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VwGH vom 21.04.2011, 2011/01/0120

VwGH vom 21.04.2011, 2011/01/0120

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der NZ in S, geboren 1945, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 256.723/5E-VIII/22/05, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige russischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation zulässig sei, und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.), stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 50 Abs. 1 FPG fest, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Russland" nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.), und erteilte ihr gemäß § 8 iVm § 15 Abs. 3 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt 3.). In der Begründung ging die belangte Behörde von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin aus und stellte unter anderem fest, dass ihr Sohn im Jahr 1996 von russischen Kräften getötet und die Beschwerdeführerin bei diesem Vorfall auf den Kopf geschlagen worden sei. Im Jahr 2003 sei die Beschwerdeführerin im Zuge der Suche nach ihrem Schwiegersohn nochmals auf den Kopf geschlagen worden. In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, dass sich die Beschwerdeführerin selbst in keiner Weise für die tschetschenische Sache engagiert habe und auch keinen persönlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Die von ihr glaubwürdig geschilderten Übergriffe seien im Zuge der Tötung ihres Sohnes bzw. der Suche nach ihrem Schwiegersohn erfolgt und somit nicht als gegen die Beschwerdeführerin selbst gerichtete Verfolgungshandlungen aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe, sondern allenfalls als Übergriffe russischer Kräfte, die aus der allgemeinen bürgerkriegsähnlichen Situation resultierten, zu qualifizieren. Im Rahmen der Prüfung des Refoulements legte die belangte Behörde unter anderem dar, dass dem Schwiegersohn der Beschwerdeführerin Asyl gewährt und dieses Asyl auf ihre Tochter erstreckt worden sei; auch weitere Familienangehörige hätten in Österreich Asyl erhalten.

Gegen Spruchpunkt 1. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde habe festgestellt, dass der Sohn der Beschwerdeführerin im ersten tschetschenischen Krieg erschossen und ihr Schwiegersohn bis zur Ausreise gesucht worden sei. Die Beschwerdeführerin verweist dazu auf den der Beschwerde angeschlossenen, ihren Schwiegersohn betreffenden Bescheid der belangten Behörde und führt aus, dass diesem Asyl gewährt worden sei, weil er tschetschenische Kämpfer in vielfältiger Weise unterstützt habe und deshalb ins Visier russischer Kräfte gelangt sei. Es sei - auch aus der im Verfahren eingeholten Auskunft der Staatendokumentation - allgemein bekannt, dass sich Verfolgungshandlungen in Tschetschenien nicht nur konkret gegen jene Personen richten würden, die eines terroristischen Aktes oder der Verbindung zu Widerstandskämpfern verdächtig seien, sondern immer auch gegen ihr Umfeld. Nahe Angehörige seien daher genauso bedroht, wie die gesuchte oder verdächtige Person selbst, weil sie als Druckmittel gegen diese Personen benutzt werden würden. Die Beschwerdeführerin sei als Mutter und Schwiegermutter von Widerstandskämpfern und Unterstützern derselben abgestempelt. Wegen ihres Schwiegersohnes bestehe für die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Tschetschenien die dringende Gefahr, in Sippenhaftung genommen zu werden.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Begründungsmangel auf.

Nach den Ausführungen der belangten Behörde in ihrem den Schwiegersohn der Beschwerdeführerin betreffenden Bescheid vom , sei dieser bereits im Zuge des ersten tschetschenischen Krieges festgenommen und misshandelt worden. In den Jahren 1995 und 1996 sei er im Zuge von Kampfhandlungen verletzt, und im Jahr 2000 gemeinsam mit anderen Personen einige Tage als "lebendes Schutzschild" gegen die Kämpfer eingesetzt worden. Im Jahr 2002 sei er erneut festgenommen, misshandelt und schließlich nur gegen Lösegeldzahlung freigelassen worden; es seien immer wieder maskierte Männer zu ihm und seiner Ehefrau gekommen. Sein Vater und sein Bruder hätten bereits in Österreich Asyl erhalten. Der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin habe tschetschenische Kämpfer in vielfältiger Weise unterstützt und sei deshalb ins Visier russischer Kräfte gelangt. Er habe sich relativ intensiv für die tschetschenische Sache engagiert und sei auch persönlich sehr intensiv von Verfolgungshandlungen russischer Kräfte betroffen gewesen, wobei es sich zumindest teilweise um persönliche Verfolgungsmaßnahmen gehandelt habe.

Aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich zudem, dass "das Verschwindenlassen von Zivilisten, Personen, die verdächtigt werden, auf der tschetschenischen Seite zu kämpfen, bzw. von deren Angehörigen" in Tschetschenien an der Tagesordnung stehe. Die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, sei eine neue Besorgnis erregende Entwicklung.

Ausgehend davon hätte es aber nachvollziehbarer Erwägungen der belangten Behörde dahingehend bedurft, warum die Beschwerdeführerin trotz der familiären Verbundenheit zu ihrem in Tschetschenien verfolgten Schwiegersohn nicht zu jener Gruppe von gefährdeten Personen zählen soll, denen ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt wird und die deshalb im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten würden (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/19/0012, und vom , Zl. 2008/19/0705).

Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, weshalb der angefochtene Bescheid im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die begehrte Umsatzsteuer im zuerkannten Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-82517