VwGH vom 28.04.2011, 2011/01/0121
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/01/0122
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser und Dr. Hofbauer sowie Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerden der 1. Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7 (protokolliert zur hg. Zl. 2011/01/0121), und 2. TP, geboren 1985, vertreten durch Mag. Marian Maybach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wallnerstraße 3 (protokolliert zur hg. Zl. 2011/01/0122), jeweils gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 306.972/3/4E-II/04/07, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache,
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird auf Grund der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin) ersatzlos behoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
II. die Beschlüsse gefasst:
1. Die von der Zweitbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde wird insoweit, als sie sich gegen die ersatzlose Behebung des Spruchpunktes II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
Begründung
Die Zweitbeschwerdeführerin beantragte erstmals am internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen; weiters wurde festgestellt, dass gemäß Art. 9 Abs. 4 "der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" Deutschland für die Prüfung des Antrages zuständig sei, die Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 dorthin ausgewiesen und deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Deutschland für zulässig erklärt.
Am beantragte die Zweitbeschwerdeführerin neuerlich internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom erneut gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und stellte fest, dass gemäß Art. 9 Abs. 4 "der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" Deutschland für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.); gleichzeitig wies es die Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 dorthin aus und erklärte "demzufolge" deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Deutschland für zulässig (Spruchpunkt II.).
Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde in Erledigung der von der Zweitbeschwerdeführerin erhobenen Berufung den erstinstanzlichen Bescheidspruch dahin ab, dass sie den Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG "iVm Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates, ABl. L 50/1" als unzulässig zurückwies. Begründend führte die belangte Behörde zunächst aus, für den Fall, dass ein "im Lichte des § 68 Abs. 1 AVG unzulässiger 'Folgeantrag'" zurückzuweisen sein sollte, sei dennoch neuerlich ein Verfahren über die Zulässigkeit der Ausweisung durchzuführen. Bis zur Behandlung des Folgeantrages bestehe gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 neuerlich faktischer Abschiebeschutz. Anders als bei Folgeanträgen, die nach einer bereits erfolgten inhaltlichen Prüfung eines Asylantrages gestellt werden, führe die innerstaatliche Rechtslage in der hier vorliegenden Konstellation "(bloß) dazu, dass ein Fremder allein durch fortwährende Stellung von Folgeanträgen das Bundesasylamt an der Durchsetzung der einmal dem Fremden rechtskräftig gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 auferlegten Verpflichtung hindern könnte". Die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung dieser Verpflichtung bestünde darin, "trotz (auch) insoweit unveränderter Sach- und Rechtslage einen neuerlichen Bescheid gleichen Inhalts zu erlassen und darauf zu vertrauen", dass der dagegen erhobenen Berufung nicht die aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Ein solches Interpretationsergebnis stünde nach Ansicht der belangten Behörde in einem Spannungsverhältnis zum "Institut der 'Rechtskraft'" und im Gegensatz zu "Art. 19 der Dublin II-Verordnung, soll nach dessen Abs. 2 doch sogar schon einem gegen die erste 'Entscheidung nach Absatz 1' eingelegten 'Rechtsbehelf' keineswegs unter allen Umständen 'aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung' zukommen". Umso weniger könne angenommen werden, dass Art. 19 leg. cit. "eine Torpedierung" der Wirksamkeit einer einmal rechtskräftig verfügten Überstellung durch Folgeanträge gestatte, zumal "die Handhabung des § 37 Abs. 1 AsylG 2005" im Folgeverfahren bereits impliziere, dass die belangte Behörde die bereits einmal rechtskräftig entschiedene Angelegenheit "immer wieder aufs Neue" zu prüfen habe. § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 sowie § 12 Abs. 1 AsylG 2005 seien daher "in Bezug auf die gegenständliche Konstellation" nicht anzuwenden. Da sich nach Erlassung des Bescheides der belangten Behörde vom weder der maßgebliche Sachverhalt noch die maßgebliche Rechtslage entscheidungswesentlich geändert hätten, sei der diesem Verfahren zugrunde liegende Folgeantrag zurückzuweisen gewesen. Da die Entscheidung noch innerhalb der Frist des § 36 Abs. 4 AsylG 2005 getroffen worden sei, habe sich ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erübrigt.
