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VwGH vom 30.01.2020, Ra 2019/11/0090

VwGH vom 30.01.2020, Ra 2019/11/0090

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Tulln gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-241/001-2019, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung begleitender Maßnahmen (mitbeteiligte Partei: A B in A), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom , der mitbeteiligten Partei zugestellt am , entzog die belangte Behörde (nunmehrige Revisionswerberin) dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für die Klassen AM und B für die Dauer von 15 Monaten und zwei Wochen, gerechnet ab Zustellung des Bescheides (somit bis zum ), wobei sie sich u.a. auf § 25 Abs. 1 und 3 FSG stützte. Unter einem ordnete die belangte Behörde eine Nachschulung innerhalb der Entziehungszeit an und schloss die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid aus. 2 Die belangte Behörde stützte sich auf eine rechtskräftige Bestrafung des Mitbeteiligten nach § 99 Abs. 2e StVO wegen einer qualifizierten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb des Ortsgebietes am und darauf, dass der Mitbeteiligte am ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. 3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom eine Beschwerde.

4 Mit Straferkenntnissen der Landespolizeidirektion Wien vom bzw. vom wurde der Mitbeteiligte jeweils (u.a.) wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges trotz entzogener Lenkberechtigung am bzw. am rechtskräftig bestraft.

5 Nachdem ihm das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich diese beiden Bestrafungen im anhängigen Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der belangten Behörde vom im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht hatte, zog der Mitbeteiligte die Beschwerde gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom zurück. Mit Beschluss vom stellte das Verwaltungsgericht dieses Beschwerdeverfahren infolge Zurückziehung der Beschwerde ein.

6 Mit Bescheid vom "stellte" die belangte Behörde auf Grund von "neuerlichen Anlassfällen fest", dass die Verkehrszuverlässigkeit der mitbeteiligten Partei für die Dauer von weiteren acht Monaten, sohin bis einschließlich , nicht gegeben sei und jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt keine Wiedererteilung der Lenkberechtigung erfolgen dürfe, wobei sie sich u.a. auf § 25 Abs. 1 und 3 FSG stützte. Unter einem wurden eine Nachschulung und die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen innerhalb der Entziehungszeit angeordnet. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde ausgeschlossen. 7 Die belangte Behörde stützte sich darauf, dass der Mitbeteiligte am und am jeweils ein Kraftfahrzeug trotz entzogener Lenkberechtigung gelenkt habe, weshalb die Lenkberechtigung des Revisionswerbers "auf die im Spruch genannte Dauer entzogen werden" müsse.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, behob den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

9 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Vorfälle vom und vom seien vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit des Mitbeteiligten im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der belangten Behörde vom , welches jedoch infolge Zurückziehung der Beschwerde eingestellt worden sei, zu berücksichtigen gewesen. Die belangte Behörde sei daher zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom unzuständig gewesen.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Das FSG lautet (auszugsweise):

"Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

  2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen,

  3. Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. ...

  4. ...

  5. Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. ..."

13 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob Vorfälle, die sich während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens gegen einen Bescheid, mit dem die Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit entzogen wurde, ereignen, über die aber wegen der Zurückziehung der Beschwerde nicht inhaltlich abgesprochen werden konnte, eine weitere Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit ermöglichen.

Sie ist auch begründet.

14 Im vorliegenden Verfahren ist unstrittig, dass die Lenkberechtigung des Mitbeteiligten mit Bescheid der belangten Behörde vom wegen zwei vor Erlassung dieses Bescheides verwirklichter bestimmter Tatsachen wegen Verkehrsunzuverlässigkeit entzogen wurde.

15 Umstritten ist die Frage, ob die Vorfälle vom und vom - diese haben sich nach Erlassung des Bescheides vom , aber vor Zurückziehung der Beschwerde gegen diesen Bescheid ereignet - eine weitere Entziehung der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten (als solche ist die "Feststellung" im angefochtenen Erkenntnis, dass die Verkehrszuverlässigkeit des Mitbeteiligten bis zum nicht gegeben sei und somit bis zu diesem Zeitpunkt keine Wiedererteilung der Lenkberechtigung erfolgen dürfe, zu deuten) wegen Verkehrsunzuverlässigkeit ermöglichen oder ob der weiteren Entziehung, wie das Verwaltungsgericht meint, der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens entgegen steht.

16 Das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern ein einheitliches, als die Behörde bei der Entziehung der Lenkberechtigung sämtliche Erteilungsvoraussetzungen zu beurteilen und in diesem Zusammenhang alle bis zur Bescheiderlassung verwirklichten Umstände zu berücksichtigen hat (; , 2001/11/0064; vgl. auch , mwN).

17 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hatten auch die Berufungsbehörden bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit alle relevanten Vorfälle, und zwar auch die im Zuge eines Entziehungsverfahrens verwirklichten, zu berücksichtigen (, mwN). Dies gilt auch im Entziehungsverfahren nach dem FSG für die Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012. Die Verwaltungsgerichte haben daher nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens verwirklichte Umstände bereits in ihrer Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit zu berücksichtigen.

18 Im Revisionsfall konnte die belangte Behörde bei Erlassung des Bescheides vom die Vorfälle vom und vom zwangsläufig noch nicht berücksichtigen.

19 Das Verwaltungsgericht hat das diesen Bescheid betreffende Beschwerdeverfahren infolge Zurückziehung der Beschwerde mit Beschluss vom gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt. Eine solche Einstellung ist keine Entscheidung über die Beschwerde in der Sache selbst (vgl. ).

20 Das Verwaltungsgericht hat demnach mit der Einstellung des Beschwerdeverfahrens keine Entscheidung über die Beschwerde betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten getroffen, bei der es entsprechend dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens auch die Vorfälle vom und vom zu berücksichtigen gehabt hätte bzw. diese Vorfälle berücksichtigt hat. 21 Die mit Bescheid der belangten Behörde vom erfolgte Entziehung der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten ist durch die Zurückziehung der dagegen erhobenen Beschwerde rechtskräftig geworden (vgl. ). Da sich die Vorfälle vom und vom erst nach Erlassung dieses Entziehungsbescheides ereigneten, konnten diese daher die Grundlage für eine weitere Entziehung der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten wegen Verkehrsunzuverlässigkeit

bilden, ohne dass dies im Widerspruch zum Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahren stünde.

22 Das Verwaltungsgericht ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass die belangte Behörde zur Erlassung des Bescheides vom , mit dem die Lenkberechtigung des Mitbeteiligten auf Grund der Vorfälle vom und vom wegen Verkehrsunzuverlässigkeit entzogen wurde, nicht zuständig war.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110090.L00

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Fundstelle(n):
VAAAE-82661