VwGH vom 21.04.2011, 2011/01/0119
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des BG in B, geboren 1966, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in 2540 Bad Vöslau, Anton-Bauer-Straße 2a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 304.318-C1/E1-II/04/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Mongolei, beantragte am Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er in seiner Heimat als Funker bei einer Militäreinheit tätig gewesen sei; zu seinen Aufgaben habe es gehört, den Inhalt verschiedener geheimer militärischer Nachrichten weiter zu morsen. Am sei er von seinem Chef verdächtigt worden, für das Verschwinden eines solchen Schriftstückes verantwortlich zu sein; sein Chef habe vermutet, dass der Beschwerdeführer wegen seiner chinesischen Abstammung das Schriftstück an Chinesen weiter gegeben habe. Man habe ihn zum Militärgericht bringen wollen, weshalb der Beschwerdeführer weggelaufen sei. Am Abend sei er von zwei Personen in Zivil von zuhause abgeholt, mit dem Auto weggebracht und bedroht worden. Der Beschwerdeführer habe sich gewehrt und es sei ihm die Flucht gelungen. Danach habe er seine Heimat verlassen.
Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Mongolei zulässig sei (Spruchpunkt II.), und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesasylamt aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei wegen unplausibler und nicht nachvollziehbarer Angaben unglaubwürdig. Auch aus der allgemeinen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers ergebe sich keine Gefahr iSd § 8 Abs. 2 AsylG. Der Beschwerdeführer befinde sich ohne Begleitung im Bundesgebiet, habe keinerlei Bindungen an Österreich und bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Es liege somit kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vor, weshalb die Ausweisung keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung trat der Beschwerdeführer der erstinstanzlichen Beweiswürdigung substantiiert entgegen.
Am langte bei der belangten Behörde ein am erstelltes Gutachten eines Sachverständigen ein, in welchem dieser zur Identität des Beschwerdeführers, zu seinem Reiseweg und zum Gefährdungsvorbringen Stellung nahm. Dieses Gutachten übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, welcher dazu mit Schreiben vom eine Stellungnahme abgab, in welcher er Ungereimtheiten und unrichtige Angaben im Gutachten aufzeigte, die Sachkunde des Sachverständigen in Zweifel zog, ihm mangelnde Sorgfalt bei der Durchführung von Erhebungen in seiner Heimat vorwarf und den Ausführungen des Sachverständigen inhaltlich entgegen trat. Weiters kündigte der Beschwerdeführer an, dass ihm eine Kopie seines Personalausweises aus der Mongolei übermittelt werde, und legte diesen in der Folge der Behörde vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß "§ 7 bzw. § 8 Abs. 1 und 2 AsylG" ab. Nach wörtlicher Wiedergabe der beweiswürdigenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, des Gutachtens des Sachverständigen und der dazu ergangenen Stellungnahme des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, dass der Entscheidung "in Bezug auf die konkrete Sphäre des Beschwerdeführers" das Ergebnis der sachverständigen Erhebungen vor Ort zu Grunde liege, wonach der Beschwerdeführer "vollständig falsche Identitätsangaben erstattet habe". Darüber hinaus schließe sich die belangte Behörde den beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes an, zumal diese mit der Einschätzung des "zugezogenen landeskundlichen Sachverständigen zusammenstimmt". In allgemein landeskundlicher Hinsicht verwies sie auf die im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen.
Weiters führte die belangte Behörde aus, aus dem landeskundlichen Gutachten ergebe sich, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt "in zentralen Punkten - betreffend jedenfalls die 'Personaldaten' sämtlicher maßgeblicher Figuren seiner Geschichte, wohl aber auch hinsichtlich der Modalitäten seiner Ausreise - sichtlich die Unwahrheit gesagt" habe, weshalb die Auffassung des Bundesasylamtes zur mangelnden Glaubwürdigkeit des Gefährdungsvorbringens geteilt werde. Die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom vorgebrachten Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen seien nicht geeignet, die belangte Behörde zu einer anderen Entscheidung gelangen zu lassen. Zwar treffe es zu, dass der Sachverständige das Gefährdungsvorbringen des Beschwerdeführers "zumindest äußerst missverständlich zusammengefasst" habe, auf diese Ausführungen habe sich die belangte Behörde jedoch nicht gestützt. Dass der Sachverständige eine nicht zu diesem Verfahren gehörende Fassung eines Textbausteins im Text belassen habe, sei eine redaktionelle Nachlässigkeit aus der für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen sei. In Bezug auf die "bei der zentralen staatlichen Personenregisterstelle" durchgeführten Erhebungen habe die belangte Behörde volles Vertrauen zur sachlichen Richtigkeit dieser Erhebungen, zumal der betreffende Sachverständige derartige Erhebungen bereits in der Vergangenheit korrekt durchgeführt habe. Die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom angekündigte Vorlage einer Kopie seines Personalausweises unterliege dem Neuerungsverbot, da dieser bereits vom Bundesasylamt aufgefordert worden sei, identitätsbezeugende Dokumente beizuschaffen. Da auch keinerlei Anhaltspunkte dafür hervorgekommen seien, dass der Beschwerdeführer auf Grund der "allgemeinen Eigenschaften des Herkunftsstaates" Schutz benötige, sei "die Beschwerde zunächst im Grunde des § 7 bzw. § 8 Abs. 1 AsylG" abzuweisen gewesen.
Zur Ausweisung führte die belangte Behörde aus, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Bundesasylamt die "ihm nach § 8 Abs. 2 AsylG zu lösen aufgetragene Rechtsfrage falsch beantwortet hätte".
Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung sei gemäß Art. II Abs. 2 lit. d Z. 43 EGVG nicht erforderlich gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde tritt den Ausführungen des Sachverständigen in dessen Gutachten entgegen und macht unter anderem Begründungsmängel sowie die Verletzung der Verhandlungspflicht durch die belangte Behörde geltend. Durch mündliche Befragung des Sachverständigen und des Beschwerdeführers hätte eine Klärung der für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen herbeigeführt werden können, was im schriftlichen Weg nicht gelungen sei.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde wesentliche Verfahrensmängel auf.
Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/0216 und 0217, mwN).
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0550, mwN).
Im vorliegenden Fall nahm die belangte Behörde begründungslos von einer Berufungsverhandlung Abstand. Der Beschwerdeführer hat aber die erstinstanzliche Beweiswürdigung in seiner Berufung substantiiert bekämpft und die belangte Behörde stützte sich im angefochtenen Bescheid auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse, nämlich auf das von ihr eingeholte Gutachten eines Sachverständigen, weshalb die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes nicht erfüllt war. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, eine Berufungsverhandlung abzuhalten.
Dazu kommt, dass der angefochtene Bescheid den oben dargestellten Begründungserfordernissen nicht gerecht wird. Die belangte Behörde hat sich mit dem Gutachten des Sachverständigen, welchem weder ein Befund noch die Grundlagen zu entnehmen sind, auf welche der Sachverständige seine Einschätzungen stützte, nicht näher auseinander gesetzt und die vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einwände nicht ausreichend berücksichtigt. So ist die Behauptung der belangten Behörde, sie habe sich auf das vom Sachverständigen in seinem Gutachten wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gestützt, weder geeignet, das Argument des Beschwerdeführers zu entkräften, der Sachverständige habe sich mit seinem Vorbringen nicht ausreichend befasst, noch ist sie wegen des Fehlens expliziter Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers einer Überprüfung zugänglich. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände zum als Auskunftsperson befragten Leutnant hat die belangte Behörde zudem gänzlich unberücksichtigt gelassen.
Da nach dem Beschwerdevorbringen auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-82512