VwGH vom 16.10.2008, 2006/09/0208

VwGH vom 16.10.2008, 2006/09/0208

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde der C A in Innsbruck, vertreten durch Dr. Josef Kantner, Rechtsanwalt in 6010 Innsbruck, Colingasse 8/I, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Tirol des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGSTi/V/08 114/1405428-702/2006, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom wurde diesem Antrag gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/1980) mit der Begründung keine Folge gegeben, im Ermittlungsverfahren habe sich ergeben, dass der Beschwerdeführerin für die Zeiten vom bis zum , vom bis zum , vom bis zum , vom bis zum eine Aufenthaltserlaubnis "Student" und für die Zeit vom bis zum , vom bis zum und vom bis zum eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 Fremdengesetz mit dem Aufenthaltszweck "Ausbildung" ausgestellt worden seien. Für die erstmalige Einreise nach Österreich sei kein entsprechender Aufenthaltstitel zum Zwecke des Familiennachzuges erteilt worden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in welcher sie im Wesentlichen vorbrachte, legal nach Österreich eingereist zu sein, wo ihr Vater gelebt und gearbeitet habe. Nach dem Beschluss des Assoziationsrates ARB Nr. 1/1980 spiele es keine Rolle, mit welcher Begründung türkische Staatsangehörige nach Österreich einreisten. Obwohl sie eine Aufenthaltserlaubnis "Student" in Österreich gehabt habe, könne sie die Vorteile des Assoziationsratsbeschlusses ARB Nr. 1/1980 dennoch geltend machen, weil ein Studium als Aufenthaltszweck die Absicht zu Familienangehörigen zu ziehen miteinschließe.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde diese Berufung gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/1980 abgewiesen. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges, insbesondere einer Auflistung der der Beschwerdeführerin erteilten Aufenthaltstitel und der von ihr in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen, führte die belangte Behörde unter Berufung auf das (Rechtssache Kadiman), sowie des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 99/09/0103-5 aus, im gegenständlichen Falle habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die Beschwerdeführerin von keiner österreichischen Behörde die Genehmigung erhalten habe, zu ihrem Vater, einem türkischen Wanderarbeitnehmer, zu ziehen, um zum Zwecke der Familienzusammenführung in Österreich ihren Wohnsitz zu begründen. Die Beschwerdeführerin habe vielmehr lediglich die Erlaubnis erhalten, in Österreich als Studentin ihren Aufenthalt zu nehmen. Aus diesem Grunde seien die Voraussetzungen des § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/1980 nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des behördlichen Verfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In Ausführung der Beschwerde macht die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit geltend, aus dem Wortlaut des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/1980 lasse sich nicht ableiten, dass eine Aufenthaltserlaubnis als Student in Österreich die Genehmigung des Zuzuges zu einem im Inland rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen nicht mit umfasse. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde sei für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nicht zwingende Voraussetzung, dass die Beschwerdeführerin einen entsprechenden Aufenthaltstitel mit dem Zwecke des Familiennachzuges vorzuweisen habe. Es genüge auch die Aufenthaltserlaubnis mit dem Aufenthaltszweck "Student/Schüler", welche die Genehmigung des Familiennachzuges beinhalte. Der Vater der Beschwerdeführerin sei türkischer Wanderarbeitnehmer, er habe seinen Wohnsitz in Österreich und sei berufstätig. Die Beschwerdeführerin wohne bei ihm; der Vater sichere ihren Lebensunterhalt.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe sich mit ihren Berufungsbehauptungen nicht auseinandergesetzt, die ihr zur Stellungnahme zu den ergänzenden Ermittlungen eingeräumte Frist von einer Woche sei unangemessen kurz gewesen.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes BGBl. Nr. 218/1975 in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 (AuslBG) lauten:

"§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei- ARB - Nr. 1/80 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

..."

Art. 7 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,


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haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
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haben Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Die belangte Behörde hat - unter Berufung auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/09/0103, - bereits zutreffend darauf verwiesen, dass zur Bewilligung eines Antrages auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses ARB Nr. 1/1980 die Erfüllung dreier Voraussetzungen erforderlich ist, nämlich
1. die Genehmigung des Zuzugs zu einem im Inland rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen (Bezugsperson),
2. dessen Zugehörigkeit zum österreichischen Arbeitsmarkt, und zwar sowohl im Zeitpunkt des Zuzugs als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den vorliegenden Antrag und
3. die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen.
Die Beschwerdeführerin befindet sich seit 1999 legal auf Grund jener im angefochtenen Bescheid aufgelisteten Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums/der Ausbildung in Österreich und erfüllt daher die zeitliche Voraussetzung des oben genannten Punktes 3. Sie leitet das von ihr geltend gemachte Recht auf Feststellung des freien Zugangs zu jeder Art der von ihr gewählten Beschäftigung aus ihrem mehr als fünfjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt in Österreich ab.
Nach Art. 7 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/80 ist - neben der zeitlichen - weitere Voraussetzung für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt, dass es sich bei dem antragstellenden türkischen Staatsangehörigen um einen "Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers" handelt, der "die Genehmigung erhalten" hat, zu diesem "zu ziehen". Diese Voraussetzung erfüllt die Beschwerdeführerin nicht.
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten zog die Beschwerdeführerin bereits ab zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Vater Mehmet, der dem österreichischen Arbeitsmarkt angehört hat (ob dies auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch der Fall war, geht aus den Verwaltungsakten nicht hervor). Damit bestand bereits seit mehr als fünf Jahren ein gemeinsamer Wohnsitz mit dem Vater als Bezugsperson.
Es bleibt die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch die ihr gewährten Aufenthaltstitel auch "die Genehmigung" erhalten hat, zu ihrem Vater zu ziehen.
Der Aufenthaltstitel wurde nach dem (durch Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) per aufgehobenen) Fremdengesetz 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75/1997 entweder als Aufenthaltserlaubnis oder als Niederlassungsbewilligung erteilt. Die Unterscheidung der Aufenthaltstitel ergab sich nach den Erläuterungen aus dem Grundkonzept des Entwurfs, zwischen der Niederlassung auf Dauer (zur Begründung eines Lebensmittelpunktes) und der vorübergehenden Niederlassung zu unterscheiden. Bei von vornherein vorübergehender Niederlassung, wie etwa für Schüler und Studenten gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG, wurde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die - wenn keine der Versagungsgründe der §§ 10 und 12 FrG vorlagen - ohne weitere Voraussetzungen zu erteilen war.
Niederlassungsbewilligungen hingegen unterlagen - sofern nicht die Ausnahmen des § 19 Abs. 2 FrG vorlagen und auch kein Antrag gemäß § 20 leg. cit. vorlag - einer Quotenpflicht (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/09/0005 und vom , Zl. 2004/18/0143). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass in der der Beschwerdeführerin erteilten Aufenthaltserlaubnis bereits die in Art. 7 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 geforderte Genehmigung, zu ihrem Vater zu ziehen, im Sinne einer auf Dauer eingerichteten Niederlassungsbewilligung enthalten war.
Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 6 erster oder zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/1980 wurde weder im Antrag noch im weiteren Verwaltungsverfahren behauptet und kann schon aus diesem Grund im Beschwerdefall außer Betracht bleiben.
Die Beschwerde war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. I Nr. 333/2003.
Wien, am