VwGH vom 27.02.2013, 2011/01/0199
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der D D in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/29A, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 35/IV - D 82/2008, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin wurde 1962 in Serbien geboren. Sie hat (laut Meldebestätigung) seit ihren Hauptwohnsitz in Österreich und heiratete am (vor dem Standesamt W; Zl. X/Y) den österreichische Staatsbürger FOD.
Am beantragte sie die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass sie binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem Staatsverband von Serbien und Montenegro (Entlassungsurkunde, Bestätigung über den Verlust der Staatsangehörigkeit) erbringt.
Im Zuge der Ausfolgung dieses Zusicherungsbescheides am bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift unter anderem, dass die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger FOD nicht aufgelöst sei und sie im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebe.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Im Zuge dieser Verleihung wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich befragt, wobei sie (am ) angab und mit seiner Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (dem österreichischen Staatsbürger) FOD aufrecht sei und sie mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt lebe.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:
"Das mit rechtskräftigem Bescheid vom zu Zl. MA 61/IV - D 665/2005 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, mit welchem Frau DD, geb. M, gesch. P, geboren am in B, Republik Serbien, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gem. § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 1991/51 in der geltenden Fassung in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder aufgenommen und zwar zum Zeitpunkt vor der Zusicherung und vor der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Das Ansuchen der Frau DD vom auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gem. §§ 10 Abs. 1 Z 1 und 11 a StbG abgewiesen."
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem österreichischen Staatsbürger FOD sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes J vom (zu GZ X/Z) im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass die Beschwerdeführerin weder im Zeitpunkt der Ausfolgung des Zusicherungsbescheides () noch im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft () mit dem Ehegatten FOD einen gemeinsamen Haushalt geführt habe; dieser sei - zumal die Eheleute andere Partner kennengelernt hätten und die Ehe schon im Sommer 2004 zerrüttet gewesen sei - spätestens im März oder April 2005 aufgelöst worden.
Diese Feststellungen würden sich (aufgrund näher dargestellter beweiswürdigender Überlegungen) aus den zeugenschaftlichen Aussagen des ehemaligen Ehegatten FOD und seiner Mutter HD ergeben; unterstützt würden diese Aussagen durch die Erhebungen des Erhebungs- und Vollstreckungsdienstes. Die davon abweichenden Angaben der Beschwerdeführerin seien nicht schlüssig. Die als Zeugen vernommenen Nachbarinnen hätten über die Familienverhältnisse keine konkreten Angaben machen können. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, die Beschwerdeführerin habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft durch unrichtige Angaben und das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (betreffend den gemeinsamen Haushalt mit dem österreichischen Staatsbürger und früheren Ehegatten FOD) erschlichen. Das Verleihungsansuchen werde abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin weder die Voraussetzungen des § 11a StbG noch jene des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG und auch nicht jene des § 11a Abs. 4 Z. 1 bis 4 StbG erfülle.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die verfügte Wiederaufnahme ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom in der Rechtssache C 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).
Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () dies bereits bedenken können. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig war.
Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 25) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).
Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid im Umfang der verfügten Wiederaufnahme daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Schon infolge dieser Aufhebung der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages als inhaltlich rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-82645