VwGH vom 27.05.2010, 2008/21/0059
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der G, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 317.166/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Ehemann der Beschwerdeführerin Arben G. - beide stammen aus dem Kosovo - war erstmals 1998 nach Österreich gekommen, kehrte aber nach einem erfolglosen Asylverfahren wieder in sein Heimatland zurück.
Ende April 2002 reiste Arben G. neuerlich (illegal) nach Österreich ein und stellte einen weiteren Asylantrag, den er nach der am erfolgten Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin wieder zurückzog. In der Folge wurde ihm im Hinblick auf diese Ehe eine vom bis befristete Niederlassungsbewilligung erteilt, die am mit einer Gültigkeit bis verlängert wurde. Die erwähnte Ehe wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt, weil sie ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden sei, Arben G. eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung zu verschaffen.
Am heirateten Arben G. und die Beschwerdeführerin. Diese stellte sodann bei der österreichischen Botschaft in Skopje am einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" nach § 20 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG).
Am brachte Arben G. einen auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck nach § 13 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 6a FrG gerichteten Verlängerungsantrag ein. Wegen der von ihm geschlossenen Scheinehe erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gegen Arben G. mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom die aufschiebende Wirkung zuerkannt. In der Folge hob der Verwaltungsgerichtshof den genannten Berufungsbescheid mit Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0567, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Der an den (zuständigen) Landeshauptmann von Niederösterreich (LH) weitergeleitete Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels war von diesem mit Bescheid vom abgewiesen worden, weil die Voraussetzung für eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 46 Abs. 4 des (am in Kraft getretenen) Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), dass der Zusammenführende über einen der dort genannten Aufenthaltstitel verfügen müsse, nicht erfüllt sei.
In der gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom erhobenen Berufung trat die Beschwerdeführerin der vorgenommenen Deutung ihres Antrages nicht entgegen. Sie verwies aber einerseits auf den - infolge des am gestellten Verlängerungsantrages - rechtmäßigen Aufenthalt ihres Ehemannes und machte andererseits geltend, dass sie einen aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Familienzusammenführung habe. Sie stellte daher auch ausdrücklich einen Antrag auf Feststellung, dass in ihrem Fall humanitäre Gründe vorlägen. Zur Begründung dieses Antrages brachte sie vor, ihr Ehemann lebe seit 2002 in Österreich, sei berufstätig und bestens integriert. Unter Bedachtnahme auf die unsichere politische und wirtschaftliche Lage im Kosovo sei ihm eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde nach zusammengefasster Darstellung des bisherigen Verfahrensganges unter Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, aufgrund der nunmehr geltenden Rechtslage sei der Antrag der Beschwerdeführerin vom als Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu werten. Aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt gehe hervor, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin nie über einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 46 Abs. 4 lit. a bis d NAG verfügt habe und derzeit keinen gültigen Aufenthaltstitel besitze. Gegen ihn sei vielmehr ein Aufenthaltverbot erlassen worden, das "mit " in Rechtskraft erwachsen sei. Da sich die von der Beschwerdeführerin beantragte Niederlassungsbewilligung vom Aufenthaltsrecht ihres Ehemannes ableite, dieser aber derzeit über keinen Aufenthaltstitel für die Republik Österreich verfüge, fehle die "Rechtsgrundlage" für die von der Beschwerdeführerin angestrebte Niederlassungsbewilligung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Eingangs ist in Erwiderung auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen neuerlich klarzustellen, dass ein einen Aufenthaltstitel versagender Bescheid kein "civil right" im Sinn des Art. 6 EMRK berührt (siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0202, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0766, mit weiteren Nachweisen; siehe auch Grabenwarter , Europäische Menschenrechtskonvention4, 335). Die Ausführungen in der Beschwerde bieten keinen Anlass, von dieser Auffassung abzugehen. Die Beschwerde führt nämlich für ein weites Verständnis des Begriffes "civil rights" in Art. 6 EMRK in dem Sinn, dass davon auch Verfahren über die Erteilung von Aufenthaltstiteln (mit dem Zweck des Familiennachzuges) erfasst wären, nur rechtspolitische Überlegungen ins Treffen und beruft sich in diesem Zusammenhang lediglich auf die in der Minderheit gebliebene Meinung von zwei Richtern in einem Erkenntnis des EGMR aus dem Jahr 2000. Dass der Gerichtshof dieser Meinung in späteren Entscheidungen gefolgt wäre, vermag die Beschwerde nicht darzulegen.