Über die gegen diesen Bescheid erhobenen - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Zu I.:
Die Amtsbeschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, wonach im Fall einer vorangegangenen Zurückweisung des Asylantrages gemäß § 5 AsylG 2005 ohne zwischenzeitlicher Änderung des relevanten Sachverhaltes § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 sowie § 12 Abs. 1 AsylG 2005 nicht anzuwenden seien und die Zurückweisung gemäß § 68 AVG diesfalls nicht mit einer Ausweisung zu verbinden sei.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Amtsbeschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Vorauszuschicken ist zunächst, dass die belangte Behörde, wie sich aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides erkennen lässt, die gegen beide Spruchpunkte des erstinstanzlichen Bescheides gerichtete "Beschwerde" (richtig: Berufung) der Zweitbeschwerdeführerin einer Erledigung zugeführt hat, indem sie in Abänderung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides (neuerlich) die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz ausgesprochen hat, während sie von einer Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin auf Grund der von ihr in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Rechtsansicht, wonach § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zur Anwendung gelange, abgesehen hat, was in seiner Wirkung der ersatzlosen Behebung der erstinstanzlich ausgesprochenen Ausweisung (Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides) entspricht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom , Zl. 2007/19/0466, welchem ebenfalls ein nach einem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Zuständigkeitsprüfungsverfahren gestellter Folgeantrag zugrunde lag, klargestellt, dass die auf § 68 Abs. 1 AVG gestützte Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache unter den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 fällt und demnach mit einer Ausweisung zu verbinden ist; dies selbst dann, wenn sich der Sachverhalt insoweit nicht relevant geändert hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0344). Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen.
Das Argument der belangten Behörde, wonach Art. 19 Dublin-Verordnung "eine Torpedierung" der Wirksamkeit einer bereits einmal rechtskräftig verfügten Überstellung iSd Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung nicht gestatte, zumal schon dem Rechtsbehelf gegen die erste Entscheidung nach Art. 19 Abs. 1 leg. cit. "keineswegs unter allen Umständen" aufschiebende Wirkung zukomme, ist nicht nachvollziehbar, sodass auf diese Argumentation hier nicht weiter einzugehen ist.
Der angefochtene Bescheid war daher im spruchgemäßen Umfang gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Zu II. 1.:
Gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nach Erschöpfung des Instanzenzuges wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Gemäß § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG hat die Beschwerde die bestimmte Bezeichnung des Rechtes, in dem der Beschwerdeführer verletzt zu sein behauptet (Beschwerdepunkte), zu enthalten. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Beschwerden, denen unter anderem der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Die Beschwerdeberechtigung (Beschwerdelegitimation) ist somit Voraussetzung für eine Sachentscheidung nach § 42 Abs. 1 VwGG. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung der Beschwerdelegitimation ausschlaggebend, ob der Beschwerdeführer nach der Lage des Falles durch den bekämpften Bescheid - ohne Rücksicht auf dessen Gesetzmäßigkeit - überhaupt in einem subjektiven Recht verletzt sein kann. Fehlt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in der Sphäre des Beschwerdeführers, so ermangelt diesem die Beschwerdeberechtigung. Die Rechtsverletzungsmöglichkeit wird immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keinen Unterschied macht, ob der Bescheid einer Verwaltungsbehörde aufrecht bleibt oder aufgehoben wird (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 99/03/0452, mwN).
Nach dem Beschwerdevorbringen erachtet sich die Zweitbeschwerdeführerin durch die im angefochtenen Bescheid vorgenommene ersatzlose Behebung der Ausweisung "in ihrem subjektiven Recht verletzt, … gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 nicht abgeschoben zu werden". Mit dem angefochtenen Bescheid wurde aber gerade keine Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin ausgesprochen, weshalb auch die Erteilung eines Durchführungsaufschubs nach § 10 Abs. 3 AsylG 2005 nicht in Betracht kommen kann.
Mangels Möglichkeit einer Verletzung von Rechten der Zweitbeschwerdeführerin durch die im angefochtenen Bescheid vorgenommene ersatzlose Behebung des Spruchpunktes II. des erstinstanzlichen Bescheides war die Beschwerde insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Eine Entscheidung über die Kosten hatte zu unterbleiben, da solche im Verfahren über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin von der belangten Behörde nicht begehrt wurden.
Zu II. 2.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerden werfen - abgesehen von dem unter den Punkten I. und II. 1. der Erwägungen behandelten Themen - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden im Übrigen abzulehnen.
Wien, am