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VwGH vom 07.05.2020, Ra 2019/10/0159

VwGH vom 07.05.2020, Ra 2019/10/0159

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Niederösterreichischen Umweltanwaltschaft in St. Pölten, vertreten durch Breitenecker Kolbitsch Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-870/001-2018, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden; mitbeteiligte Partei: MK in W, vertreten durch Mag. Pia Maria Krebs, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 66), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

I.

1 1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom erteilte das Verwaltungsgericht dem Mitbeteiligten - im Beschwerdeverfahren - gemäß § 7 Abs. 1 Z 4, 27 und 31 NÖ Naturschutzgesetz 2000 - NÖ NSchG 2000 die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Erweiterung eines (bestehenden) Landschaftsteiches auf näher genannten Grundstücken um 2,3 ha und die Errichtung eines Walles an den Außengrenzen betroffener Grundstücke.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Belang - aus, das verfahrensgegenständliche Projekt betreffe eine Fläche außerhalb des Ortsbereiches der Gemeinde S. und solle durch eine Ausgrabung und Grundwasserfreilegung verwirklicht werden, wozu die Entnahme von ca. 127.112 m3 Schotter inklusive Humus (Schotteranteil: 109.900 m3) erforderlich sei.

3 Das ausgebaggerte Material werde zum Teil (ca. 1.475 m3) für die Errichtung des Walles verwendet. Der Rest werde fachgerecht entsorgt und - sofern wirtschaftlich verwertbar - in das Eigentum des mit den Erdbauarbeiten beauftragten Unternehmens übergehen. Nach den Projektunterlagen überstiegen die Kosten des Projektes den erzielbaren Erlös aus der Verwendung des anfallenden Kieses um ca. EUR 46.600.

4 Das gegenständliche Projekt sei anhand der von der mitbeteiligten Partei eingereichten Projektunterlagen sowie an dem darin zum Ausdruck gebrachten Willen zu beurteilen. Daraus gehe hervor, dass der primäre Zweck des gegenständlichen Projektvorhabens nicht die Materialgewinnung (§ 7 Abs. 1 Z 2 NÖ NSchG 2000), sondern die Gewährleistung einer tatsächlichen und nachhaltigen gewässerökologischen Stabilisierung des bestehenden Landschaftsteiches sei. Insbesondere spreche der Umstand, dass der Mitbeteiligte trotz Verwertung des gewonnenen Materials Kosten in der Höhe von ca. EUR 46.600 zu tragen habe, gegen die "Intention einer primären Materialgewinnung".

5 Zufolge einer "unbedenklichen Bestätigung" des Bürgermeisters der Marktgemeinde S. vom , der zuständigen Baubehörde, stehe das Projekt nicht im Widerspruch zum örtlichen Raumordnungskonzept, sodass der Nachweis gemäß § 31 Abs. 2 NÖ NSchG 2000 erbracht worden sei.

6 Die Revision gegen diese Entscheidung ließ das Verwaltungsgericht nicht zu und begründete dies bloß mit den verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

7 2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Niederösterreichischen Umweltanwaltschaft gemäß § 27 Abs. 1 NÖ NSchG 2000.

8 Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 1. Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 - NÖ NSchG 2000, LGBl. 5500-0 in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 26/2019, lauten:

"§ 7

Bewilligungspflicht

(1) Außerhalb vom Ortsbereich, das ist ein baulich und funktional zusammenhängender Teil eines Siedlungsgebietes (z.B. Wohnsiedlungen, Industrie- oder Gewerbeparks), bedürfen der Bewilligung durch die Behörde:

1. die Errichtung und wesentliche Abänderung von allen Bauwerken, die nicht Gebäude sind und die auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Gebäuden stehen und von sachlich untergeordneter Bedeutung sind;

2. die Errichtung, die Erweiterung sowie die Rekultivierung von Materialgewinnungs- oder -verarbeitungsanlagen jeder Art;

(...)

4. Abgrabungen oder Anschüttungen,

- die nicht im Zuge anderer nach diesem Gesetz

bewilligungspflichtiger Vorhaben stattfinden,

  • die sich - außer bei Hohlwegen - auf eine Fläche von zumindest 1.000 m2 erstrecken und

  • durch die eine Änderung des bisherigen Niveaus auf einer Fläche von zumindest 1.000 m2 um mindestens einen Meter erfolgt;

  • (...)

  • § 27

  • NÖ Umweltanwaltschaft und Gemeinden

(1) Die NÖ Umweltanwaltschaft hat in den aufgrund dieses Gesetzes durchzuführenden Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der Verwaltungsstrafverfahren sowie der Entschädigungsverfahren zur Wahrung der ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes Parteistellung im Sinne des § 8 AVG.

Soweit der NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung zukommt, ist sie berechtigt, Beschwerde gegen solche Bescheide der Behörde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben. Weiters kommt ihr das Recht zu, gegen solche Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichte s Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

(...)

§ 31

Antragsverfahren

(...)

