VwGH vom 19.05.2011, 2008/21/0042
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des M, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr-1308/07, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom wurde der Asylantrag abgewiesen und zugleich festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia nicht zulässig sei. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt und zuletzt gemäß § 52 Abs. 1 Asylgesetz 2005 eine Karte für subsidiär Schutzberechtigte mit einer Gültigkeit bis zum ausgestellt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom wurde der Beschwerdeführer in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hatte dem Urteil zufolge unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, der Ärztin Dr. R durch Versetzen von zwei wuchtigen Messerstichen eine ca. 4 cm tiefe Stichwunde im Bereich oberhalb des Schulterblattes und eine ca. 5 cm tiefe Stichwunde im Bereich des linken großen Oberschenkelmuskels, die auf Grund der Tiefe und der starken Blutung operativ behandelt werden musste, absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge, nämlich eine auffallende Verunstaltung im Bereich der Einstichstellen nach sich zog. Weiters hatte er Dr. R durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Ausstellung eines Rezeptes gegen Aids zu nötigen versucht. Wäre der Beschwerdeführer zu den Tatzeiten zurechnungsfähig gewesen, wären ihm die Taten als Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach den §§ 87 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB und als Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15, 105, 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall StGB zuzurechnen gewesen. Aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Jahres 2004 Veränderungen in seinem körperlichen Wohlbefinden bemerkt und deswegen diverse Ärzte konsultiert hatte. Während eines stationären Krankenhausaufenthaltes war ein Aidstest mit negativem Ergebnis durchgeführt worden, und dem Beschwerdeführer wurde wiederholt bestätigt, dass er definitiv nicht an Aids erkrankt sei. Da sich seine körperlichen Beschwerden und Schwächezustände seiner Ansicht nach aber nicht besserten, reifte in ihm die fixe Idee, an Aids erkrankt zu sein. In der falschen Überzeugung, am HI-Virus zu leiden, hatte er zunächst Dr. K und dann Dr. R aufgefordert, ihm ein Rezept gegen Aids auszustellen. Nachdem sich beide geweigert hatten, zog er ein mitgebrachtes Messer, hat es Dr. R entgegengehalten und geäußert, dass er sie nicht umbringen wolle, jedoch von ihr ein Rezept gegen Aids haben wolle. Dr. R lehnte dennoch die Ausstellung eines Rezepts ab, woraufhin der Beschwerdeführer ihr den Weg zum Ausgang versperrte. In der Folge kam es zu einem Gerangel, wobei der Beschwerdeführer Dr. R mit dem Messer die genannten Verletzungen zufügte. In einem vom Gericht eingeholten und in der Urteilsbegründung wiedergegebenen psychiatrischen Sachverständigengutachten wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit zumindest einem halben Jahr an einer mittelschweren bis schweren Depression mit psychotischer Symptomatik gelitten habe. Zum Tatbegehungszeitpunkt habe er sich in einem emotional hochgradig eingeengten Zustand befunden, zumal er abgesehen von seiner Depression sozial isoliert gewesen sei, sich kaum verstanden und wahnhaft wehrlos gefühlt habe. Er sei an diesem Tag verzweifelt gewesen und habe sich in einem wahnhaft beeinträchtigten Umweltbezug befunden, der ihn außer Stande setzte, das Unrecht seines Tuns in ausreichendem Maß einzusehen und sein Verhalten einer solchen Einsicht entsprechend zu steuern. Seine Realitätsbetrachtung sei durch die bestehende Aidsangst, sein Affekt durch die ausschließlich negative Affizierbarkeit und sein Handeln und Planen durch seine Nosophobie erheblich eingeengt gewesen, weshalb einerseits von seiner Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB und andererseits von einer höhergradigen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB auszugehen sei, die seine Wahrnehmung, Emotion, sein Denken, Planen, die Realität und seine Sozialkontakte dominiere. Das Gericht stellte daher fest, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig gewesen sei. Auf Grund des weiterhin bestehenden Krankheitsbildes sei zu befürchten, dass er weitere strafbare Handlungen bis zu lebensgefährlichen Attacken und somit mit schweren Folgen begehen werde.
Mit Bescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass gemäß § 62 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 FPG ein unbefristetes Rückkehrverbot verhängt werde.
Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung des Sachverhalts und der Rechtslage zunächst aus, dass im Hinblick auf den Status des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigten kein Aufenthaltsverbot, sondern - gemäß § 1 Abs. 2 (letzter Satz) FPG - nur ein Rückkehrverbot erlassen werden könne. Dabei habe die Behörde zu beurteilen, ob der Aufenthalt des Fremden gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 FPG die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder gemäß § 60 Abs. 1 Z 2 FPG im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Im Fall des Beschwerdeführers bestehe die erhebliche Gefahr, dass er auf Grund des bereits gesetzten Verhaltens auch weiterhin eine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit anderer darstelle, indem er auch in Zukunft Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung begehen werde. Auch wenn er durch die Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher mittlerweile in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung stehe, könne nicht angenommen werden, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass im Zuge der Therapie eine Reduzierung des von ihm ausgehenden Gewaltpotentials eintrete, könne für die Zukunft ein erneuter Ausbruch eines psychotischen Schubs mit erheblichen Gewaltdelikten gegen andere Personen nicht ausgeschlossen werden. Die während seiner Anhaltung in einer Sonderanstalt gegebenen Umstände böten keine Gewähr dafür, dass er nicht eines Tages die Therapie abbrechen und neuerlich eine Gewalttat setzen könnte. Auch lägen sein Fehlverhalten und der danach einsetzende Beginn einer Behandlung noch nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes eine zuverlässige Prognose für einen dauerhaften Erfolg der Therapie getroffen und damit eine wesentliche Verringerung der von ihm ausgehenden Gefahr für die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebenen öffentlichen Interessen angenommen werden könne. Auch unter Berücksichtigung der privaten und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers - er habe keine Angehörigen in Österreich - sei die Erlassung des Rückkehrverbotes dringend geboten (im Sinn des § 66 FPG).
