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VwGH 09.09.2010, 2008/20/0334

VwGH 09.09.2010, 2008/20/0334

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §56;
AVG §62 Abs2;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
RS 1
Wurde der Inhalt und die Verkündung des angefochtenen Bescheides in der Verhandlung entsprechend § 62 Abs. 2 AVG am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundet, ist dieser Bescheid mit seiner Verkündung und dem verkündeten Inhalt in Rechtswirksamkeit getreten. An diesen Bescheid knüpfen sich somit die Rechtswirkungen eines Bescheides, insbesondere auch dessen Unwiderrufbarkeit. Darunter ist zu verstehen, dass der Bescheid von Amts wegen von der Behörde nicht mehr oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen widerrufen, dh aufgehoben, abgeändert oder für nichtig erklärt werden kann (vgl. E , 98/03/0207, VwSlg 15026 A/1998). Diese auch für die UBAS geltende Rechtslage verkannte dieser, indem er in die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Bescheides die zielstaatsbezogene Ausweisung als wesentliche Änderung des Bescheidspruches gegenüber dem mündlich verkündeten Bescheid (Bestätigung der erstinstanzlichen Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet"; vgl. E , 2005/20/0108) aufnahm. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die Ausweisungsentscheidung in der schriftlichen Bescheidausfertigung nicht mehr als Teil dieser Ausfertigung gelten; sie ist vielmehr als selbstständiger Bescheid anzusehen (vgl. E , 95/03/0318). Die - an sich rechtsrichtige - zielstaatsbezogene Ausweisung verstößt gegen das oben dargelegte Prinzip der Unwiderrufbarkeit des Bescheides und ist daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2007/01/1422 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde der B, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den am  mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zlen. 263.237/19Z-II/06/05 und 263.237/0/21E-II/06/05, betreffend §§ 78 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Ausweisung der Beschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Zu ihren Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, ihr Vater habe sie zur Heirat mit einem bedeutend älteren "Chief" der "Reformed Ogboni Fraternity" bzw. der "Delta Refoundatet Ogboni Society" zwingen wollen. Nachdem sie dies abgelehnt habe, sei sie von ihrem Vater mit dem Tod bedroht worden. Als das Mitglied der Geheimgesellschaft sie am aus dem Haus ihres Vaters habe mitnehmen wollen, habe sie sich geweigert, worauf dessen "Schläger" sie festgehalten und am Arm verletzt hätten. Nach der Flucht zu ihrer Tante seien die "Schläger" dorthin gekommen und hätten ihre Tante zusammengeschlagen. Deshalb sei sie zu einer weiteren Tante nach Lagos gezogen und von dort aus Furcht, vom Mitglied der Geheimgesellschaft wegen der verweigerten Heirat getötet zu werden, geflüchtet.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.

Mit dem mündlich verkündeten Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß "§§ 7, 8 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG" abgewiesen. Im Spruch der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG sowie "mit der Maßnahme" ab, dass sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen werde. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, das Vorbringen sei - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - nicht glaubwürdig.

Die zielstaatsbezogene Ausweisung der Beschwerdeführerin in der schriftlichen Bescheidausfertigung begründete die belangte Behörde - ohne auf die diesbezügliche Abweichung zum mündlich verkündeten Bescheid einzugehen - damit, eine Ausweisung ohne Einschränkung auf den Zielstaat stelle eine Rechtswidrigkeit dar.

Über die gegen den mündlich verkündeten und schriftlich ausgefertigten Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

zu I.:

Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. die Erkenntnisse vom , Zl. 98/03/0207, VwSlg. Nr. 15026 A/1998, vom , Zl. 2002/03/0158, vom , Zl. 2003/03/0021, vom , Zl. 2001/02/0189, und vom , Zl. 2005/11/0148) hat die bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat, zu der die Parteien ordnungsgemäß geladen wurden, erfolgte Verkündung des Berufungsbescheides die Wirkung seiner Erlassung. Für die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein mündlicher Bescheid erlassen wurde, ist nicht die schriftliche Bescheidausfertigung, sondern jene Urkunde maßgeblich, die über den Bescheidinhalt und die Tatsache der Verkündung gemäß § 62 Abs. 2 AVG ausgefertigt wurde. Da der Inhalt und die Verkündung des angefochtenen Bescheides in der Verhandlung vom entsprechend § 62 Abs. 2 AVG am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundet wurden, ist dieser Bescheid mit seiner Verkündung und dem verkündeten Inhalt in Rechtswirksamkeit getreten. An diesen Bescheid knüpfen sich somit die Rechtswirkungen eines Bescheides, insbesondere auch dessen Unwiderrufbarkeit. Darunter ist zu verstehen, dass der Bescheid von Amts wegen von der Behörde nicht mehr oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen widerrufen, d.h. aufgehoben, abgeändert oder für nichtig erklärt werden kann (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom ).

Diese auch für die belangte Behörde geltende Rechtslage verkannte sie, indem sie in die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Bescheides die zielstaatsbezogene Ausweisung als wesentliche Änderung des Bescheidspruches gegenüber dem mündlich verkündeten Bescheid (Bestätigung der erstinstanzlichen Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet"; vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0108) aufnahm. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die Ausweisungsentscheidung in der Bescheidausfertigung vom nicht mehr als Teil dieser Ausfertigung gelten; sie ist vielmehr als selbstständiger Bescheid anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/03/0318). Die - an sich rechtsrichtige - zielstaatsbezogene Ausweisung verstößt gegen das oben dargelegte Prinzip der Unwiderrufbarkeit des Bescheides und ist daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Bei der daher nunmehr auch zu prüfenden mündlich verkündeten Bestätigung der erstinstanzlichen Ausweisung hat die belangte Behörde verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung einer Asylwerberin ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Ausweisungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - abgesehen von dem unter Punkt I. der Erwägungen angesprochenen Themenkomplex - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §56;
AVG §62 Abs2;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Schlagworte
Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen
Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung
des Abspruches und der Rechtskraft
Besondere Rechtsgebiete
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der
Behörde
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von
Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2008200334.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAE-82367