesetz als mit diesem Tag als zugestellt gilt. Richtig ist die belangte Behörde daher davon ausgegangen, dass die zweiwöchige Berufungsfrist am endete und die Berufung daher verspätet - am 2. März - eingebracht wurde.

Soweit die Beschwerde daran ansetzt, dass der erste Zustellversuch am 13. Februar 2005 erfolgt sei, wird nicht von dem - durch unbekämpft gebliebenen Berichtigungsbescheid vom - festgestellten Sachverhalt ausgegangen. Im Übrigen ist der Zustellschein eine öffentliche Urkunde, die den Beweis dafür erbringt, dass die Zustellung den Angaben auf dem Zustellschein entsprechend erfolgt ist. Dem Empfänger steht jedoch der Gegenbeweis offen. Dazu bedarf es jedoch konkreter Darlegungen und eines entsprechenden Beweisanbotes dafür (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/15/0027). Die bloße Behauptung (ohne weitere Konkretisierung und ohne Nennung von Beweismitteln), der Bescheid sei dem Beschwerdeführer erst am zugestellt worden, ist nicht als Angebot eines Gegenbeweises anzusehen.

Soweit der Beschwerdeführer die Ansicht vertritt, die belangte Behörde hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, kann darauf verwiesen werden, dass in § 67d Abs. 2 AVG aufgezählt wird, in welchen Fällen eine mündliche Verhandlung entfallen kann. Dies ist nach Z. 1 leg. cit. ua dann der Fall, wenn eine Berufung zurückgewiesen wird. Nach den Gesetzesmaterialien (723 BlgNR, XXI. GP) wurde Abs. 2 des § 67d AVG dahin abgeändert, dass die mündliche Verhandlung entfallen kann, um dem UVS eine differenzierte Handhabung unter Berücksichtigung des Art. 6 EMRK zu ermöglichen, indem die Pflicht zur Unterlassung der Verhandlung durch eine Ermessensregelung ersetzt wurde.

Eine zurückweisende Entscheidung, in der nur darüber abgesprochen wird, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, nicht aber über die Sache selbst, ist aus Sicht des Art. 6 EMRK keine (inhaltliche) Entscheidung "über eine strafrechtliche Anklage" oder "über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen". Die Verfahrensgarantie des "fair hearing" iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt nicht zur Anwendung, wenn einer Entscheidung in der Sache Prozesshindernisse - wie etwa die Versäumung der Rechtsmittelfrist - entgegenstehen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1019/03, mwN). Aus diesen Erwägungen mussten weder der UVS noch der Verwaltungsgerichtshof eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am