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VwGH vom 17.05.2011, 2011/01/0113

VwGH vom 17.05.2011, 2011/01/0113

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser und Dr. Hofbauer sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des MG alias GA alias A in W, geboren 1966, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 219.574/6-VI/18/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Kuwait stammender Staatenloser, beantragte erstmals am Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, in Kuwait, wo er bis zum Jahr 1994 gelebt habe, von einem Gericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden zu sein; der Familie sei vorgeworfen worden, mit "den Irakern" zusammengearbeitet zu haben. Von 1994 bis 2000 habe er sich im Irak aufgehalten.

Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig sei.

Mit am beim Bundesasylamt eingelangtem Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer Berufung gegen diesen Bescheid.

Am langte bei der belangten Behörde eine Meldung der Bundespolizeidirektion Wien ein, wonach der Beschwerdeführer an der zuletzt bekannten Adresse in der G.gasse in Wien nicht mehr aufhältig und laut Melderegister seit nicht mehr gemeldet sei. Daraufhin verfügte die belangte Behörde mit Aktenvermerk vom die Einstellung des Berufungsverfahrens gemäß § 30 Abs. 1 AsylG, weil eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht möglich sei.

Am langte bei der belangten Behörde eine Meldung der Bundespolizeidirektion Wien ein, wonach der Beschwerdeführer anlässlich einer Vorsprache angegeben habe, vor ca. zwei Monaten in die L.gasse in Wien verzogen zu sein und sich am dort angemeldet zu haben. Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde die Fortsetzung seines eingestellten Verfahrens und übermittelte gleichzeitig einen Meldezettel mit seiner gegenwärtigen Adresse in der L.gasse in Wien.

Unter Hinweis auf den vom Beschwerdeführer gestellten Fortsetzungsantrag ersuchte die belangte Behörde mit Telefax vom das Bundesasylamt um Übermittlung des bezughabenden Verwaltungsaktes. Mit dem am bei der belangten Behörde eingelangten Schreiben gab der Beschwerdeführer seine neue Adresse in A. bekannt. In ihren Aktenvermerken vom und vom hielt die belangte Behörde jeweils fest, dass der Beschwerdeführer laut telefonischer Meldeauskunft in A. aufrecht gemeldet sei. Am führte die belangte Behörde eine Abfrage aus dem Zentralen Melderegister durch, aus welcher sich ergab, dass der Beschwerdeführer bis an der Adresse in A. gemeldet gewesen sei; für den Zeitraum danach schienen keine aufrechten Meldedaten auf.

Daraufhin verfasste die belangte Behörde am einen "Aktenvermerk zu Einstellung gem. § 30 AsylG", in welchem sie zunächst auf die bereits am erfolgte Einstellung des Verfahrens verwies. Der Beschwerdeführer habe in der Folge die Fortsetzung des Verfahrens beantragt, doch sei er laut Aktenlage erneut ohne aufrechte Meldung. Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG bleibe das gegenständliche Berufungsverfahren somit eingestellt, da eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers weiterhin nicht möglich sei.

Im Rahmen seiner vor der Bundespolizeidirektion Salzburg durchgeführten Einvernahme am teilte der Beschwerdeführer mit, dass er einen neuen Asylantrag stellen bzw. seinen bereits eingebrachten Antrag aufrechterhalten wolle. Am gab der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt seine aktuelle Zustelladresse bekannt. Mit Schreiben vom teilte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer mit, dass sein Asylverfahren mit eingestellt worden sei, weshalb eine Fortsetzung des Verfahrens nun nicht mehr zulässig sei. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am den nunmehr gegenständlichen zweiten Asylantrag.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kuwait zulässig sei, und verfügte gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dessen Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde in Erledigung der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung den erstinstanzlichen Bescheidspruch dahin ab, dass sie dessen Asylantrag vom gemäß "§ 68 Abs. 1 AVG iVm § 30 Abs. 2 AsylG" als unzulässig zurückwies. Begründend verwies die belangte Behörde zunächst auf die mit verfügte Einstellung des Berufungsverfahrens. Der Beschwerdeführer habe einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt, sei jedoch bereits kurze Zeit darauf erneut unbekannten Aufenthalts gewesen, da er laut Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister erneut nach unbekannt abgemeldet worden sei. "Die beabsichtigte Durchführung einer Berufungsverhandlung war somit denkunmöglich, mit Aktenvermerk vom blieb das Berufungsverfahren eingestellt, konnte bis zum heutigen Tag auch nicht fortgesetzt und abgeschlossen werden, da die Einstellung mehr als 3 Jahre andauerte (§ 30 Abs. 2 AsylG)". Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 AsylG sei eine Fortsetzung des Verfahrens nach Ablauf von drei Jahren nicht mehr möglich. Der Gesetzgeber habe damit verhindern wollen, "dass nach Ablauf von drei Jahren nach Einstellung des Verfahrens der identische Sachverhalt neuerlich gegenüber den Asylbehörden vorgebracht werden kann bzw. soll verhindert werden, dass die Asylbehörden nach dreijähriger Einstellung des Verfahrens inhaltlich über das ursprüngliche Asylbegehren entscheiden müssen". Dieser Systematik würde es zuwiderlaufen, wenn es dem Beschwerdeführer frei stünde, nach Ablauf von drei Jahren das idente Vorbringen erneut gegenüber den Asylbehörden geltend zu machen, sodass diese erneut über das ursprüngliche Vorbringen entscheiden müssten. Das gegenständliche Verfahren weise zudem die Besonderheit auf, dass das Bundesasylamt bereits eine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag vom getroffen habe und letztlich nur das Berufungsverfahren einzustellen gewesen sei. Da der Beschwerdeführer die nunmehr im Asylantrag geltend gemachten Fluchtgründe bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht habe, sei aus Sicht der belangten Behörde der Folgeantrag vom "im Hinblick auf die genannten Bestimmungen des § 68 AVG bzw. § 30 Abs. 2 AsylG unzulässig".

