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VwGH vom 29.11.2012, 2011/01/0219

VwGH vom 29.11.2012, 2011/01/0219

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der J S in L, vertreten durch Dr. Harald Pohlhammer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Herrenstraße 29/2. Stock, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. IKD(Stb)-426504/12-2011-Mah/Hs, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin wurde 1981 in Chi?in?u (Moldau) geboren. Sie hielt sich seit im Bundesgebiet auf und heiratete am vor dem Standesamt Tragwein den österreichischen Staatsbürger W S.

Am beantragte sie bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführerin nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen; unter einem wurde die Verleihung gemäß § 17 StbG auf den am geborenen Sohn der Beschwerdeführerin erstreckt. Der Verleihungsbescheid wurde der Beschwerdeführerin am ausgefolgt. Im Zuge der dazu ergangenen Niederschrift gab die Beschwerdeführerin an und bestätigte mit ihrer Unterschrift, dass die Ehe mit (dem österreichischen Staatsbürger) W S aufrecht sei, sie mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt lebe und kein Verfahren auf Ehescheidung anhängig sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die

belangte Behörde wie folgt entschieden:

" Spruchteil A

Das rechtskräftig abgeschlossene Verwaltungsverfahren zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an (die Beschwerdeführerin) wird von amtswegen mit der Wirkung wiederaufgenommen, dass es sich in dem Stadium befindet, in dem es sich vor der Erlassung des Verleihungsbescheides vom (…) befunden hat.

Spruchteil B

Das Ansuchen (der Beschwerdeführerin) vom um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gemäß § 11 a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 124/1998, a b g e w i e s e n. "

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem österreichischen Staatsbürger W S sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Pregarten vom (zu GZ 185/06z) rechtskräftig (zu ergänzen: im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz) geschieden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ausfolgung des Bescheides vom am mit ihrem Ehegatten W S nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, zumal Lezterer bereits zuvor diesen verlassen habe.

Diese Feststellungen würden sich (aufgrund näher dargestellter beweiswürdigender Überlegungen) aus den zeugenschaftlichen Aussagen des ehemaligen Ehegatten W S und den Angaben der Beschwerdeführerin in Verbindung mit den Angaben im Scheidungsantrag ergeben. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe wissentlich Ereignisse verheimlicht und dabei das Ziel verfolgt, die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht zu gefährden. Es liege somit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG vor (Spruchteil A). Mangels aufrechter Ehe sei der Verleihungsantrag im wiederaufgenommenen Verfahren abzuweisen gewesen, zumal auch kein sonstiger Verleihungstatbestand erfüllt sei (Spruchteil B).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme (Spruchteil A des angefochtenen Bescheides) ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom in der Rechtssache C 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann zwar "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () dies bereits bedenken müssen. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 26) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war Spruchteil A des angefochtenen Bescheides daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (vgl. auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2010/01/0063 und Zl. 2010/01/0031, vom , Zl. 2010/01/0050, vom , Zl. 2011/01/0145, und vom , Zl. 2011/01/0246).

Schon infolge Aufhebung der mit Spruchteil A des angefochtenen Bescheides verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages in Spruchteil B des angefochtenen Bescheides als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem gesamtem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Der Schriftsatzaufwand beträgt gemäß § 1 Z. 1 lit. a der genannten Verordnung EUR 1.106,40, sodass das diesbezüglich in der Beschwerde verzeichnete Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am

Fundstelle(n):
BAAAE-82685