VwGH vom 23.07.2021, Ra 2019/11/0163
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M C in P (Slowenien), vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , 1. Zl. KLVwG-2337-2338/11/2016 und 2. Zl. KLVwG-2339-2342/11/2016, jeweils betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Erkenntnis Zl. KLVwG-2337-2338/11/2016 wird in seinem Spruch dahin abgeändert, dass der Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom , VK9-STR-2079/2016, Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des AVRAG gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG eingestellt wird.
Das angefochtene Erkenntnis Zl. KLVwG-2339-2342/11/2016 wird in seinem Spruch dahin abgeändert, dass der Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom , VK9-STR-2080/2016, Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG eingestellt wird.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Nach der Kontrolle einer Baustelle durch die Organe der Finanzpolizei am erließ die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gegen den Revisionswerber, einen slowenischen Staatsangehörigen, als „Arbeitgeber“ einer slowenischen Firma zwei Straferkenntnisse, mit denen dieser jeweils mehrerer Übertretungen des AVRAG für schuldig erkannt wurde.
2Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht die gegen beide Straferkenntnisse gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3Gegen beide Erkenntnisse erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom , E 517/2018-10, E 681/2018-9, die Beschwerde zurückwies und dies im Wesentlichen wie folgt begründete:
„III. Erwägungen
...
3.2. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten ist zur Ausfertigung der angefochtenen Erkenntnisse in deutscher und slowenischer Sprache verpflichtet:
3.3. Gemäß der im Verfassungsrang stehenden Regelung des § 13 Abs. 1 iVm Anlage 2 Pkt. II. C. Z 1 lit. b VolksgruppenG ist die Verwendung der slowenischen Sprache vor Behörden und Dienststellen des Bundes oder Landes mit Sitz in Kärnten zulässig, wenn die Behörde als Rechtsmittelinstanz in einem Verfahren zuständig ist, das in erster Instanz vor einer Behörde geführt wurde, vor der die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu: Die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt/Velikovec, welche die dem Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Straferkenntnisse erlassen hat, hatte gemäß Anlage 2 Pkt. II. B. Z 2 VolksgruppenG die Verwendung (auch) der slowenischen Sprache sicherzustellen.
3.4. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten ist als Rechtsmittelinstanz gemäß Anlage 2 Pkt. II. C. Z 1 lit. b VolksgruppenG in einem Verfahren zuständig gewesen, das vor einer Behörde geführt wurde, vor der die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist (vgl. Kolonovits, Amtssprachen, Diskriminierungsverbot und Minderheitenschutz, ecolex 2014, 701 [704]). Der Beschwerdeführer konnte sich auch nach § 13 Abs. 2 VolksgruppenG im Verkehr mit der Bezirkshauptmannschaft und dem Landesverwaltungsgericht, vor denen gemäß Abs. 1 iVm Anlage 2 Pkt. II. VolksgruppenG die Verwendung der slowenischen Sprache zugelassen ist, dieser Sprache einer Volksgruppe bedienen (vgl. auch , Bickel und Franz; , Rs. C-322/13, Grauel Rüffer).
4. Mangels Zustellung von Ausfertigungen auch in slowenischer Sprache sind die angefochtenen Erkenntnisse als nicht erlassen zu betrachten und die Beschwerden noch nicht erledigt.“
4Am stellte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber die angefochtenen Erkenntnisse in slowenischer und deutscher Sprache zu.
5Mit Beschluss vom , E 1830-1831/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab und trat sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom , E 1830-1831/2019-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seinen Beschluss vom u.a. aus, dass ein Erkenntnis gegenüber einer Partei, die im Verfahren zum Ausdruck bringt, sich der slowenischen Sprache bedienen zu wollen, und der auf Grund (verfassungs-)gesetzlicher Bestimmungen auch ein subjektives öffentliches Recht zukommt, in Verfahren vor Behörden die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zu verwenden, erst mit der Zustellung von Ausfertigungen in beiden Sprachen als erlassen gelte.
6Am brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
7Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8Die Revision erweist sich hinsichtlich des in der Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Verstoßes gegen § 43 Abs. 1 VwGVG als zulässig und begründet.
9§ 43 VwGVG lautet:
„Verjährung
§ 43 (1) Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen.
(2) In die Frist gemäß Abs. 1 werden die Zeiten gemäß § 34 Abs. 2 und § 51 nicht eingerechnet.“
10Die 15-monatige Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG beginnt daher mit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten bei der Behörde zu laufen (vgl. etwa , 0008, mwN).
11Laut Eingangsstempel der belangten Behörde langte die Beschwerde des Revisionswerbers am bei dieser ein, weshalb die 15-monatige Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG - da der auf einen Samstag fiel - am endete (vgl. § 33 Abs. 2 AVG). Die angefochtenen Erkenntnisse wurden dem Rechtsvertreter des Revisionswerbers jedoch erst am in deutscher und slowenischer Sprache zugestellt und erst damit ihm gegenüber erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG bereits abgelaufen. Anhaltspunkte dafür, dass Zeiten zu berücksichtigen gewesen wären, die nach § 43 Abs. 2 VwGVG nicht in die Frist einzurechnen sind, liegen nicht vor. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die (erste) Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom datiert, die 15-monatige Frist jedoch bereits neun Tage davor ablief, sodass die Zeit des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof nicht unter § 43 Abs. 2 iVm. § 34 Abs. 2 VwGVG fällt. Am Fristablauf ändert es auch nichts, dass das Verwaltungsgericht der belangten Behörde die angefochtenen Erkenntnisse in deutscher Sprache bereits am zugestellt hat, weil im vorliegenden Fall nach dem zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofs „die angefochtenen Erkenntnisse als nicht erlassen zu betrachten und die Beschwerden noch nicht erledigt“ waren (, E 681/2018-9).
12Entscheidet das Verwaltungsgericht über ein nach Ablauf der Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG von Gesetzes wegen außer Kraft getretenes verwaltungsbehördliches Straferkenntnis, so belastet es dadurch sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. etwa , mwN).
13Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu.
14Da die Straferkenntnisse im Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Erkenntnisse in deutscher und slowenischer Sprache (sohin im Zeitpunkt ihrer Erlassung) bereits von Gesetzes wegen außer Kraft getreten waren, waren die angefochtenen Erkenntnisse dahin abzuändern, dass die Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG eingestellt werden.
15Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019110163.L00 |
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