VwGH vom 18.02.2011, 2011/01/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des Z K in W, geboren 1981, vertreten durch Mag. Andreas Duensing, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 247.682/0- VIII/22/04, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am Asyl.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Schon in erster Instanz war dem Beschwerdeführer Refoulementschutz gemäß § 8 AsylG gewährt worden; dieser Ausspruch ist rechtskräftig.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer Glaubwürdigkeit zuzubilligen und seinem Fluchtvorbringen - mit Ausnahme von näher dargelegten Details - zu folgen sei.
Demnach sei der Beschwerdeführer im Jahr 1996 auf Grund seiner Unterstützung von tschetschenischen Widerstandskämpfern von russischen Truppen festgenommen, über einen Zeitraum von zumindest einem Monat angehalten und wiederholt gefoltert worden, ehe er von Verwandten freigekauft worden sei. Danach habe er sich bis zum Jahr 1999 bei seinem in Krasnojarsk (Sibirien) lebenden Vater aufgehalten. Im Jahr 1999 sei er nach Tschetschenien zurückgekehrt, das er in weiterer Folge auf Grund des beginnenden zweiten Krieges nicht wieder habe verlassen können. Er sei ein zweites Mal von den Russen festgenommen, der Teilnahme an einer militärischen Ausbildung in einem "Chatab-Lager" verdächtigt, in einer Grube angehalten und wiederum misshandelt worden. Nach ca. achttägiger Anhaltung sei er neuerlich von Verwandten freigekauft worden. Im März 2001 sei er mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester nach Krasnojarsk zurückgekehrt, wo er sich bis Juli 2002 aufgehalten habe. Von dort sei er schließlich über Moskau nach Österreich ausgereist.
Ausgehend davon gelangte die belangte Behörde zu der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer offenbar in das Visier russischer Behörden gelangt sei, sodass vor dem Hintergrund seiner zweimaligen Verhaftung und Misshandlung im Falle seiner Rückkehr "mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des (Beschwerdeführers) zu erwarten wäre." Da der Beschwerdeführer jedoch von 1997 bis 1999 (ohne Probleme) und von Ende März 2001 bis Anfang Juli 2002 in Krasnojarsk gelebt habe, wo seine Mutter und Geschwister nach wie vor lebten und dort offenbar über eine Existenzgrundlage verfügten, sei im gegenständlichen Fall von einer "inländischen Schutzalternative" in Krasnojarsk für den Beschwerdeführer auszugehen. Dem stehe auch die rund eineinhalb Jahre vor seiner Ausreise erfolgte Vorladung zur Polizei nicht entgegen, zumal diese Vorladung nach Inhalt und Textierung zumindest bedenklich erscheine und der Beschwerdeführer überdies danach einen nicht unerheblichen Zeitraum unbehelligt in Krasnojarsk gelebt habe.
Dagegen wendet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0568, mwN).
Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid in Bezug auf das zur Verweigerung der Asylgewährung tragend herangezogene Argument des Vorliegens einer innerstaatlichen Schutz- oder Fluchtalternative nicht gerecht.
2. Die Annahme einer innerstaatlichen Schutz- oder Fluchtalternative erfordert nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die im Falle des Ortswechsels zu erwartende konkrete Lage des Beschwerdeführers (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/23/0976, mwN).
Daraus ergibt sich fallbezogen:
2.1. Soweit die belangte Behörde das Vorliegen einer innerstaatlichen Schutz- oder Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Krasnojarsk zunächst mit dem Hinweis bejaht, dass auch die Mutter und Geschwister des Beschwerdeführers nach wie vor dort lebten und "offenbar" über eine Existenzgrundlage verfügten, ist dem entgegen zu halten, dass diese Familienangehörigen - im Gegensatz zum Beschwerdeführer - nach der Aktenlage zu keinem Zeitpunkt Repressionen ausgesetzt waren bzw. in das Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte geraten sind, weshalb deren Lebensumstände in Krasnojarsk keine Rückschlüsse auf die konkrete Lage des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr dorthin ermöglichen.
2.2. Was den (zweimaligen) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Krasnojarsk betrifft, hebt die Beschwerde zutreffend hervor, dass die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe dort - im gegenständlich relevanten Zeitraum vor seiner Flucht, von März 2001 bis Juli 2002 - " unbehelligt " gelebt, angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar ist.
Der Beschwerdeführer gab bei seinen beiden Einvernahmen vor dem Bundesasylamt zusammengefasst an, er habe sich im Gefolge einer zweimaligen polizeilichen Ladung im März bzw. April 2001 (die er nicht befolgt habe) von der Adresse seines Elternhauses "abgemeldet" (nachdem sein Vater von der Polizei nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers befragt worden sei), und sich "die ganze restliche Zeit" bis zu seiner Flucht "bei Bekannten im Großraum Krasnojarsk versteckt gehalten". In der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, dass er nach dem in Krasnojarsk (lediglich) deshalb keine Probleme mehr gehabt habe, da er "nicht erwischt" worden sei.
Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde beweiswürdigend nicht näher auseinandergesetzt (vgl. in diesem Zusammenhang auch die hg. Rechtsprechung zur Bedeutung des "Versteckthaltens" in Bezug auf die Aktualität der Verfolgungsgefahr, z.B. Zl. 2007/19/0459, mwN), wodurch sich die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe von März/April 2001 bis zu seiner Flucht "unbehelligt" in Krasnojarsk gelebt, als nicht schlüssig begründet erweist.
3. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich die Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Schutz- oder Fluchtalternative im Sinne der oberwähnten hg. Rechtsprechung insgesamt einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht.
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-82413