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VwGH vom 18.06.2020, Ra 2019/10/0080

VwGH vom 18.06.2020, Ra 2019/10/0080

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des P G in E, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom (richtig: 2019), Zl. W227 2210074-1/3E, betreffend Zurückweisung von Anträgen i.A. des Universitätsgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Studienpräses der Universität Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Zurückweisung des „Antrags“ vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Universität Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

11. Der Revisionswerber ist ordentlicher Studierender des Masterstudiums „Translation Deutsch Chinesisch“ an der Universität Wien.

2Am nahm er an der schriftlichen Prüfung „Fachübersetzen Recht und Wirtschaft A- in die B-Sprache“ teil, wobei er ein elektronisches Wörterbuch als Übersetzungshilfe verwendete.

3Nach Ausweis der Verfahrensakten teilte die Universität dem Revisionswerber mit Mail vom (u.a.) Folgendes mit:

„nach Rücksprache mit dem Büro Studienpräses müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihre Prüfung nicht beurteilt werden kann, da sie als erschlichene Leistung gewertet wird. Das bedeutet konkret, dass statt einer Note ein ‚X‘ eingetragen werden wird. [...]“ (Hervorhebung durch den Gerichtshof)

4Mit weiterem Mail vom teilte die Universität dem Revisionswerber Folgendes mit:

„Eine Prüfung wurde auf Grund der Verwendung unerlaubter Hilfsmittel nicht beurteilt. Der Prüfungsantritt zählt und wird im Sammelzeugnis mit einem ‚X‘ gesondert dokumentiert (Grundlage: § 12 Satzungsteil Studienrecht [...]).

Sollte die Eintragung nicht zu Recht erfolgt sein, haben Sie die Möglichkeit binnen 14 Tagen ab der Eintragung die Löschung des Prüfungsantritts aus dem Sammelzeugnis beim Studienpräses [...] zu beantragen.“

52. Daraufhin beantragte der Revisionswerber bei der belangten Behörde am , „die gegenständliche Prüfung zu beurteilen und die Beurteilung zu beurkunden, in eventu ein Verfahren gemäß § 12 Abs. 6 Satzungsteil Studienrecht einzuleiten und die gegenständliche Prüfung zu beurteilen, in eventu gemäß Art. 130 Abs 4 B-VG und § 28 Abs. 2 VwGVG den Bescheid vom ersatzlos zu beheben“.

6Nach einem daran anschließenden Mail-Wechsel kann einem Mail der Rechtsvertreter des Revisionswerbers vom (auszugsweise) Folgendes entnommen werden:

„Soweit eine Beurteilung nun vorgesehen wird, wird dem zugestimmt.

[...]

Der verfahrenseinleitende Antrag auf Prüfungsbeurteilung und -beurkundung bleibt daher vollinhaltlich aufrecht. Sollte die (Teil-)Beurteilung der erbrachten Prüfungsleistung in einer negativen Beurteilung münden, so ist die CHSH Rechtsanwälte GmbH schon jetzt beauftragt, einen Antrag auf schweren Prüfungsmangel gemäß § 79 Abs 1 UG einzubringen und zivilrechtliche Schadenersatzansprüche aufgrund des verzögerten Studienabschlusses zu prüfen.“

7Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde dem Antrag des Revisionswerbers mit dem folgenden Spruch teilweise statt:

„1.Die Nicht-Beurteilung wird aufgehoben und der Prüfungsantritt aus dem Sammelzeugnis gelöscht.

2.Von der Prüfung vom werden die Seiten 1-3 beurteilt und entsprechend benotet. Die Beurteilung wird im Sammelzeugnis eingetragen und zählt als Prüfungsantritt.

3.Von der Prüfung vom werden die Seiten 4-6 wegen verspäteter Abgabe nicht beurteilt.“

83. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, welche sich ausdrücklich lediglich gegen die Spruchpunkte 2. und 3. des Bescheides richtete.

9Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom (richtig: 2019) wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde ab und wies - in Abänderung des Spruches der belangten Behörde - die „Anträge des [Revisionswerbers] vom und vom als unzulässig zurück“, wobei es die Revision nicht zuließ.

10Dem legte das Verwaltungsgericht zugrunde, der zuständige Studienprogrammleiter habe „am “ - nach einer entsprechenden Dokumentation des Sachverhalts - in das Sammelzeugnis des Revisionswerbers zu der Prüfung „Fachübersetzen Recht und Wirtschaft A- in die B-Sprache“ in der Spalte „Note“ zunächst ein „X“ eingetragen (Nicht-Beurteilen wegen Verwendung unerlaubter Hilfsmittel gemäß § 12 Abs. 6 Satzungsteil Studienrecht der Universität Wien [im Folgenden: Satzungsteil Studienrecht]). Am habe der Studienprogrammleiter den Eintrag auf ein „N“ (Nichtig-Erklärung wegen Erschleichens gemäß § 73 Universitätsgesetz 2002 [UG]) geändert.

