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VwGH vom 09.03.2021, Ra 2019/10/0094

VwGH vom 09.03.2021, Ra 2019/10/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des Vereins „L“ in S, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-34/001-2019, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem NÖ Naturschutzgesetz 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Amstetten; mitbeteiligte Partei: egesellschaft m.b.H., vertreten durch die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwandersatz in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid vom erteilte die Bezirkshauptmannschaft Amstetten (die belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei eine naturschutzbehördliche Bewilligung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und 4, § 9, § 10 Abs. 1, 3 und 4 sowie § 24 NÖ Naturschutzgesetz 2000 (NÖ NSchG 2000) für die Errichtung und den Betrieb der Wasserkraftanlage „F“. Mit Bescheid vom verlängerte die belangte Behörde die Baubeginnfrist und die Bauvollendungsfrist für die Wasserkraftanlage „F“.

2Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Zustellung der Bescheide als übergangene Partei.

3Am übermittelte die belangte Behörde dem Revisionswerber postalisch die Bescheide vom und vom . Diese Bescheide sind am beim Revisionswerber eingelangt.

4Am begehrte der Revisionswerber Akteneinsicht, für die ihm ein Termin am gewährt wurde.

5Mit Schriftsatz vom erhob der Revisionswerber Beschwerde gegen die Bescheide vom und vom . Er begründete seine Parteistellung im Wesentlichen damit, dass auf Grundlage der Judikatur des EuGH anerkannte Umweltorganisationen in Verfahren mit potentiell erheblichen Umweltauswirkungen zu beteiligen seien. Das Recht auf Parteistellung ergebe sich nicht direkt aus Art. 9 Abs. 2 bzw. 3 der Aarhus-Konvention, sondern aus der Aarhus-konformen Auslegung des Unionsrechts gemäß der jüngsten Judikatur des EuGH und von § 8 AVG. Es sei im gegenständlichen Fall eine Naturverträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie durchgeführt worden, was jedenfalls potentiell erhebliche Umweltauswirkungen bedeute. Der Revisionswerber sei vom Verfahren weder benachrichtigt worden, noch sei eine Kundmachung per Edikt erfolgt. Er sei daher übergangene Partei.

6Mit Beschluss vom wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid vom als unzulässig zurück. Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

7Begründend führte es im Wesentlichen aus, der angefochtene Bescheid sei den zum Zeitpunkt der Erlassung (nach damaliger Rechtslage) vorhandenen Parteien zugestellt worden und am in Rechtskraft erwachsen. Umweltorganisationen hätten zum damaligen Zeitpunkt keine Partei- bzw. Beteiligtenstellung nach dem NÖ NSchG 2000 gehabt. Da der Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei, scheide eine Anwendung des § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 aus, zumal eine Zustellung des Bescheides an den Revisionswerber keine Parteistellung begründe. Nach § 38 Abs. 10 NÖ NSchG 2000 könnten Umweltorganisationen bestimmte Bescheide, die bis zu einem Jahr vor Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen worden seien, mit Beschwerde anfechten. Der hier angefochtene Bescheid sei am erlassen und am rechtskräftig geworden. Die Änderung des NÖ NSchG 2000 mit LGBl. Nr. 26/2019 (Anm: und damit die Anfügung der Absätze 10 und 11 in § 38 leg. cit.) sei am in Kraft getreten. Eine Beschwerdeerhebung komme daher nicht mehr in Betracht. Die Beschwerde sei daher ohne inhaltliches Eingehen auf die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

8Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass nicht nachvollziehbar sei, dass der Revisionswerber erstmals Monate nach dem Protect-Urteil vom von diesem und den in Beschwerde gezogenen Bescheiden Kenntnis erlangt habe. In Entsprechung des Grundsatzes der Rechtssicherheit wäre eine Beschwerdeeinbringung mit der Judikatur des EuGH (Hinweis auf Kühne & Heitz NV) nicht vereinbar. Der Bewilligungsinhaber habe bereits seit 2013 auf die behördliche Rechtskraft der Entscheidung vertrauen dürfen. Eine nachträgliche Überprüfung einer Entscheidung, auf deren Rechtskraft bisher jahreslanges Vertrauen bestanden habe, bedeute einen massiven Eingriff in die Rechtssicherheit und das Vertrauen auf die Bestandskraft von Entscheidungen. Das Verwaltungsgericht habe daher keine Bedenken gegen die in § 38 Abs. 10 NÖ NSchG 2000 vorgesehene Frist von einem Jahr.

9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete lediglich die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

10Im Zulässigkeitsvorbringen wendet sich der Revisionswerber (u.a.) gegen die Auffassung des angefochtenen Beschlusses, der zufolge eine Anwendung des § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 auf den vorliegenden Fall nicht in Frage komme: Seine Parteistellung gemäß Art. 9 Abs. 2 und 3 Aarhus-Konvention iVm Art. 47 GRC sei mit eingetreten, weshalb er schon im Zeitpunkt der Bescheiderlassung (Dezember 2012) als übergangene Partei gegolten habe (Hinweis auf , und , Ra 2018/07/0410). Es sei daher (zunächst) nur eine relative Rechtskraft des Bescheides vom vorgelegen. Für den Revisionswerber habe die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Bescheides zu laufen begonnen. Aus der aufrechten Anfechtung des Bescheides vom zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 folge, dass es sich um ein noch nicht rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren (im Sinn dieser Bestimmung) gehandelt habe (Hinweis auf ).

11Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig und auch begründet.

12Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ NSchG 2000, LGBl. 5500-0 idF LGBl. Nr. 26/2019, lauten auszugsweise:

§ 10

Verträglichkeitsprüfung

(1) Projekte,

-die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Europaschutzgebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind und

-die ein solches Gebiet einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten erheblich beeinträchtigen könnten,

bedürfen einer Bewilligung der Behörde.

(2) Die Behörde hat auf Antrag eines Projektwerbers oder der NÖ Umweltanwaltschaft mit Bescheid festzustellen, dass das Projekt weder einzeln noch im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Europaschutzgebietes führen kann. Dabei sind bereits erfolgte Prüfungen in vorausgegangenen oder gleichzeitig durchzuführenden Verfahren zu berücksichtigen.

(3) Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens hat die Behörde eine Prüfung des Projektes auf Verträglichkeit mit den für das betroffene Europaschutzgebiet festgelegten Erhaltungszielen, insbesondere die Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in diesem Gebiet, durchzuführen (Naturverträglichkeitsprüfung).

(4) Hat die Behörde aufgrund der Ergebnisse der Naturverträglichkeitsprüfung festgestellt, dass das Gebiet als solches nicht erheblich beeinträchtigt wird, ist die Bewilligung zu erteilen.

[...]

§ 27b

Beteiligung von Umweltorganisationen

(1) Umweltorganisationen, die gemäß § 19 Abs. 7 des UVP-G 2000, BGBl. Nr. 697/1993, zur Ausübung von Parteienrechten in Niederösterreich befugt sind, sind an Verfahren gemäß § 10 Abs. 1 und 2 zu beteiligen.

[...]

§ 38

Schluss- und Übergangsbestimmungen

[...]

(10) Umweltorganisationen im Sinne des § 27b Abs. 1 steht nur gegen Bescheide nach

1.§ 10 Abs. 1 und 2 sowie

2.§ 20 Abs. 4, sofern geschützte Tier- und Pflanzenarten, die in

-Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder

-Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie aufgelistet oder

-Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutz-Richtlinie genannt sind,

betroffen sind,

und die bis zu einem Jahr vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in der Fassung LGBl. Nr. 26/2019 erlassen worden sind, das Recht zu, Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben. Beschwerden gegen solche Bescheide haben keine aufschiebende Wirkung. § 27c Abs. 2 gilt sinngemäß.

(11) Umweltorganisationen im Sinne des § 27b Abs. 1, die in einem vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in der Fassung LGBl. Nr. 26/2019 noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren beigezogen wurden, sind weiterhin beizuziehen.“

Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - FFH-RL lautet:

„Artikel 6

[...]

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, daß das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

[...]“

13Der Verwaltungsgerichtshof hat inzwischen bereits einen vom Sachverhalt und den zu lösenden Rechtsfragen vergleichbaren Fall in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/10/0148, entschieden, weshalb vorweg gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf dessen Begründung verwiesen wird.

14Dem zitierten Erkenntnis lag ein Feststellungsverfahren gemäß § 10 Abs. 2 NÖ NSchG 2000 zugrunde, im gegenständlichen Fall wurde ein Naturverträglichkeitsprüfungsverfahren nach § 10 Abs. 3 NÖ NSchG 2000 durchgeführt. Da in letzterem eine Prüfung des Projektes auf Verträglichkeit mit den für das betroffene Europaschutzgebiet festgelegten Erhaltungszielen vorzunehmen ist, lagen diesem Verfahren ebenfalls aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangene Rechtsvorschriften zugrunde (vgl. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL; vgl. § 37 Abs. 1 Z 1 NÖ NSchG 2000, wonach durch dieses Gesetz die FFH-RL umgesetzt wird).

15Aus den im Erkenntnis vom , Ra 2019/10/0148, genannten Gründen ist daher vor dem Hintergrund der Bestimmungen der Aarhus-Konvention auch die Parteistellung des Revisionswerbers (zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom ) sowie dessen Beiziehung zum Verfahren im Sinne des § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 infolge der Zustellung des genannten Bescheides zu bejahen. Bei diesem Ergebnis ist auf den Umstand, dass die belangte Behörde dem Revisionswerber auch das Parteienrecht der Akteneinsicht gewährte, nicht weiter einzugehen.

16Gemäß § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 wäre der Revisionswerber dem Verfahren daher „weiterhin beizuziehen“ gewesen, sodass das Verwaltungsgericht die ihm vorliegende Beschwerde zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass die Anwendungsvoraussetzungen des § 38 Abs. 11 NÖ NSchG 2000 nicht vorlägen.

17Dem steht auch der Verweis des Verwaltungsgerichtes auf die Rechtsprechung des EuGH zum Grundsatz der Rechtssicherheit nicht entgegen. Die vom Verwaltungsgericht dazu zitierte Entscheidung des , Kühne & Heitz NV, in der es um die Frage ging, ob bzw. inwieweit das Gemeinschaftsrecht eine Überprüfung rechtskräftiger gemeinschaftsrechtswidriger Entscheidungen gebietet, erweist sich im Revisionsfall schon deshalb nicht als einschlägig, weil hier - wie gezeigt wurde - gerade nicht von einem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auszugehen ist.

18Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

19Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen.

20Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019100094.L00

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Fundstelle(n):
FAAAE-82542