VwGH vom 29.01.2014, 2013/08/0290

VwGH vom 29.01.2014, 2013/08/0290

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Revision der R W in Wien, vertreten durch die Marschall Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-520492/0001-II/2013, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. E Gesellschaft m.b.H. in K, 2. Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, 3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65- 67), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass die Revisionswerberin vom bis zum auf Grund ihrer Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft der Pflichtversicherung in der Voll- (Kranken-, Unfall- und Pensions)versicherung gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Revisionswerberin mit der erstmitbeteiligten Gesellschaft eine Vereinbarung abgeschlossen habe, wonach sie ab als mobile Reiseberaterin für die Gesellschaft tätig sein sollte. Dabei sei es der Revisionswerberin darauf angekommen, dass das Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreite, da sie ihren Anspruch auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht verlieren wollte. Die Vereinbarung habe unter anderem die folgenden Punkte enthalten:

"Art. 2: GRUNDLAGE DER VEREINBARUNG:

(1) ...

(2) Es kommt der Kollektivvertrag für die Angestellten in Reisebüros in der gültigen Fassung zur Anwendung.

(...)

Art. 5: ART DES AUFTRAGES (AUFGABEN):

Der Art des Auftrages bzw. die Aufgaben umfassen insbesondere:


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-
Mobile Reiseberatertätigkeit;
-
Planung, Kalkulation und Durchführung aller touristischen Leistungen inklusive Buchungsabwicklung;
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Neukundengewinnung sowie Betreuung bestehender Stammkunden;
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Selbständige gestalterische Möglichkeiten beim Aufbau eines Neukundenstammes;
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Kompetente Beratung und Betreuung von Kunden auch vor Ort;
-
Eigenständiges Recherchieren verschiedener touristischer Quellen;
-
Strategieentwicklung zur Gewinnung von Markenbekanntheit und Image nach Rücksprache mit dem Leiter der Abteilung Outgoing;
-
Konzeption, Planung, Steuerung und Umsetzung entsprechender Marketingaktivitäten nach Rücksprache mit dem Leiter der Abteilung Outgoing;
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Laufende Marktbeobachtung sowie deren Analyse (insbesondere von Konkurrenzaktivitäten);
-
Abstimmung sämtlicher Maßnahmen mit internen als auch mit externen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern;
-
Reporting an den Leiter der Abteilung Outgoing;
(...)
Art. 7: GRUNDBRUTTOGEHALT (FIXUM)

(1) Ab erhält der Vertragspartner für die Dienstleistung ein im Nachhinein zahlbares monatliches Bruttopauschalgehalt (14x) bis zur maximalen monatlichen Geringfügigkeitsgrenze.

(2) Sofern die Zahlen vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz bestätigt werden, gelten für das Jahr 2010 folgende Werte: EUR 28,13 täglich, EUR 366,33 monatlich.

(3) Vorbehaltlich gelten bis zur definitiven und neuen Festlegung der Werte der maximalen Geringfügigkeitsgrenze für 2010 die Werte aus 2009: EUR 24,47 täglich, EUR 357,74 monatlich.

(4) Der Vertragspartner hat selbst - über diese Vereinbarung hinausgehend - für den jeweiligen Versicherungsschutz und die ordnungsgemäße Regelung der gesetzlichen Sozialleistungen zu sorgen.

(5) Ebenso obliegt es dem Vertragspartner die ordnungsgemäße Versteuerung der evtl. und bei Erreichung des (unten angeführten) Zielerreichungsgerades zusätzlich anfallenden Ersatzleistung.

(...)

Art. 11: AUFWANDERSATZ/SPESEN:

(1) Aufwendungen, welche dem Vertragspartner in Ausübung seiner Tätigkeit als mobiler Reiseberater entstehen und die unter Art. 5 dieser Vereinbarung fallen, werden nach branchenüblichen Usancen bzw. nach Vorlage einer Quittungskopie vergütet.

(2) Derartige Aufwendungen sind zu belegen und dürfen nur nach vorheriger Absprache mit (der erstmitbeteiligten Gesellschaft) bzw. dem Leiter der Abteilung Outgoing entstehen.