(2) In Anträgen auf Erteilung von Bewilligungen oder Ausnahmen sind Art, Lage, Umfang und Verwendung des Vorhabens anzugeben sowie die zur Beurteilung des Vorhabens erforderlichen Unterlagen, insbesondere Pläne, Beschreibungen, Skizzen udgl. in dreifacher Ausfertigung sowie ein aktueller Grundbuchsauszug anzuschließen. Ist der Antragsteller nicht Grundeigentümer, ist die Zustimmung des Eigentümers glaubhaft zu machen, es sei denn, dass aufgrund anderer gesetzlicher Regelungen für das beantragte Vorhaben eine Enteignung oder eine Einräumung von Zwangsrechten möglich ist. Weiters ist der Nachweis darüber zu erbringen, dass die beantragte Bewilligung nicht einem rechtswirksamen überörtlichen oder örtlichen Raumordnungsprogramm widerspricht.

(...)"

10 § 20 NÖ Raumordnungsgesetz 2014 - NÖ ROG 2014, LGBl. Nr. 3/2015 in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 71/2018, lautet auszugsweise:

"§ 20

Grünland

(1) Alle nicht als Bauland oder Verkehrsflächen gewidmeten Flächen gehören zum Grünland.

(2) Das Grünland ist entsprechend den örtlichen Erfordernissen und naturräumlichen Gegebenheiten in folgende Widmungsarten zu gliedern:

1a. Land- und Forstwirtschaft:

Flächen, die der land- und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung dienen. Auf diesen ist die Errichtung und Abänderung von Bauwerken für die Ausübung der Land- und Forstwirtschaft einschließlich deren Nebengewerbe im Sinne der Gewerbeordnung 1994 sowie für die Ausübung des Buschenschankes im Sinne des NÖ Buschenschankgesetzes, LGBl. 7045, zulässig.

Weiters ist das Einstellen von Reittieren zulässig, wenn dazu überwiegend landwirtschaftliche Erzeugnisse verwendet werden, die im eigenen Betrieb gewonnen werden.

Weiters sind im Hofverband zur Befriedigung der familieneigenen Wohnbedürfnisse des Betriebsinhabers, wenn er Eigentümer des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ist oder der dort wohnenden Betriebsübergeber, sowie für die Privatzimmervermietung als häusliche Nebenbeschäftigung bis höchstens 10 Gästebetten zulässig:

  • Zubauten und bauliche Abänderungen

  • die Wiedererrichtung bestehender Wohngebäude

  • die zusätzliche Neuerrichtung eines Wohngebäudes

  • (...)

  • 5.Materialgewinnungsstätten:

  • Flächen zur Gewinnung, Aufbereitung und Zwischenlagerung mineralischer Rohstoffe sowie zur Ablagerung des grubeneigenen Restmaterials und für jenes Material, das zur Erfüllung der behördlich aufgetragenen Rekultivierungsmaßnahmen erforderlich ist.

  • (...)

(4) Im Grünland ist ein bewilligungs- oder anzeigepflichtiges Bauvorhaben gemäß der NÖ Bauordnung 2014 in der geltenden Fassung, nur dann und nur in jenem Umfang zulässig, als dies für eine Nutzung gemäß Abs. 2 erforderlich ist und in den Fällen des Abs. 2 Z 1a und 1b eine nachhaltige Bewirtschaftung erfolgt. Bei der Erforderlichkeitsprüfung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob für das beabsichtigte Bauvorhaben geeignete Standorte im gewidmeten Bauland auf Eigengrund zur Verfügung stehen.

(...)"

11 2. Die Zulässigkeitsausführungen der Revision bringen im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzung des Nachweises darüber, dass die beantragte Bewilligung nicht einem rechtswirksamen überörtlichen oder örtlichen Raumordnungsprogramm widerspreche, falsch beurteilt. 12 3. Die Revision ist zulässig. Sie ist - im Ergebnis - auch begründet.

13 3.1. Nach § 31 Abs. 2 letzter Satz NÖ NSchG 2000 hat der Antragsteller den Nachweis darüber zu erbringen, dass die beantragte Bewilligung nicht einem rechtswirksamen überörtlichen oder örtlichen Raumordnungsprogramm widerspricht.

14 Im Fall eines Widerspruchs eines Vorhabens zum Flächenwidmungsplan steht dem Antragsteller kein Recht auf Erteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung zu (vgl. , sowie in diesem Sinne auch ).

