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VwGH vom 28.05.2008, 2006/09/0102

VwGH vom 28.05.2008, 2006/09/0102

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der S M in W, vertreten durch Dr. Georg Zellhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bartensteingasse 2-4, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGSW/Abt. 3/08115/2006, betreffend Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien vom wurde der Antrag der 1969 geborenen Beschwerdeführerin vom selben Tag auf Ausstellung einer Bestätigung über die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes gemäß § 3 Abs. 8 leg. cit. mit der Begründung abgewiesen, dass Kinder nach Vollendung des 21. Lebensjahres nur dann vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen seien, wenn sie von ihrem österreichischen Elternteil fortgesetzte und regelmäßige Leistungen in einem solchen Umfange erhielten, der es ihnen ermögliche, den wesentlichen Teil ihres Lebensunterhaltes daraus zu bestreiten. Als Richtlinie für die Beurteilung einer ausreichenden Unterhaltsleistung könne der sogenannte Regelbedarfsatz herangezogen werden, der im Jahr 2005 EUR 447,-- betragen habe. Der österreichische Elternteil (Vater) der Beschwerdeführerin verfüge aber lediglich über ein Einkommen von monatlich EUR 814,23 und beziehe darüber hinaus kein weiteres Einkommen. Die Behauptung, er trage wesentlich zum Unterhalt der Beschwerdeführerin bei, sei daher unglaubwürdig.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie ausführte, die von der Behörde erster Instanz vertretene Rechtsmeinung treffe nicht zu, zumal ihr Vater nur einen Teil ihres Unterhaltes zu bestreiten habe und sie mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 1 Abs. 2 lit. m und § 3 Abs. 8 AuslBG keine Folge.

Nach Darstellung der Rechtslage und des bisherigen Verfahrensganges führte die belangte Behörde begründend aus, gemäß dem § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG in der ab dem geltenden Fassung seien die Bestimmungen des AuslBG auf Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger nicht anzuwenden, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt sei. Die Kindeseigenschaft werde in § 2 Abs. 1 Z. 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) festgelegt, wonach Kinder unverheiratete und minderjährige Kinder seien. Die Minderjährigkeit richte sich gemäß § 2 Abs. 4 NAG nach dem ABGB, wonach minderjährig Kinder seien, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In der vor dem geltenden Fassung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG werde darauf abgestellt, ob der österreichische Elternteil dem über 21 Jahre alten Kind Unterhalt gewähre. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihr österreichischer Vater ihr zwischen Antragstellung bis Unterhalt gewährt habe, ab diesem Zeitpunkt könne eine Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG nicht mehr ausgestellt werden, da sie über 18 Jahre alt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2005, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m AuslBG in der am in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 157/2005 sind die Bestimmungen des AuslBG auf freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind (lit. l), sowie

auf EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist (lit. m), nicht anzuwenden.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 157/2005, ist Familienangehöriger, wer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie), wobei die Ehegatten, ausgenommen Ehegatten von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben müssen.

Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerde die Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, weil sie nicht zur Ergänzung ihres Vorbringens in Bezug auf die Unterhaltsleistung ihres Vaters aufgefordert worden sei.

Aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt geht hervor, dass der österreichische Vater der Beschwerdeführerin sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat und dass die Beschwerdeführerin, die das 21. Lebensjahr bereits überschritten hat, sowohl im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über eine Niederlassungsbewilligung nach dem NAG verfügt hat.

Die belangte Behörde hat ihre Abweisung lediglich darauf gestützt, die Kindeseigenschaft werde in § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG definiert und sei im Sinne der dort normierten Legaldefinition einschränkend als "unverheiratete und minderjährige Kinder" zu verstehen, welche Attribute auf die Beschwerdeführerin nicht zuträfen. Diese Rechtsansicht der belangten Behörde ist verfehlt.

Die durch die Nov. BGBl. I Nr. 101/2005 normierte Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG diente nach den Erläuterungen (RV 948 Blg. NR 22. GP, S. 1 und 4) ua. der Umsetzung der "Unionsbürgerrichtlinie" (RL 2004/38/EG vom , in der Folge RL).

Im gegenständlichen Fall geht es - wie ausgeführt - um die Stellung der (drittstaatsangehörigen) Tochter eines österreichischen Staatsbürgers.

Nach den Begriffsbestimmungen des Art. 2 der RL bezeichnet der Ausdruck

"1. 'Unionsbürger' jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2. 'Familienangehöriger'


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a)
den Ehegatten;
b)
den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;
c) die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
..."
Nach Art. 23 dieser RL sind
"die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem
Mitgliedstaat genießen, ... ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit
berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen."
Nach den genannten Bestimmungen der RL kann (nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt des Verbotes der Inländerdiskriminierung) kein Zweifel daran bestehen, dass der Gesetzgeber in Umsetzung der genannten RL unter "Kinder" in der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG Verwandte in gerader absteigender Linie versteht, was ua. auch den §§ 40 und 42 des ABGB entspricht.
Die belangte Behörde beruft sich in ihrer Bescheidbegründung auf die Definition des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG. Damit verkennt sie, dass diese Bestimmung der Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung von Drittstaatsangehörigen (also nicht der Zusammenführung von Unionsbürgern und drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern) dient und es dementsprechend im Beschwerdefall dahingestellt bleiben kann, was "Kernfamilie" iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG bedeutet (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0228).
Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am