VwGH vom 09.11.2011, 2010/22/0222

VwGH vom 09.11.2011, 2010/22/0222

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des M S in I, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. E1/22140/10, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste zufolge den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid im Jahr 1991 (im Alter von sieben Jahren) in das Bundesgebiet ein. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom verhängte die Bundespolizeidirektion I gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG. Zur Begründung verwies sie auf folgende rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers:

1. vom wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Geldstrafe;

2. vom wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12, 142, 143 Satz 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren;

3. vom wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 StGB, des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB, des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren.

Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 65 FPG die Aufhebung des Aufenthaltsverbots. Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid ab.

Begründend führte sie nach der Darstellung des Sachverhalts und der Rechtslage aus, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots weiterhin erforderlich sei, um die vom Beschwerdeführer ausgehende schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwenden. Der Beschwerdeführer sei zuletzt am in die Justizanstalt I eingeliefert und am bedingt entlassen worden. Seitdem lebe er (wieder) bei seinen Eltern in I. In Freiheit bewähren müsse er sich erst. Angesichts seines Vorlebens sei das Risiko für die Verletzung von Rechten anderer Personen in Österreich viel zu groß.

Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots sei auch im Grunde des § 66 FPG zulässig. Ein schwerer Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers liege zwar vor, zumal dieser in seinem achten Lebensjahr mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem Kosovo nach Österreich gekommen sei, in Österreich die Volks- und Hauptschule besucht und anschließend versucht habe, als Hilfsarbeiter am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Seine Eltern und Geschwister seien bereits österreichische Staatsbürger, er sei im Bundesgebiet integriert und im Kosovo desintegriert. Jedoch müssten angesichts der vom Beschwerdeführer in Österreich verübten schweren Gewaltstraftaten, woraus eindrucksvoll dessen besondere Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit hervorleuchte, die mit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots verbundenen Schwierigkeiten für den Beschwerdeführer und seine Familie im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden.

Eine Handhabung des Ermessens des § 65 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 FPG widerspreche angesichts der Verurteilungen des Beschwerdeführers zu einer "insgesamt siebeneinhalbjährigen unbedingten Freiheitsstrafe" der Intention des Gesetzgebers und auch der Rechtsprechung der Höchstgerichte. Ein Aufenthaltsverbotsverbot nach § 61 FPG komme auch nicht zum Tragen, insbesondere gehe die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Argumentation im Hinblick auf § 61 Z 4 FPG ins Leere. Der Beschwerdeführer sei einerseits nicht im Sinn dieser Bestimmung "von klein auf" im Inland aufgewachsen, weil er erst als Achtjähriger in das Bundesgebiet gekommen sei; andererseits sei der Beschwerdeführer "wegen gerichtlich strafbarer Handlungen rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden" und übersteige damit "in beiden Fällen die zwei-Jahres-Grenze des § 61 Z 4 FPG", sodass er auch dann mit einem Aufenthaltsverbot belegt werden dürfte, wenn er die Kriterien des § 61 Z 4 FPG erfüllte.

Seit der Erlassung des Aufenthaltsverbots im Jahr 2006 hätten sich die dafür maßgebenden Umstände keinesfalls zu Gunsten des Beschwerdeführers geändert. Die meiste Zeit habe er im Gefängnis verbracht. Trotz der gerichtlichen Anordnung der Bewährungshilfe und des Drogenentzugs könne nicht auf einen Wegfall oder auch nur eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden schweren Gefahr für die öffentliche Sicherheit geschlossen werden.

Die vorzeitige bedingte Entlassung aus der Strafhaft unter Anordnung von Weisungen habe für die Fremdenpolizeibehörde, die den Sachverhalt eigenständig unter dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen habe, keine bindende Kraft. Angesichts des schwerkriminellen Vorlebens des Beschwerdeführers stelle sich das Risiko seines Aufenthalts im Bundesgebiet, um zu beobachten, ob er zukünftig tatsächlich dauerhaft ein gesetzestreuer Mensch sei, als zu groß dar. Das Aufenthaltsverbot sei somit aufrecht zu halten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) ist ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zugunsten des Fremden geändert haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0447).

Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Gefährdungsprognose der belangten Behörde, indem sie vorbringt, dass der Beschwerdeführer seine letzte Straftat im Jahr 2004 begangen habe, seit mittlerweile vier Jahren durch einen Drogenentzug in Haft drogenfrei sei und damit der einzige und entscheidende Grund, warum er Straftaten begangen habe, weggefallen sei.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer gemäß dem Urteil des Landesgerichts I vom zuletzt im November 2005 (Verbrechen des versuchten Raubs und Vergehen des schweren Diebstahls) sowie - bereits in Haft - am (Vergehen der falschen Beweisaussage vor Gericht und der versuchten Begünstigung) Straftaten begangen hat. Aber auch das Vorbringen, dass er in der (weiteren) Zeit seiner Haft nicht erneut straffällig geworden sei und sich vom Drogenkonsum distanziert habe, kann nicht zu seinen Gunsten ausschlagen. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist nämlich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes primär daran zu prüfen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0032, mwN). Auch eine erfolgreiche Suchtmitteltherapie kann erst nach einer längeren Dauer des Wohlverhaltens bewirken, dass ein Aufenthaltsverbot nicht mehr als zulässig gewertet werden könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0932). Da der Beschwerdeführer aber erst im Oktober 2010, sohin rund einen Monat vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides, aus der Haft entlassen wurde, ist die Zeit seines Wohlverhaltens in Freiheit viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr schließen zu können.

Auch die Entscheidung des Gerichts, den Beschwerdeführer unter Auflage von Weisungen vorzeitig bedingt zu entlassen, ändert daran nichts, weil die Fremdenpolizeibehörde ihre Prognose grundsätzlich unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Strafnachsicht betreffenden Erwägungen des Strafgerichtes stellen darf (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0096).

Im Ergebnis kann daher angesichts des schweren kriminellen Fehlverhaltens und der erst sehr kurzen Zeit des Wohlverhaltens in Freiheit des Beschwerdeführers nicht von einem Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden, das Aufenthaltsverbot rechtfertigenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen werden.

Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots war auch im Sinne des § 66 FPG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) zulässig:

Bei der nach dieser Bestimmung vorzunehmenden Interessenabwägung hat die belangte Behörde ohnehin darauf hingewiesen, dass das Aufenthaltsverbot einen schwereren Eingriff in sein Privat- und Familienleben darstellt. Jedoch hat sich an der familiären Situation des Beschwerdeführers seit der Erlassung des Aufenthaltsverbots im Jahr 2006 nichts geändert. Der Beschwerdeführer verfügt nicht über eine eigene Kernfamilie und befindet sich in einem Alter, in dem er nicht mehr auf das Zusammenleben mit den Eltern angewiesen ist.

Die aus seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet ableitbare Integration kann im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer - teils unter Gewaltanwendung - begangenen Eigentumsdelikte nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Die belangte Behörde hat daher der durch sein gravierendes Fehlverhalten bewirkten Gefährdung der öffentlichen Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes zutreffend ein größeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine private und familiäre Situation. Der belangten Behörde kann somit im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie zu der Auffassung gelangt, dass der Beschwerdeführer und seine Angehörigen die mit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots verbundenen Unannehmlichkeiten im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen haben.

Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am