VwGH vom 30.08.2011, 2008/21/0107
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen
Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-01/25/127/2008- 2, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: P, vertreten durch MMag. Dr. Irmtraud Oraz, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Goldschlagstraße 64/26; weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er über die Festnahme der Mitbeteiligten abspricht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine chinesische Staatsangehörige, reiste im Februar 2005 nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in die VR China gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 für zulässig und wies die Mitbeteiligte gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 in die VR China aus. Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit am in Rechtskraft erwachsenem Bescheid keine Folge.
Am wurde die Mitbeteiligte in 1100 Wien gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) festgenommen. In der Folge ordnete die Bundespolizeidirektion Wien (im Folgenden nur: BPD) noch am selben Tag gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an. Das wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die im Bundesgebiet nach rechtskräftiger Erledigung ihres Asylantrages nicht mehr aufenthaltsberechtigte Mitbeteiligte "ohne Unterstand und ohne gültiges Reisedokument" angetroffen worden sei. Sie sei vollkommen mittellos und besitze "keinerlei" Bargeld. Die Verhängung der Schubhaft "zur Sicherung des bzw. der fremdenpolizeilichen Verfahren" sei notwendig, weil zu befürchten sei, dass sich die Mitbeteiligte "dem weiteren fremdenrechtlichen Verfahren bzw. Maßnahmen" zu entziehen trachten werde, zumal sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Die Anordnung eines gelinderen Mittels komme nicht in Betracht, weil die Mitbeteiligte nicht bereit sei, Österreich freiwillig zu verlassen. Sie gehe hier keiner legalen Beschäftigung nach und habe auch keine familiären Bindungen. Bei ihrer polizeilichen Meldung handle es sich um eine Postabgabestelle und keinen Wohnsitz.
Die Mitbeteiligte erhob gegen ihre Festnahme, die folgende Schubhaftverhängung und die anschließende Anhaltung in Schubhaft Beschwerde nach § 82 FPG. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) dieser Beschwerde vollinhaltlich statt.
Über die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hat dieser nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde sowie nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der Mitbeteiligten erwogen:
1. Die belangte Behörde hat zwar auch die der Verhängung von Schubhaft vorangehende Festnahme der Mitbeteiligten, die diese in ihrer Administrativbeschwerde mit Ausführungen zu den §§ 39 und 40 FPG angefochten hatte, für rechtswidrig erklärt. Die belangte Behörde hat darauf im Zuge ihrer Bescheidbegründung aber nicht Bezug genommen. In diesem Umfang ist der bekämpfte Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2. Was die Schubhaft anlangt, so beruhen die behördlichen Erwägungen zu deren Unrechtmäßigkeit im Wesentlichen darauf, dass die - unstrittig nicht ausreisewillige - Mitbeteiligte im Inland eine ausreichende soziale Verankerung aufweise.
Richtig ist, dass dem Gesichtspunkt einer "sozialen Verankerung in Österreich" im gegebenen Zusammenhang wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0498). Die belangte Behörde hat aber verkannt, dass es für die Beurteilung einer derartigen sozialen Verankerung unerheblich ist, ob - wie im bekämpften Bescheid betont - der (seinerzeitige) Asylantrag der Mitbeteiligten im zeitlichen Naheverhältnis zu ihrer Einreise nach Österreich gestellt worden war. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen, zu § 76 Abs. 2 FPG ergangenen Judikatur auf diesen Aspekt abstellte (so etwa in den von der belangten Behörde angeführten Erkenntnissen vom , Zl. 2006/21/0131, vom , Zlen. 2006/21/0177 und 0178, und vom , Zl. 2006/21/0239), erfolgte das unter dem Gesichtspunkt, ob das Untertauchen eines Fremden in der speziellen Situation eines anhängigen Asylverfahrens zu befürchten sei. Mit der wie hier im Rahmen des § 76 Abs. 1 FPG zu prüfenden "sozialen Verankerung im Inland" hat das aber nichts zu tun. Dabei kommt es vielmehr (u.a.) entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer - legalen - Erwerbstätigkeit oder die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an. All das hat die BPD in ihrer Schubhaftanordnung bei der Mitbeteiligten für nicht gegeben erachtet. Insbesondere ging die BPD davon aus, dass die Mitbeteiligte über keine Unterkunft verfüge und dass es sich bei ihrer polizeilichen Meldung nur um eine Postabgabestelle handle. Das entspricht insofern der Aktenlage, als bezüglich der Mitbeteiligten ab nur eine Obdachlosenmeldung beim Verein "Ute Bock" existierte.
Die belangte Behörde hat sich mit den erwähnten Gesichtspunkten und den dazu getroffenen Feststellungen der BPD, denen die Mitbeteiligte in ihrer Administrativbeschwerde allerdings (teilweise) entgegengetreten ist, nicht näher beschäftigt. Ihr Verweis auf die Existenz einer behördlichen Meldung als solcher (ohne Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Wohnverhältnissen der Mitbeteiligten) und auf den Umstand, dass die Mitbeteiligte vom Verein "Ute Bock" Unterstützung erhalte, reicht aber nicht aus, eine "soziale Verankerung im Inland" zu bejahen. Auch einer nicht mehr aktuellen behördlichen Meldung bei einer "bekannten Person", die von der belangten Behörde noch ergänzend ins Spiel gebracht wird, kommt diesbezüglich keine wesentliche Aussagekraft zu.
Zusammenfassend kann daher auch der Abspruch der belangten Behörde über die Schubhaft der Mitbeteiligten keinen Bestand haben. In diesem Umfang war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am