VwGH vom 30.04.2009, 2008/21/0141
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Wolfgang Oberhofer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. 2/4033/1/03, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, kam 1981 im Alter von 14 Jahren zu seinen Eltern nach Österreich. Nachdem er bei einer Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck die Begehung einer Reihe von Diebstählen gestanden hatte, verhängte die genannte Behörde über ihn mit Bescheid vom ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. In Befolgung desselben reiste er am in seine Heimat zurück.
Ab 1989 erteilte die Bundespolizeidirektion Innsbruck dem Beschwerdeführer zunächst Wiedereinreisebewilligungen und in der Folge Vollstreckungsaufschübe nach § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes aus 1954. Schließlich hob sie mit Bescheid vom das Aufenthaltsverbot vom auf. Mit Bescheid vom selben Tag erteilte sie dem Beschwerdeführer einen bis gültigen Wiedereinreisesichtvermerk, der zunächst verlängert wurde und dem dann Aufenthaltsbewilligungen nachfolgten.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom wurde gegen den Beschwerdeführer neuerlich ein - auf § 36 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 sowie die §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 gestütztes - unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dem lag strafrechtliches Fehlverhalten des Beschwerdeführers aus den Jahren 1995 und 1996 zu Grunde, und zwar insbesondere die zweimalige Begehung einer Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und die versuchte Begehung eines Einbruchsdiebstahls nach den §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB. Der Beschwerdeführer war deswegen dreimal verurteilt worden, zuletzt (u. a.) wegen des Verbrechens des versuchten Einbruchsdiebstahls zu einer siebenmonatigen teilbedingten Freiheitsstrafe (unbedingter Strafteil zwei Monate).
Am wurde der Beschwerdeführer im Hinblick auf das neuerliche Aufenthaltsverbot abgeschoben. Nachdem seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde ihm jedoch wiederum die Einreise in das Bundesgebiet gestattet.
Mit Erkenntnis vom , Zl. 99/18/0041, wies der Verwaltungsgerichtshof die eben erwähnte Beschwerde gegen das unbefristete Aufenthaltsverbot als unbegründet ab. Noch im Dezember 2003 beantragte der Beschwerdeführer hierauf die Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes, was er im Wesentlichen mit seinem Wohlverhalten seit 1996 und einer Änderung seiner familiären Verhältnisse - seiner Ehefrau und seinen drei Töchtern war im Jahr 2002 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden - begründete.
Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen und im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den genannten Aufhebungsantrag gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab. Sie verwies auf weiteres strafrechtliches Fehlverhalten des Beschwerdeführers, der nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes insgesamt viermal vom Landesgericht Innsbruck rechtskräftig verurteilt worden sei:
Am wegen §§ 127, 83 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen, weil er am dem D.F. einen Bargeldbetrag von ca. S 2.500,-- mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und weil er D.F. vorsätzlich durch Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht am Körper misshandelt und ihn dadurch fahrlässig verletzt habe (Prellung der linken Gesichtshälfte);
am wegen § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten und einer Geldstrafe im Ausmaß von 180 Tagessätzen, weil er am seine Mutter telefonisch gefährlich mit dem Tod bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
am wegen § 297 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten und einer Geldstrafe im Ausmaß von 360 Tagessätzen als Zusatzstrafe nach §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf die vorgenannte Verurteilung, weil er am eine Person des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB wissentlich falsch verdächtigt und sie dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe;
am wegen § 107 Abs. 1 und 2 sowie § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten, weil er seine Ehegattin und zwei seiner Töchter in den Jahren 2004 bis 2006 mehrmals - in näher angeführter Weise - am Körper verletzt und gefährlich bedroht habe.
Im Hinblick auf das dargestellte strafrechtliche Fehlverhalten sei - so die belangte Behörde auf das Wesentlichste zusammengefasst - eine Gefährlichkeitsprognose, nunmehr im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG, weiterhin zu treffen, weil die Verhinderung von Eigentums- und Gewaltdelikten, wozu der Beschwerdeführer neige, ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle. Zwar habe der Beschwerdeführer "sehr beachtliche" persönliche und familiäre Interessen am Verbleib im Bundesgebiet, diesen stünde jedoch die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Auf Grund des Umstandes, dass er trotz der beiden über ihn verhängten Aufenthaltsverbote wieder schwer straffällig geworden sei, sei die Aufrechterhaltung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten und es wögen die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer als die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes. Angesichts seines Gesamtfehlverhaltens sei die mit der Beibehaltung des Aufenthaltsverbotes bewirkte Beeinträchtigung der Lebensführung des Beschwerdeführers und seiner Familie in Kauf zu nehmen. Die kriminelle Energie und die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Sicherheit seien durch die trotz des Aufenthaltsverbotes und trotz strafgerichtlicher Verurteilungen begangenen Straftaten eindrucksvoll belegt. Das Wohlverhalten seit 2006 bzw. seit der Entlassung aus der gerichtlichen Haft am sei angesichts des Vorlebens des Beschwerdeführers zu kurz, um eine Aufhebung des unbefristet erlassenen Aufenthaltsverbotes, das im Hinblick auf die am bestehende Asylwerbereigenschaft des Beschwerdeführers als Rückkehrverbot gelte, zu ermöglichen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Die belangte Behörde hat richtig erkannt, dass das gegen den Beschwerdeführer seinerzeit verhängte Aufenthaltsverbot mit Inkrafttreten des FPG am im Grunde des § 125 Abs. 3 FPG zu einem unbefristeten Rückkehrverbot wurde.
Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei dieser Entscheidung das ihr eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0259). Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) eines Österreichers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG in Betracht kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0432).
Der Beschwerdeführer ist im Zeitraum zwischen 1995 bis 2006 immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde sowohl im Rahmen der Eigentumskriminalität als auch - vor allem - bezüglich Gewaltdelikten rückfällig, und zwar, wie von der belangten Behörde zutreffend erwähnt, ungeachtet des bestehenden Aufenthaltsverbotes und trotz vorangegangener strafgerichtlicher Verurteilungen. Hinzuzufügen ist, dass der Beschwerdeführer auch nach Stellung des Antrages auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes massive Aggressionshandlungen gesetzt hat, die zur letzten Verurteilung durch das Landesgericht Innsbruck zu einer unbedingten siebenmonatigen Freiheitsstrafe führten. Dass diese Tathandlungen im Familienkreis begangen wurden, vermag an der sich daraus abzuleitenden Gefährlichkeit schon im Hinblick auf den einschlägigen Rückfall nichts zu ändern. Auch kann nicht davon die Rede sein, es sei seit Begehung der letzten Tathandlung - am - ein ausreichend langer Zeitraum verstrichen, um der erwähnten Gefährlichkeit des Beschwerdeführers ihre Aktualität abzusprechen, zumal er erst am aus der Haft entlassen wurde. Insgesamt bestehen daher keine Bedenken gegen die behördliche Auffassung, dass beim Beschwerdeführer nunmehr auch die Voraussetzungen für die verschärfte Gefährdungsprognose nach § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG erfüllt sind. Wenn in der Beschwerde in diesem Zusammenhang behauptet wird, die belangte Behörde habe den Begriff "der nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich" fehlbeurteilt, so beruft sie sich erkennbar auf den fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG. Auf diese, im Verhältnis zu den vorangegangenen Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG ein (noch) höheres Maß an Gefährdung fordernde Bestimmung vermag sich der Beschwerdeführer indes nicht zu berufen, weil sie voraussetzt, dass der betreffende Fremde vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte. Das ist hier aber - die belangte Behörde hat zulässigerweise schon das 1995 gesetzte Fehlverhalten des Beschwerdeführers in ihre Beurteilung miteinbezogen und der Beschwerdeführer hatte zu diesem Zeitpunkt unstrittig seinen Hauptwohnsitz noch nicht ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet - nicht der Fall (vgl. zur Bedeutung der Wortfolge "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" im fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0314).
Den Mittelpunkt der Beschwerdeausführungen bildet der Vorwurf, die belangte Behörde habe nur eine unvollständige Interessenabwägung (§ 66 FPG) vorgenommen. Dabei wird allerdings zugestanden, dass der bekämpfte Bescheid "zumindest teilweise auf all die zu Gunsten des Beschwerdeführers ins Treffen zu führenden Argumente (soziale Integration, Privat- und Familienleben in Österreich, etc.) eingeht"; allerdings seien die auch vom Verfassungsgerichtshof festgelegten Kriterien für einen weiteren Verbleib in Österreich im Einklang mit den Entscheidungen des EGMR nicht berücksichtigt worden.
Mit seinem Hinweis auf "vom Verfassungsgerichtshof entwickelte Kriterien für einen weiteren Verbleib in Österreich" bezieht sich der Beschwerdeführer offenkundig auf dessen Erkenntnisse vom , B 328/07 und B 1150/07. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass diese Erkenntnisse Ausweisungen zum Gegenstand hatten, während es im vorliegenden Fall um die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes geht. Auch diesen Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes ist aber - anders als der Beschwerdeführer meint - nicht zu entnehmen, dass die Frage des strafrechtlichen Vorlebens und die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit "in der Gewichtigkeitsskala am unteren Ende" anzusiedeln seien. Vielmehr kommt diesen Gesichtspunkten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sehr wohl gleich entscheidende Bedeutung zu wie jenen, die für einen Verbleib in Österreich sprechen, woran auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nie einen Zweifel gelassen hat (siehe - gleichfalls zu einer Ausweisung - etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0408).
Es trifft zweifelsohne zu, dass der lange Voraufenthalt des Beschwerdeführers und seine familiäre Verankerung in Österreich - diese beiden Gesichtspunkte führt die Beschwerde vor allem ins Treffen - stark zu Gunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht fallen. Letztlich wies die belangte Behörde aber zutreffend darauf hin, dass sein massives und beharrliches strafrechtliches Fehlverhalten und die daraus ableitbare weiterhin gegebene Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG die Aufrechterhaltung der gegenständlichen fremdenpolizeilichen Maßnahme als dringend erforderlich erscheinen lassen und dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen - die im Übrigen Opfer der letzten Straftat waren - die sich daraus ergebenden Auswirkungen in Kauf zu nehmen haben. Auch die Überlegungen zu § 66 FPG vermögen der Beschwerde daher nicht zum Erfolg zu verhelfen, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am