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, über den vom Beschwerdeführer gestellten Fortsetzungsantrag nicht mit Bescheid abgesprochen, sondern am einen Aktenvermerk verfasst zu haben, wonach das Asylverfahren eingestellt bleibe. Da die belangte Behörde über den Fortsetzungsantrag des Beschwerdeführers noch nicht entschieden habe, könne auch keine Einstellung des Verfahrens vorliegen. Der zweite Asylantrag des Beschwerdeführers beziehe sich zudem deutlich auf seinen Asylantrag vom "" und wäre daher lediglich als weitere Eingabe in einem anhängigen Verfahren zu werten gewesen. Darüber hinaus sei der Sachverhalt zur angeblichen Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht ausreichend erhoben worden. Die belangte Behörde habe die Abwesenheit des Beschwerdeführers lediglich mit dessen erfolgter Abmeldung nach den Bestimmungen des Meldegesetzes begründet, was jedoch nichts über die tatsächliche Anwesenheit einer Person an einer Adresse aussage. Das Bundesasylamt habe dazu eine Beweisaufnahme durch Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt, deren Ergebnisse jedoch nicht verwertet worden seien. Der Beschwerdeführer habe dazu angegeben, dass er bei jemandem gewohnt habe, der dann verzogen sei, dass er selbst an dieser Adresse jedoch nach wie vor aufhältig geblieben wäre.

Schon mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde verfügte zunächst mit Aktenvermerk vom die Einstellung des Berufungsverfahrens gemäß § 30 Abs. 1 AsylG, weil der Beschwerdeführer laut der von der Bundespolizeidirektion Wien erstatteten Meldung an der zuletzt bekannten Adresse in der G.gasse in Wien nicht mehr aufhältig und seit nicht mehr gemeldet gewesen sei. Nach Einlangen des Fortsetzungsantrages des Beschwerdeführers am , somit innerhalb der in § 30 Abs. 2 AsylG normierten Frist von drei Jahren, forderte die belangte Behörde den den Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungsakt vom Bundesasylamt an und führte mehrere Meldeanfragen betreffend den Beschwerdeführer durch. Diese von der belangten Behörde gesetzten, konkreten Verfahrensschritte sind aber bereits ausreichend, um von einer Verfahrensfortsetzung im Sinn des § 30 Abs. 2 AsylG sprechen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0019). Im Hinblick auf die bereits erfolgte Fortsetzung des Verfahrens erweist sich die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach das Verfahren (offenbar gemeint: weiterhin) eingestellt bleibe, somit als verfehlt.

Für den Fall, dass im fortgesetzten Verfahren neuerlich die Voraussetzungen für eine Einstellung vorgelegen hätten, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, das Verfahren erneut formlos einzustellen. Dieser Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung wäre für den Beginn des Fristenlaufes des § 30 Abs. 2 AsylG relevant gewesen. Ab diesem Zeitpunkt läuft die dort genannte Frist von drei Jahren, innerhalb der auf Antrag oder von Amts wegen das Verfahren fortgesetzt werden kann (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 99/20/0046, mwN).

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob das Verfahren mittels Aktenvermerk der belangten Behörde vom zu Recht erneut eingestellt worden war, weil selbst ausgehend von diesem für den Beginn des Fristenlaufes maßgeblichen Zeitpunkt die in § 30 Abs. 2 AsylG normierte Frist von drei Jahren jedenfalls zum Zeitpunkt der Einbringung des zweiten Asylantrages vom noch nicht abgelaufen gewesen wäre. Ausgehend davon wäre die belangte Behörde aber zur Fortsetzung des Verfahrens über die vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom verpflichtet gewesen. Da somit das ursprüngliche Asylverfahren fortzusetzen und der zweite Asylantrag in dieses Verfahren einzubeziehen gewesen wäre, erweist sich die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Zurückweisung des zweiten Asylantrages wegen entschiedener Sache schon aus diesem Grund als rechtswidrig. Bei diesem Ergebnis braucht auf die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides nicht weiter eingegangen werden.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am