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VwGH vom 28.04.2011, 2011/01/0032

VwGH vom 28.04.2011, 2011/01/0032

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2011/01/0033

2011/01/0035

2011/01/0034

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien 1. Z auch C T, geboren 1975, 2. T T, geboren 1995, 3. D B, geboren 2005, 4. N B, geboren am 2005, alle in L, alle vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates je vom , 1.) Zl. 305.746-C1/9E-XV/54/06, 2.) Zl. 305.747-C1/4E-XV/54/06, 3.) Zl. 305.750-C1/5E-XV/54/06, 4.) Zl. 305.751-C1/5E-XV/54/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (zu 1. und 2.) bzw. §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (zu 3. und 4.) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden jeweils in ihrem Spruchpunkt 2. (Refoulement bzw. subsidiärer Schutz) und

3. (Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40, insgesamt somit EUR 5.145,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit (die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer). Sie beantragten Asyl (die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer jeweils am ) bzw. internationalen Schutz (die - in Österreich geborenen - Dritt- und Viertbeschwerdeführer jeweils am ).

Zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin in ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, dass ihr Ehemann (und Vater des Zweitbeschwerdeführers) 1996 "zu den Partisanen gegangen" und nie wieder zurückgekommen sei. 1997 habe sie gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer Tschetschenien verlassen und sei nach Dagestan gegangen. Dort sei sie im Jahr 2002 von drei Männern aufgesucht worden, welche sie über ihren Mann befragt und anschließend vergewaltigt hätten. Ende 2003 habe sie in Dagestan den Vater der dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien kennengelernt, welcher (ursprünglich) aus Litauen stamme und in Moskau gelebt habe. Er habe sie im Jahr 2004 zu sich nach Moskau geholt. In Moskau habe sie aber nicht bleiben können, da sie sich nicht registrieren habe können und Kaukasier dort unerwünscht seien. Sie sei auf Grund ihres kaukasischen Aussehens oft von der Polizei kontrolliert worden und habe aus diesem Grund die Wohnung ihres Lebensgefährten, in der sie offiziell nicht gemeldet gewesen sei, fast nicht mehr verlassen. Ihr Lebensgefährte habe dann Probleme bekommen; Näheres wisse sie nicht. Da sie Angst gehabt habe, in Moskau zu bleiben, sei sie im August 2005 mit dem Zweitbeschwerdeführer ausgereist. Ihr Lebensgefährte sei im September 2005 nach Österreich nachgekommen und habe ebenfalls einen Asylantrag gestellt.

Die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Mit dem erst- und zweitangefochtenen Bescheid wurde jeweils die Berufung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung ihres Asylantrages gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt 1.) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation als zulässig festgestellt (Spruchpunkt 2.); weiters wurden sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt 3.).

Mit dem dritt- und viertangefochtenen Bescheid wurde jeweils die Berufung des Dritt- und Viertbeschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen (Spruchpunkt 1.) und ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt 2.); weiters wurden sie gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt 3.).

In den angefochtenen Bescheiden verwies die belangte Behörde zunächst auf die Länderfeststellungen des Bundesasylamtes und erhob diese zum Inhalt des jeweiligen Bescheides.

Die Zulässigkeit der Abschiebung bzw. Verweigerung von subsidiärem Schutz begründete die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden nach Darlegung der jeweils maßgebenden Rechtslage im Wesentlichen damit, dass es der Erstbeschwerdeführerin offenkundig möglich gewesen sei, (mit dem Zweitbeschwerdeführer) mehrere Jahre außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation zu leben, ohne dass sie relevanten Bedrohungssituationen ausgesetzt gewesen sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die aktuelle Lage in Tschetschenien eine Rückkehr auf Grund drohender unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK derzeit ausschließe, so bestehe für die beschwerdeführenden Parteien die Möglichkeit, sich außerhalb Tschetscheniens, etwa in Moskau, niederzulassen. Auf Grund dieser anzunehmenden innerstaatlichen Fluchtalternative seien die Voraussetzungen für die Gewährung "subsidiären Schutzes" nicht erfüllt. Da sich die Erstbeschwerdeführerin zwischenzeitlich in Lebensgemeinschaft mit einem Staatenlosen, der im Besitz eines lettischen Reisepasses sei, befinde und mit ihm gemeinsam zwei in Österreich geborene Kinder (gemeint der Dritt- und Viertbeschwerdeführer) habe, sei - nach Einholung von Informationen zur Frage der Möglichkeit der Niederlassung einer Russin tschetschenischer Ethnie in Lettland - für die Beschwerdeführer (gemeinsam mit dem Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin) auch eine Niederlassung in Lettland nach den dort herrschenden Gesetzen möglich. Insgesamt sei es den beschwerdeführenden Parteien somit nicht gelungen, Gründe "für einen Refoulementschutz" geltend zu machen.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zu I.:

1. Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/01/0016, mwN).

2.1. Die belangte Behörde stützt die Verweigerung des Refoulementschutzes bzw. subsidiären Schutzes tragend auf das Argument, der Erstbeschwerdeführerin (und dem Zweitbeschwerdeführer) sei es offenkundig möglich gewesen, in der Vergangenheit mehrere Jahre außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation zu leben. Selbst wenn man daher davon ausgehe, dass die aktuelle Lage in Tschetschenien eine Rückkehr dorthin auf Grund drohender unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausschließe, bestünde für die Beschwerdeführer demnach die Möglichkeit, sich außerhalb Tschetscheniens, etwa in Moskau, niederzulassen.

Bei dieser Argumentation verkennt die belangte Behörde, dass sich die Erstbeschwerdeführerin zuletzt vor ihrer Ausreise, während ihres Aufenthalts in Moskau, in einer Lebensgemeinschaft mit ihrem (damaligen) Lebensgefährten befand, in dessen Wohnung sie auch lebte, und sie zu dieser Zeit lediglich ein minderjähriges Kind - den Zweitbeschwerdeführer - zu versorgen hatte. Nach den Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden ist dieser (vormalige) Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin staatenlos und im Besitz eines "lettischen Reisepasses". Nach der Aktenlage wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom sein Asylantrag rechtskräftig abgewiesen, die Zulässigkeit seines Refoulements nach Lettland festgestellt und er dorthin ausgewiesen.

2.2. Ausgehend davon hätte die belangte Behörde - worauf die Beschwerde im Ergebnis zutreffend hinweist - konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur aktuellen Lebenssituation der Beschwerdeführer - einer, alleinerziehenden Mutter und ihrer (mittlerweile) drei minderjährigen Kindern - im Falle ihrer Abschiebung in die Russische Föderation zu treffen gehabt, zumal auch die Länderfeststellungen der erstinstanzlichen Bescheide, welche die belangte Behörde zum Inhalt der angefochtenen Bescheide erhoben hat, zu dieser Frage keine näheren Ausführungen enthalten.

2.3. Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - auf die Möglichkeit einer Niederlassung der Beschwerdeführer in Lettland nicht ankommt, da es sich dabei - nach den Feststellungen der belangten Behörde - nicht um deren Herkunftsstaat (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0502, mwN) handelt.

3. Die belangte Behörde hat die angefochtenen Bescheide insofern mit Begründungsmängeln belastet, was auch auf die Ausweisungsentscheidungen durchschlägt.

4. Die angefochtenen Bescheide waren daher in dem im Spruch angeführten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich jeweils auf Spruchpunkt 1. der angefochtenen Bescheide beziehen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor. Insbesondere gelingt es der Beschwerde nicht, eine Befangenheit des erkennenden Mitgliedes der belangten Behörde aufzuzeigen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-82431