(3) In den ersten 4 Monaten der Betriebszugehörigkeit des Vertragspartners wird eine monatliche Kostenpauschale in Höhe von EUR 100,00 pro Monat vereinbart und gutgeschrieben. In dieser Spesenpauschale sind alle Fixkosten bzw. Aufwendungen des Vertragspartners enthalten und somit abgegolten. Darüber hinausgehende und bekannt werdende Fixkosten bzw. Aufwendungen des Vertragspartners sind im Vorfeld mit dem Leiter der Abteilung Outgoing zu besprechen und von diesem zu genehmigen.

(...)"

Das Beschäftigungsverhältnis der Revisionswerberin unterliege dem Kollektivvertrag für die Angestellten in Reisebüros, und die Revisionswerberin sei dabei in die Verwendungsgruppe K3, K4 oder K5 Gruppendienstjahr 1 einzustufen. Sie habe in der Praxis vereinbarungsgemäß rund zehn Stunden in der Woche gearbeitet. Sie habe weiters monatlich ein Fahrtenbuch abgerechnet und die Listen an die erstmitbeteiligte Gesellschaft übermittelt. Es seien im Jahr 2010 folgende Kosten geltend gemacht worden: Jänner:

EUR 53,76; Februar: EUR 65,94; März: EUR 142,38; April:

EUR 134,82; Mai: EUR 130,20; Juni: EUR 132,30; Juli: EUR 200,76;

August: EUR 136,50; September: EUR 148,26; Oktober: EUR 145,74,

November: EUR 101,64. Die Beträge seien gemeinsam mit dem Gehalt ausbezahlt worden. Eine darüber hinausgehende Spesenabrechnung sei nicht übermittelt worden. Bei der ersten Gehaltsauszahlung habe die Revisionswerberin bemerkt, dass der ausgezahlte Betrag höher als der vereinbarte gewesen sei, und den zuständigen Ansprechpartner bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft kontaktiert. Dieser habe ihr versichert, dass die Auszahlung korrekt sei. Tatsächlich habe sich der höhere Betrag auf Grund einer Änderung im Gehaltsanspruch wegen der Anrechnung von Vordienstjahren und der daraus folgenden Änderungsmeldung bei der Wiener Gebietskrankenkasse ergeben. Über diese Änderung sei die Revisionswerberin nicht informiert worden und daher von einer vereinbarungsgemäßen Abgeltung ihrer angefallenen Kosten ausgegangen. Am habe die Revisionswerberin den zuständigen Ansprechpartner bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft, Dr. P., ein weiteres Mal kontaktiert und ihn gebeten, den Differenzbetrag zur geringfügigen Beschäftigung so zu erklären, dass sie keine Schwierigkeiten beim Arbeitsmarktservice bekommen würde. Dr. P. habe geantwortet, dass eine Änderung der ordnungsgemäßen Meldung bei der Gebietskrankenkasse nicht in Frage komme.

Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus dem der belangten Behörde vorliegenden Akteninhalt, insbesondere aus den von der zuständigen Sektion des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat) vorgelegten Unterlagen zur Kollektivvertragszugehörigkeit der Revisionswerberin und ihren Ausbildungsunterlagen. Der angegebene Rahmen der Kollektivvertragseinstufung ergebe sich aus mehreren Unterlagen im Akt: Laut einem von Dr. P. beantworteten Fragenkatalog der Wiener Gebietskrankenkasse sei die Revisionswerberin der Verwendungsgruppe K5 zuzuordnen, die Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat würde sie laut einer Stellungnahme entweder unter K3 oder K4 einordnen. Die Einstufung in die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Verwendungsgruppe K2 erscheine aus mehreren Gründen nicht glaubwürdig: Erstens seien im Akt viele Zeugnisse und ein Lebenslauf, dem bereits einiges an einschlägiger Berufserfahrung zu entnehmen sei, zu finden. Diese Unterlagen allein belegten, dass die Revisionswerberin deutlich höher einzustufen sei als von ihr selbst angegeben. Dies werde auch durch die Stellungnahme der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat und die glaubwürdige Auskunft des Personalleiters der erstmitbeteiligten Gesellschaft, Dr. P., bestätigt, wonach die Revisionswerberin zuvor bereits Filialleiterin in der Reisebürobranche gewesen sei und im Übrigen kein Mitarbeiter der erstmitbeteiligten Gesellschaft unter der Verwendungsgruppe K3 eingestuft werde und Mitarbeiter der Reisebüros in die Verwendungsgruppe K4 fielen.