Vorauszuschicken ist weiters, dass die Administrativbehörden das Verfahren über den gegenständlichen, bereits am gestellten Antrag zutreffend nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG zu Ende geführt haben (vgl. die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 1 NAG). Die Behörden haben aber ebenfalls zutreffend den auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zur Familienzusammenführung der Beschwerdeführerin mit ihrem drittstaatszugehörigen Ehemann gerichteten Antrag nach dem FrG als solchen auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 46 Abs. 4 NAG gewertet. Dagegen wird auch in der Beschwerde nichts vorgetragen. Die genannte Bestimmung lautet in der hier maßgeblichen Stammfassung samt Überschrift:
"Bestimmungen über die Familienzusammenführung
§ 46. ...
(4) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist eine 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' zu erteilen, wenn
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1. | sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen; |
2. | ein Quotenplatz vorhanden ist und |
3. | der Zusammenführende |
a) | einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' innehat; |
b) | eine 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' innehat; |
c) | eine Niederlassungsbewilligung außer eine 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit' nach § 42 innehat und die Integrationsvereinbarung (§ 14) erfüllt hat oder |
d) | Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt." |
In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass dem Ehemann der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides kein damals gültiger Aufenthaltstitel erteilt worden war. Nach der zitierten Bestimmung ist Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen aber (u.a.) nur dann eine "Niederlassungsbewilligung | - beschränkt" zu erteilen, wenn der Zusammenführende einen der in Z 3 genannten Aufenthaltstitel "innehat" (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0440). Diese Voraussetzung war somit im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedenfalls nicht erfüllt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Aufenthalt des Ehemannes der Beschwerdeführerin im Hinblick auf den rechtzeitigen Verlängerungsantrag während des hierüber geführten Verfahrens formell rechtmäßig war. |
Soweit die Beschwerdeführerin meint, nach der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. | September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251/12) genüge ein rechtmäßiger Aufenthalt und das Erfordernis des § 46 Abs. 4 NAG betreffend die Innehabung bestimmter Aufenthaltstitel stehe dazu im Widerspruch, kann ihr nicht gefolgt werden. Die diesbezügliche Argumentation in der Beschwerde blendet nämlich Art 3 Abs. 1 dieser Richtlinie völlig aus; dieser lautet wie folgt: |
"Artikel 3 |
(1) Diese Richtlinie findet Anwendung, wenn der Zusammenführende im Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit ist, begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen, und seine Familienangehörigen Drittstaatsangehörige sind, wobei ihre Rechtsstellung unerheblich ist."
Nun ist nach der wiedergegebenen Aktenlage schon evident, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides nicht "im Besitz" eines Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit war. Es bedarf aber auch keiner weiteren Erörterung, dass er angesichts des gegen ihn erlassenen, auf das Eingehen einer (wie bindend feststeht:) Scheinehe gegründeten Aufenthaltsverbotes - mag der Verwaltungsgerichtshof der dagegen gerichteten Beschwerde auch die aufschiebende Wirkung zuerkannt haben - überdies keine "begründete Aussicht" darauf hatte, ein "dauerhaftes Aufenthaltsrecht" zu erlangen. Aus dem Hinweis auf die Richtlinie 2003/86/EG ist daher für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen.
Die Beschwerde führt allerdings der Einwand, es bestehe ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug und die belangte Behörde habe das Vorliegen dieses in der Berufung geltend gemachten (besonders) berücksichtigungswürdigen Grundes iSd § 72 Abs. 1 NAG "einfach ignoriert", zum Erfolg:
Gemäß § 73 Abs. 4 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) kann der Fremde gleichzeitig mit der Einbringung eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung gemäß § 46 Abs. 4 NAG oder während der Anhängigkeit eines Verfahrens hierüber zur Klärung der Vorfrage, ob humanitäre Gründe - etwa ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familienzusammenführung - vorliegen, einen gesonderten Antrag auf Feststellung einbringen. Von dieser Möglichkeit hat die Beschwerdeführerin in der Berufung Gebrauch gemacht. Über einen solchen Antrag ist als Vorfrage zur Prüfung humanitärer Gründe gesondert zu entscheiden, wenn diesem Antrag nicht Rechnung getragen wird.
Dies hat die belangte Behörde verkannt, indem sie mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag in der Hauptsache abgewiesen hat, ohne auf den gestellten Antrag nach § 73 Abs. 4 NAG überhaupt einzugehen. Bei richtiger Vorgangsweise hätte die belangte Behörde zuerst den Feststellungsantrag nach § 73 Abs. 4 NAG prüfen müssen. Erst nach dessen (allfälliger) Abweisung wäre über den Hauptantrag - unter einem oder in einem gesonderten Bescheid - zu entscheiden gewesen (siehe zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0286; vgl. daran anschließend etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0651).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG konnte von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf die mit EUR 220,-- verzeichnete Eingabengebühr weil im Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde im Jänner 2008 nur ein Betrag von EUR 180,-- zu entrichten war (vgl. § 24 Abs. 3 Z 2 erster Satz VwGG in der Fassung vor der erst am in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 4/2008).
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-82518