11Die Universität Wien habe die gegenständliche Prüfung bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nicht beurteilt.

12In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe maßgeblicher Normen zunächst davon aus, dass die Spruchteile des bekämpften Bescheides voneinander untrennbar seien, weshalb es den Bescheid - obwohl der Revisionswerber ausdrücklich nur gegen dessen Spruchpunkte 2. und 3. Beschwerde erhoben hatte - zur Gänze zu überprüfen habe.

13Die Anträge des Revisionswerbers vom wies das Verwaltungsgericht als verspätet zurück, weil seit der Eintragung der Nicht-Beurteilung der Prüfung am durch den Studienprogrammleiter die 14-tägige Frist des § 12 Abs. 6 Satzungsteil Studienrecht bereits abgelaufen sei.

14Mangels erfolgter negativer Beurteilung der gegenständlichen Prüfung sei der „am eingebrachte Antrag“ unzulässig, weil der Antrag auf Aufhebung einer Prüfung nach § 79 Abs. 1 UG das Vorliegen einer negativ beurteilten Prüfung voraussetze.

15Daraus folge die Zurückweisung der Anträge des Revisionswerbers und - gestützt auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG - der Entfall einer Verhandlung.

164. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

17Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie unter Vorlage von Urkunden darlegt, hinsichtlich der gegenständlichen Prüfung sei „der Eintrag und damit die Bekanntgabe der Beurteilung bzw. Nichtbeurteilung“ in das Sammelzeugnis der Universität Wien „am “ (gemeint wohl: 2018) erfolgt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

181. Für den vorliegenden Revisionsfall sind folgende Bestimmungen in den Blick zu nehmen:

19Universitätsgesetz 2002 - UG (BGBl. I Nr. 120/2002 idF BGBl. I Nr. 3/2019):

Nichtigerklärung von Beurteilungen

§ 73. (1) Das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ hat die Beurteilung mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn

1.bei einer Prüfung die Anmeldung zu dieser Prüfung erschlichen wurde oder

2.bei einer Prüfung oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Arbeit die Beurteilung, insbesondere durch die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel, erschlichen wurde.

[...]

Rechtsschutz bei Prüfungen

§ 79. (1) Gegen die Beurteilung einer Prüfung ist kein Rechtsmittel zulässig. Wenn die Durchführung einer negativ beurteilten Prüfung einen schweren Mangel aufweist, hat das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ diese Prüfung auf Antrag der oder des Studierenden mit Bescheid aufzuheben. [...]“

20Satzungsteil Studienrecht der Universität Wien:

§ 12. (1) [...]

(6) Studierende, die bei Prüfungen unerlaubte Hilfsmittel verwenden, werden nicht beurteilt; der Prüfungsantritt wird im Sammelzeugnis gesondert dokumentiert und ist auf die zulässige Zahl der Antritte anzurechnen. Vor der Eintragung hat eine Dokumentation des Sachverhalts (insbesondere Aktenvermerk oder Sicherstellung von Beweismitteln) durch den Studienprogrammleiter oder die Studienprogrammleiterin zu erfolgen. Studierende können bei der oder dem Studienpräses binnen 14 Tagen ab der Eintragung die Löschung des Prüfungsantritts aus dem Sammelzeugnis beantragen. Gegen die bescheidmäßige Ablehnung der Löschung ist die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig (Art. 130 Abs. 1 B-VG).

[...]“

212. Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis (u.a.) in seinen Rechten auf meritorische Entscheidung über seine am gestellten Anträge sowie auf „Einhaltung der Zuständigkeitsordnung“ (Hinweis u.a. auf ) verletzt.

22In den Zulässigkeitsausführungen seiner außerordentlichen Revision bringt er (u.a.) vor, das Verwaltungsgericht habe die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten (Hinweis u.a. auf ). So sei mit dem Mail vom gar kein Antrag gestellt worden, sodass das Verwaltungsgericht insoweit eine ihm nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen habe; die Zurückweisung eines Antrages als unzulässig setze das Vorliegen eines solchen voraus (Hinweis u.a. wiederum auf VwGH 2003/12/0105).

23Mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Zurückweisung wegen Verspätung bringt der Revisionswerber vor, das Verwaltungsgericht habe ihm kein Parteiengehör zu einem Erhebungsergebnis eingeräumt, wonach der zuständige Studienprogrammleiter bereits am eine Eintragung in das Sammelzeugnis des Revisionswerbers zu der Prüfung „Fachübersetzen Recht und Wirtschaft A- in die B-Sprache“ vorgenommen habe. Außerdem sei die vom Verwaltungsgericht angenommene Verspätung dem Revisionswerber nicht vorgehalten worden; bei entsprechendem Vorhalt hätte durch Vorlage eines Mails vom bescheinigt werden können, dass die Eintragung der Nichtbeurteilung erst an diesem Tag erfolgt sei (sodass sich die Anträge vom als rechtzeitig erwiesen). Insofern habe das Verwaltungsgericht gegen das Überraschungsverbot verstoßen (Hinweis u.a. auf ).

243. Die Revision ist mit Blick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich auch als berechtigt.

3.1. zur Zurückweisung eines „Antrages“ vom :

253.1.1. Dem Revisionswerber ist zunächst darin zuzustimmen, dass er mit seinem Mail vom keinen gegenüber dem verfahrenseinleitenden Antrag vom weiteren Antrag gestellt hat.

26Diesem Mail ist einerseits die Aussage zu entnehmen, dass der erwähnte verfahrenseinleitende Antrag „vollinhaltlich aufrecht“ bleibe; andererseits werden darin weitere rechtliche Schritte des Revisionswerbers für den Fall einer negativen Beurteilung oder Teilbeurteilung dessen Prüfungsleistung lediglich angekündigt.

273.1.2. Das Verwaltungsgericht hat somit einen gar nicht existenten Antrag vom zurückgewiesen, was den Revisionswerber in dessen Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung verletzt hat (vgl. neben dem in der Revision zitierten Erkenntnis 2003/12/0105 etwa auch , mwN).

28Das angefochtene Erkenntnis erweist sich aus diesem Grund insofern als rechtswidrig infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes.

3.2. zur Zurückweisung der Anträge vom :

29Vorausgeschickt sei, dass die - vom Revisionswerber in Zweifel gezogene - Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Spruchpunkte des bekämpften Bescheides vom seien voneinander untrennbar, vor dem Hintergrund der hg. Rechtsprechung nicht zu beanstanden ist; so stehen die Spruchpunkte 2. und 3. insofern in einem „inneren Zusammenhang“ mit Spruchpunkt 1., als sie die darin ausgesprochene Aufhebung voraussetzen (vgl. etwa , oder , 2012/10/0184).

303.2.1. Das Verwaltungsgericht wies die Anträge des Revisionswerbers vom mit der Begründung zurück, diese seien - da die Nicht-Beurteilung der Prüfung bereits am eingetragen worden sei - im Grunde des § 12 Abs. 6 vorletzter Satz Satzungsteil Studienrecht verspätet.

31Dies bestreitet der Revisionswerber und behauptet insofern unter Hinweis auf hg. Rechtsprechung einen Verfahrensmangel, wobei er ein konkretes Vorbringen zu dessen Relevanz erstattet (vgl. oben Rz 23).

323.2.2. Die belangte Behörde hat mit ihrem Bescheid vom die Anträge des Revisionswerbers vom nicht zurückgewiesen, sondern meritorisch erledigt.

33Nach Ausweis der Verfahrensakten wurden die behördlichen Akten samt der eingebrachten Beschwerde dem Verwaltungsgericht am vorgelegt, welches am - nachdem die Universität im April 2019 das Sammelzeugnis des Revisionswerbers übermittelt hatte - das angefochtene Erkenntnis ausfertigte. Die Einräumung von Parteiengehör zu - nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes eine Verspätung der Anträge vom nahe legenden - Ergebnissen einer Beweisaufnahme ist aus den Akten nicht ersichtlich.

343.2.3. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Verwaltungsverfahren das sogenannte „Überraschungsverbot“ zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Die zum „Überraschungsverbot“ entwickelten Grundsätze sind auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht maßgeblich, weil von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG zu beachten sind (vgl. etwa das vom Revisionswerber genannte Erkenntnis Ra 2016/07/0040, mwN).

35Dem entsprechend ist nach der hg. Rechtsprechung selbst eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung eines Rechtsbehelfs vorzuhalten. Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Behörde oder das Verwaltungsgericht bei dessen Vermeidung zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können (vgl. zur Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 etwa , oder , jeweils mwN).

363.2.4. Nach dem Gesagten ist die vom Verwaltungsgericht ohne Verspätungsvorhalt gegenüber dem Revisionswerber ausgesprochene Zurückweisung der Anträge vom mit einem Verfahrensmangel belastet, bei dessen Vermeidung das Verwaltungsgericht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können (vgl. in diesem Zusammenhang auch die von der belangten Behörde in der Revisionsbeantwortung gemachten Angaben).

374. Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Zurückweisung des „Antrags“ vom gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, im Übrigen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

38Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100080.L00
Schlagworte:
Allgemein Parteiengehör Parteiengehör Allgemein

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