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 letzter Satz FPG kann gegen einen subsidiär Schutzberechtigten ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinn des Abs. 1 u.a. jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Nach dieser Bestimmung liegen solche Tatsachen dann vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Gemäß § 60 Abs. 4 FPG, der gemäß § 62 Abs. 3 FPG auch für die Erlassung von Rückkehrverboten gilt, ist einer Verurteilung nach Abs. 2 Z 1 eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Gefährdungsprognose der belangten Behörde. Sie habe übersehen, dass eine Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB grundsätzlich unbefristet erfolge, wobei das Vollzugsgericht gemäß § 25 Abs. 3 StGB die Notwendigkeit der Anhaltung jährlich zu überprüfen habe. Diese Überprüfung stelle zusammen mit der dazu vorgenommenen fachärztlichen Begutachtung sicher, dass der Beschwerdeführer nur dann aus dem Maßnahmenvollzug entlassen werde, wenn seine Gefährlichkeit für die Gemeinschaft weggefallen sei. Solange die Unterbringung andauere, sei aber ein Vollzug des Rückkehrverbotes im Sinne eines Verbotes seiner Wiedereinreise nach Österreich denkunmöglich, weil er nicht aus Österreich ausreisen könne und dürfe.
Dieses Vorbringen vermag die Beurteilung der belangten Behörde im Hinblick auf die Gefährdungsprognose nicht zu erschüttern. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Erlassung von Aufenthaltsverboten und Rückkehrverboten wegen Tathandlungen, die im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen worden sind und zu einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt haben, in § 60 Abs. 4 (für Rückkehrverbote: in Verbindung mit § 62 Abs. 3) FPG ausdrücklich vorgesehen (vgl. zum bloß klarstellenden Charakter dieser Anordnung das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0579). Auch wenn die Aufhebung der Unterbringung erst dann erfolgt, wenn sie vom Gericht - auf Grund entsprechender Gutachten - nicht mehr zur Verhinderung von Straftaten mit schweren Folgen für notwendig erachtet wird, schließt das nicht aus, dass aus fremdenrechtlicher Sicht (auch über die Dauer der Unterbringung hinaus) eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu bejahen sein kann, die ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot erfordert (vgl. zum eigenständigen fremdenpolizeilichen Beurteilungsmaßstab unabhängig von den - dort: die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden - Erwägungen des Strafgerichtes etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0096, mwN). Das Vorliegen einer solchen Gefährdung (auch für die vorliegend maßgebliche Zeit nach der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, wie oben wiedergegeben, schlüssig dargelegt.
Die Beschwerde rügt weiters, dass die belangte Behörde dadurch, dass sie anstelle des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes ein Rückkehrverbot erlassen habe, ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde überschritten habe.
Damit stellt sich die Frage des Verhältnisses eines Rückkehrverbotes zu einem Aufenthaltsverbot. Die Berufungsbehörde darf nämlich sachlich nicht über mehr absprechen, als Gegenstand der Entscheidung der unteren Instanz war; andernfalls leidet der Berufungsbescheid an einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Rechtsmittelbehörde (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG, § 66 Rz. 59, 60, und die dort angeführte hg. Rechtsprechung). Grundsätzlich kann die zu prüfende "Sache" nicht generell, sondern nur auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, welche die konkrete Sache bestimmt, eruiert werden ( Hengstschläger/Leeb , a.a.O., unter Hinweis insbesondere auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 82/11/0270, VwSlg. 11.237 A).
Das FPG sieht in seinem § 62 die Maßnahme des Rückkehrverbotes gegen Asylwerber (und subsidiär Schutzberechtigte) vor. Dem liegt die Intention des Gesetzgebers zu Grunde, dass die Verhängung einer Ausweisung während eines laufenden Asylverfahrens dem Grundsatz widerspreche, während eines Asylverfahrens keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu setzen. Nach den Erläuterungen zu der genannten Bestimmung ist ein Aufenthaltsverbot "eine Ausweisung mit einem korrespondierenden Rückkehrverbot nach Österreich" (952 BlgNR 22. GP 100). Auch damit ist jedenfalls klargestellt, dass ein Aufenthaltsverbot aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0328). Ein Rückkehrverbot ist demnach Teil eines Aufenthaltsverbotes, sodass die Berufungsbehörde, wenn sie anstelle eines Aufenthaltsverbotes ein Rückkehrverbot ausspricht, nicht die "Sache" des Berufungsverfahrens überschreitet (für den Fall, dass der Fremde während eines anhängigen Aufenthaltsverbotsverfahrens einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, ist in § 1 Abs. 2 zweiter und dritter Satz FPG im Übrigen ausdrücklich klargestellt, dass das Verfahren als solches zur Erlassung eines Rückkehrverbotes weiterzuführen und nur über das Rückkehrverbot abzusprechen ist; vgl. auch § 65 Abs. 3 FPG, wonach das Aufenthaltsverbot ex lege zu einem Rückkehrverbot wird, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird; siehe im Ergebnis ebenso das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0696, Pkt. II.4.).
Letztlich ist auch nicht ersichtlich, dass der belangten Behörde bei der Interessenabwägung gemäß § 62 Abs. 3 in Verbindung mit § 66 FPG oder bei der Ausübung des Ermessens - beides wird in der Beschwerde auch nicht kritisiert - ein Fehler anzulasten wäre.
Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am