VwGH vom 21.04.2011, 2011/01/0090
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie den Hofrat Dr. Blaschek und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des AG alias G in W, geboren 1967, vertreten durch Dr. Franz Thienen-Adlerflycht, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 9/Bäckerstraße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 306.414- C1/11E-XVIII/58/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Weißrusslands, beantragte am Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er seine Heimat auf Grund seiner regimekritischen Tätigkeit als Journalist für die Zeitung "Birscha Informatii" habe verlassen müssen. Zudem habe er als Mitglied der BNF an verschiedenen Protestaktionen teilgenommen. Er sei von der Polizei inhaftiert und aufgefordert worden, seine journalistische Tätigkeit gegen das Regime Lukaschenko aufzugeben. Die Zeitungsredaktion sei in der Folge massivem Druck ausgesetzt und beim Beschwerdeführer seien zwei Hausdurchsuchungen ohne Vorlage eines Durchsuchungsbefehls durchgeführt worden.
Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Weißrussland zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG nach Weißrussland aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesasylamt aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei wegen widersprüchlicher Angaben zur Zeitung "Birscha Informatii" und zu den von ihm angegebenen Festnahmen unglaubwürdig.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung trat der Beschwerdeführer der erstinstanzlichen Beweiswürdigung entgegen.
Mit Schreiben vom forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Vorlage von für das Verfahren relevanten Beweismitteln auf und verfügte die Zustellung dieses Schreibens an die Adresse in 1150 Wien, K-W-Gasse. Auf dem an die belangte Behörde retournierten Rückschein wurde von der Post eine Adresse des Beschwerdeführers in 1100 Wien, A. Gasse, vermerkt. In seiner zu dieser Aufforderung ergangenen Stellungnahme vom bezeichnete der Beschwerdeführer die Adresse in 1100 Wien, A. Gasse, ausdrücklich als seine Zustelladresse.
In der Folge beauftragte die belangte Behörde einen Sachverständigen mit der Durchführung von Erhebungen zur Überprüfung der Angaben des Beschwerdeführers in dessen Heimatland. Am führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers durch, in welcher verschiedene Berichte zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Weißrussland sowie die Anfragebeantwortungen des Sachverständigen vom und verlesen wurden. Die an den Beschwerdeführer gerichtete Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Adresse in 1150 Wien, K-W-Gasse, mit Beginn der Abholfrist am beim zuständigen Postamt hinterlegt und in der Folge mit dem Vermerk "nicht behoben" an die belangte Behörde retourniert.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers "in allen Spruchpunkten" ab. Unter Heranziehung der in der mündlichen Verhandlung verlesenen Berichte und Anfragebeantwortungen traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Weißrussland und verwies zur Lage der ehemaligen Mitglieder der Zeitung "Birscha Informatsii" sowie zur Lage der Mitglieder der BNF auf die in der mündlichen Verhandlung getroffenen Ausführungen. Auch wenn der Beschwerdeführer ehemaliger Mitarbeiter der genannten Zeitung gewesen sei, könne nicht festgestellt werden, dass er deshalb in seiner Heimat der Gefahr von Repressalien ausgesetzt gewesen sei. Es könne weiters nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die von ihm behaupteten ausreisekausalen Artikel verfasst habe, dass er auf Grund seiner Tätigkeit bei der Zeitung sonstigen behördlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei oder dass er auf Grund der behaupteten bloßen Mitgliedschaft bei der BNF einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein soll. Die belangte Behörde schloss sich der erstinstanzlichen Beweiswürdigung mit der Maßgabe an, dass auf Grund des vorgelegten Presseausweises und "des sonstigen Ermittlungsergebnisses die Mitarbeit beim genannten Medium - in welcher Form auch immer - nicht widerlegt" worden sei. Gestützt auf die Anfragebeantwortung vom führte die belangte Behörde aus, es sei ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer bei der genannten Zeitung irgendeine Rolle inne gehabt habe, welche geeignet gewesen wäre, in der Vergangenheit Verfolgung zu begründen und dies auch künftig nicht zu erwarten sei. Im Hinblick auf die Ausführungen in dieser Anfragebeantwortung sei es auch bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt nicht habe angeben können, ob die Zeitung im Internet präsent sei. Aus der Anfragebeantwortung vom ergebe sich, dass die bloße Mitgliedschaft bei der BNF zu keinen Verfolgungshandlungen führe, jedoch Beeinträchtigungen im beruflichen Fortkommen nicht ausgeschlossen werden könnten; keinesfalls könne von einem Entzug der Lebensgrundlage gesprochen werden. In ihrer rechtlichen Beurteilung verwies die belangte Behörde auf ihre beweiswürdigenden Ausführungen, wonach dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Den festgestellten Beeinträchtigungen der Mitglieder der BNF im beruflichen Fortkommen fehle es an der zur Gewährung von Asyl erforderlichen Intensität.
Die belangte Behörde verfügte die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer an der Adresse in 1150 Wien, K-W-Gasse. Nach jeweils erfolglosen Zustellversuchen an der genannten Adresse wurde der Bescheid jeweils mit dem Vermerk "nicht behoben" bzw. "unbekannt" an die belangte Behörde retourniert. Die anschließend von der belangten Behörde veranlasste und am durchgeführte Anwesenheitsüberprüfung durch die Bundespolizeidirektion Wien ergab, dass der Beschwerdeführer nicht mehr an dieser Adresse wohnhaft ist.
Daraufhin wurde der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer am gemäß § 8 Abs. 2 ZustG durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch zugestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde bringt unter anderem vor, dass dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, zu den beiden Anfragebeantwortungen Stellung zu nehmen und wendet sich gegen das Ergebnis der Erhebungen des beigezogenen Sachverständigen.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung insbesondere auch auf die von ihr eingeholten Länderberichte und Anfragebeantwortungen, und somit auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse gestützt, weshalb sie zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet war (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/0216, 0217, mwN). Entscheidend ist daher im vorliegenden Fall, ob der Beschwerdeführer zu der in seiner Abwesenheit durchgeführten Berufungsverhandlung rechtswirksam geladen wurde.
Bei einer physischen Zustellung ist das Dokument gemäß § 13 Abs. 1 erster Satz ZustG dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen.
Gemäß § 2 Z. 4 ZustG bedeutet der Begriff "Abgabestelle" die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort.
Die belangte Behörde verfügte die Zustellung der Ladung des Beschwerdeführers zur mündlichen Verhandlung an die Adresse in 1150 Wien, K-W-Gasse. Dabei handelt es sich nach der Aktenlage um eine Wohnung. Darunter ist jene Räumlichkeit zu verstehen, in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo sich also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Es kommt darauf an, ob die Wohnung im Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich bewohnt wird, nicht aber darauf, wo der Empfänger polizeilich gemeldet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/11/0081).
Wie sich aus dem eingangs geschilderten Verfahrensgang ergibt, hat der Beschwerdeführer der belangten Behörde während des laufenden Berufungsverfahrens eine neue Zustelladresse in 1100 Wien, A. Gasse, bekannt gegeben. Vor dem Hintergrund dieser ausdrücklichen Mitteilung hätte die belangte Behörde daher nicht ohne Vornahme weiterer Erhebungen davon ausgehen dürfen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich weiterhin an der Meldeadresse in 1150 Wien, K-W-Gasse, wohnhaft ist, und diese somit zum Zeitpunkt des Zustellversuchs mit anschließender Hinterlegung der Ladung zur mündlichen Verhandlung am als mögliche Abgabestelle iSd § 2 Z. 4 ZustG in Betracht kam.
Da nach dem Beschwerdevorbringen auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-82442