VwGH vom 14.12.2011, 2011/01/0172
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des S C in B, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , Zl. Ia 370-363/2008, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom sicherte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zu, dass innerhalb von zwei Jahren ab Rechtskraft dieses Bescheides das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates nachgewiesen werde.
Am legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde einen Nachweis über das Ausscheiden aus dem Staatsverband der Republik Türkei vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom widerrief die belangte Behörde die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 20 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 "in der geltenden Fassung" (Spruchpunkt 1.) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 iVm § 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 (StbG), ab (Spruchpunkt 2.).
Begründend stützte sich die belangte Behörde darauf, dass nach Erlassung des Zusicherungsbescheides bestimmte Verleihungshindernisse eingetreten seien.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 20 StbG (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 124/1998) lautet auszugsweise:
"(1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, daß er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn
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1. | er nicht staatenlos ist; |
2. | weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und |
3. | ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte. |
(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde
1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder
2. nachweist, daß ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.
(4) …"
Mit Erkenntnis vom , G 154/10, kundgemacht am in BGBl. I Nr. 111/2011, hat der Verfassungsgerichtshof § 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006 als verfassungswidrig aufgehoben (I.). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt (II.), die Vorschrift auch auf die am beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist (III.) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (IV.).
Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden, wenn ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden ist. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.
Auf Grund der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Erstreckung der Anlassfallwirkung ist die Anwendung der Bestimmung des § 20 Abs. 2 StbG im vorliegenden - seit beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen - Beschwerdefall ausgeschlossen. Dem auf die aufgehobene Bestimmung gestützten Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer mangelt es demnach an der gesetzlichen Grundlage, sodass sich der angefochtene Bescheid in diesem Umfang als inhaltlich rechtswidrig erweist (vgl. in diesem Sinne zu § 120 FPG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0056, mwN).
Der Verfassungsgerichtshof hat in den Erwägungsgründen des zitierten Erkenntnisses vom ausgeführt, "dass § 20 Abs. 3 StbG, wonach die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, zu verleihen ist, sobald der Fremde aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren, nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Voraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt" (Rz. 30 und 31).
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich der Ansicht, wonach es der Behörde nach der bereinigten Rechtslage verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Verleihungsvoraussetzungen abzusprechen, an. Damit erweist sich der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Abweisung des Verleihungsantrages des Beschwerdeführers als inhaltlich rechtswidrig (vgl. die hg. Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2007/01/0226 und Zl. 2008/01/0584).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-82600