15 Ausgehend davon hat sich die Naturschutzbehörde bzw. das Verwaltungsgericht jedenfalls mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die im naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren als Nachweis im Sinn des § 31 Abs. 2 letzter Satz NÖ NSchG 2000 vorgelegten Unterlagen auch tatsächlich geeignet sind, den gesetzlich geforderten Nachweis des fehlenden Widerspruchs zu einem überörtlichen oder örtlichen Raumordnungsprogramm zu erbringen (vgl. dahingehend erneut VwGH 2001/10/0138). 16 3.2. Im vorliegenden Fall wurde von der mitbeteiligten Partei als Nachweis im Sinn des § 31 Abs. 2 letzter Satz NÖ NSchG 2000 (im Beschwerdeverfahren) eine Bestätigung des Bürgermeisters der Marktgemeinde S. vom vorgelegt. Aus diesem im Akt erliegenden Schreiben ergibt sich, dass die "angeführten Maßnahmen im Bereich der Widmung ‚Grünland-Land- und Forstwirtschaft' erfolgen und hiebei keine nach der NÖ Bauordnung notwendigen Bewilligungen oder Anzeigen erforderlich sind. Die Maßnahmen stehen somit nicht im Widerspruch zum rechtswirksamen örtlichen Raumordnungsprogramm."

17 Das Verwaltungsgericht erachtete diese Bestätigung als "unbedenklich" und ging - ungeachtet des Beschwerdevorbringens der revisionswerbenden Partei zur Widmungswidrigkeit des in Rede stehenden Vorhabens -, ohne sich weiter mit deren Eignung als Nachweis im Sinne des § 31 Abs. 2 NÖ NSchG 2000 zu befassen, von der Übereinstimmung des vorliegenden Projekts mit dem örtlichen Raumordnungsprogramm aus.

18 3.3. Nach dem Akteninhalt liegen die in Anspruch zu nehmenden Grundstücke - wie auch in der Bestätigung vom richtig ausgeführt - im Bereich der Widmung "Grünland-Land- und Forstwirtschaft" (§ 20 Abs. 2 Z 1a NÖ ROG 2014). Gemäß § 20 Abs. 4 erster Satz NÖ ROG 2014 ist im Grünland ein bewilligungs- oder anzeigepflichtiges Bauvorhaben gemäß der NÖ Bauordnung 2014 - NÖ BO 2014 in der geltenden Fassung nur dann und nur in jenem Umfang zulässig, als dies für eine Nutzung gemäß Abs. 2 erforderlich ist und in den Fällen des Abs. 2 Z 1a und 1b eine nachhaltige Bewirtschaftung erfolgt. 19 Vor dem Hintergrund dieser Bestimmung ist es für die Frage der Widmungskonformität bzw. -widrigkeit eines Vorhabens im Grünland zunächst maßgeblich, ob dieses ein bewilligungs- oder anzeigepflichtiges Bauvorhaben gemäß den Bestimmungen der NÖ BO 2014 darstellt oder es bewilligungs- oder anzeigefrei ist. Für den Fall der Bejahung einer Bewilligungs- oder Anzeigepflicht ist in einem zweiten Schritt zur Beurteilung der Widmungskonformität eine Erforderlichkeitsprüfung durchzuführen. Im Falle des Vorliegens eines baurechtlich bewilligungsbzw. anzeigefreien Vorhabens erübrigt sich hingegen eine Erforderlichkeitsprüfung und ist nicht von einer Widmungswidrigkeit des Vorhabens auszugehen (vgl. , zum NÖ Raumordnungsgesetz 1976).

20 Die Bestätigung des Bürgermeisters vom spricht zwar davon, dass "keine nach der NÖ Bauordnung notwendigen Bewilligungen oder Anzeigen erforderlich" seien. Eine nachvollziehbare Begründung für diese Schlussfolgerung lässt das genannte Schreiben jedoch völlig vermissen. Auch das angefochtene Erkenntnis beschäftigt sich an keiner Stelle mit dieser Frage. Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist aber im Revisionsfall unumgänglich, hat doch der Verwaltungsgerichtshof im oben zitierten Erkenntnis 2008/05/0113 einen (bestimmten) Teich als Bauwerk und bauliche Anlage im Sinne der Bestimmungen des § 4 Z 3 und 4 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (welche den nunmehrigen Bestimmungen des § 4 Z 6 und 7 NÖ BO 2014 entsprechen) qualifiziert. Es wäre daher jedenfalls in nachvollziehbarer Weise zu klären gewesen, ob die für Bauwerke und bauliche Anlagen geltenden Bewilligungs- bzw. Anzeigetatbestände der NÖ BO 2014 im vorliegenden Fall schlagend werden.

21 3.4. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat und (allein) aufgrund des Schreibens vom von einer Widmungskonformität des verfahrensgegenständlichen Vorhabens ausgegangen ist, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

22 4. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 23 5. Ein Kostenzuspruch entsprechend dem Antrag der revisionswerbenden Partei findet nicht statt, weil diese ein Organ des Landes Niederösterreichs ist und daher Identität des Rechtsträgers, dem Kosten zuzusprechen bzw. der zum Kostenersatz zu verpflichten wäre, vorliegt (vgl. etwa , mwN).

24 Von der Durchführung der von der revisionswerbenden Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, zumal das Verwaltungsgericht, ein Tribunal im Sinne der EMRK, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl. ).

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100159.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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