VwGH vom 15.12.2011, 2008/21/0157
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der D in V, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 148.295/2-III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1983 geborene Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige. Am heiratete sie den in Österreich niedergelassenen Ö., dem mit Wirksamkeit vom die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.
Am reiste die Beschwerdeführerin auf der Grundlage eines bis gültigen Visums nach Österreich ein. Hier stellte sie dann am einen Asylantrag, der letztlich zweitinstanzlich - mit Eintritt der Rechtskraft am - abgewiesen wurde. Gleichzeitig erging eine Ausweisung der Beschwerdeführerin, die mittlerweile am in V ihre erste Tochter zur Welt gebracht hatte. Am wurde die zweite gemeinsame Tochter der Beschwerdeführerin und des Ö. in V geboren, die kraft Abstammung österreichische Staatsbürgerin ist.
Am hatte die Beschwerdeführerin für sich und ihre erstgeborene Tochter Anträge auf Erteilung je einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" eingebracht, die sie nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Ö. dahingehend modifizierte, dass jeweils ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" begehrt werde. Die erstinstanzliche Behörde wies diese Anträge gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) als unzulässig zurück. Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung der Tochter der Beschwerdeführerin statt und erteilte ihr einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die Dauer von 12 Monaten. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom selben Datum wies sie dagegen die Berufung der Beschwerdeführerin selbst gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 11 Abs. 2 Z 1, 21 Abs. 1, 72 und 74 NAG ab.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 773/07-7, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde begründete den bekämpften Bescheid - auf das Wesentliche zusammengefasst - damit, dass die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet hätte einbringen und die Entscheidung im Ausland hätte abwarten müssen. Es stehe jedoch fest, dass die Beschwerdeführerin den Antrag im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe.
Zwar könne die Behörde - so die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides - gemäß § 74 NAG die "Inlandsantragstellung" von Amts wegen zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt seien, also in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen. Als besonders berücksichtigungswürdige humanitäre Aspekte habe die Beschwerdeführerin "ihre gesamte familiäre Situation" geltend gemacht, der Aktenlage sei jedoch kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt zu entnehmen. Aus diesem Grund lägen die materiellen Voraussetzungen gemäß § 72 NAG nicht vor. Eine "Inlandsantragstellung" bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.
Ausgehend von dieser Begründung und im Hinblick auf die Ehe der Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Staatsbürger gleicht der vorliegende Fall in den wesentlichen Gesichtspunkten jenem, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2008/21/0238, zugrunde lag (vgl. daran anknüpfend auch die Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0105, und vom , Zl. 2008/21/0228). Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen. Auch im vorliegenden Fall ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie - ausgehend von der nicht zu teilenden Ansicht, ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sei auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK entbehrlich - eine der vorliegenden Konstellation gerecht werdende Interessenabwägung unterlassen hat. Zwar ist einzuräumen, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin - wie von der belangten Behörde im Zusammenhang mit der überdies getroffenen Annahme, es sei auch die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht erfüllt, ergänzend ausgeführt wurde - auf eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen hinausläuft. Angesichts dessen, dass die Beschwerdeführerin aber nicht nur Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers, sondern auch Mutter zweier in Österreich geborener Kinder ist, wobei das jüngere, bei Bescheiderlassung noch nicht vier Monate alte Kind gleichfalls die österreichische Staatsbürgerschaft innehat und auch dem 2005 geborenen Kind mit der mit dem gegenständlichen Bescheid unter einem ergangenen Entscheidung der belangten Behörde vom ein Aufenthaltstitel zuerkannt wurde, kommt diesem Umstand jedoch für sich betrachtet nicht schon ausschlaggebende Bedeutung zu. Das gilt auch unter dem Blickwinkel der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG (vgl. dazu sinngemäß das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0476).
Der vorliegende Bescheid ist daher wie in den Fällen der vorgenannten Erkenntnisse mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Dass im gegebenen Zusammenhang von vornherein nur eine Abweisung, nicht aber die - hier spruchgemäß vorgenommene - Zurückweisung des Antrags der Beschwerdeführerin in Betracht gekommen wäre, ist bei diesem Ergebnis nicht mehr von Relevanz.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
TAAAE-82721