Im gegenständlichen Fall sei nur der Umfang der Pflichtversicherung (Vollversicherung oder Teilversicherung in der Unfallversicherung) strittig. Dieser werde davon abhängen, wie der Auslagenersatz zu bewerten sei. Dazu sei zu sagen, dass zwar in den steuerrechtlichen Vorschriften angeführt werde, dass ein Auslagenersatz nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehöre, dies aber nur, wenn der Auslagenersatz einzeln abgerechnet werde. Da dies im Beschwerdefall nicht geschehen sei, sei der pauschale Auslagenersatz von EUR 100,-- bzw. EUR 200,-- auf Grund der Gleichschaltung von Steuer- und Sozialversicherungsrecht der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsgrundlage hinzuzurechnen. Schon dadurch sei die Geringfügigkeitsgrenze von 2010 (EUR 366,33) überschritten.

Selbst wenn man dem nicht folge, sei die in der Berufung behauptete Einstufung der Revisionswerberin in die Verwendungsgruppe K2 im 1. Gruppendienstjahr völlig unglaubwürdig. Eine genaue Einstufung der Revisionswerberin sei nicht nötig, weil nur über den Umfang der Versicherungspflicht entschieden werde und nicht über die Beitragspflicht. Nur im letzteren Fall müsste eine genaue Einstufung erfolgen. In jeder Verwendungsgruppe über K3 überschreite bereits der anteilige Mindestlohn für 10 Wochenstunden die im gegenständlichen Fall relevante Geringfügigkeitsgrenze.

Das verfahrensgegenständliche Dienstverhältnis der Revisionswerberin sei daher jedenfalls als vollversicherungspflichtig einzustufen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid, der Revisionswerberin am zugestellten Bescheid erhobene Beschwerde, die gemäß § 4 Abs. 1 letzter Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) als Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG gilt, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass für die Behandlung der Revision gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung gelten und - da der angefochtene Bescheid nicht von einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG stammt - auch die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht gelten.

Gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG sind Dienstnehmer von der Vollversicherung ausgenommen, wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag gemäß Abs. 2 (Geringfügigkeitsgrenze) nicht übersteigt.

Unter Entgelt sind gemäß § 49 ASVG die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder einem Dritten erhält.

Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. Danach bleibt die Regelung dieser Frage, sofern nicht eine gesetzliche Grundlage besteht, einer Vereinbarung (Einzel- oder Kollektivvertrag), mangels einer solchen dem Ortsgebrauch überlassen (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0213, VwSlg. 17.733 A, mwN).

Die Entgelthöhe richtet sich im Arbeitsverhältnis primär nach der Vereinbarung, subsidiär nach der Angemessenheit (§ 1152 ABGB) oder dem Ortsgebrauch und der Angemessenheit (§ 6 Abs. 1 AngG). Verstößt die Einzelvereinbarung gegen eine Norm kollektiver Rechtsgestaltung, ist sie insoweit nichtig (teilnichtig). An die Stelle der nichtigen Lohnabrede tritt der Lohnsatz der kollektiven Rechtsquelle (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0163).

Dies verkennt die Revisionswerberin, wenn sie ausführt, dass der Vertragswille der Arbeitsvertragsparteien darauf gerichtet gewesen sei, die Geringfügigkeitsgrenze nicht zu überschreiten. Auch eine eindeutige und vom Willen beider Parteien getragene Entgeltvereinbarung ist nämlich nichtig, soweit sie dem anzuwendenden Kollektivvertrag widerspricht. Dass der Revisionswerberin aber laut Kollektivvertrag nur ein Entgeltanspruch zugestanden wäre, der nicht zur Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG geführt hätte, behauptet sie in der Revision nicht mehr.

Anders als die Revisionswerberin meint, schadet es für den kollektivvertraglichen Entgeltanspruch auch nicht, wenn der Arbeitsvertrag entgegen § 2 Abs. 2 Z 7 iVm Abs. 4 AVRAG keine konkrete Einstufung enthält.

Die belangte Behörde hat daher im Ergebnis zu Recht die Pflichtversicherung der Revisionswerberin gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG festgestellt, ohne dass es noch darauf angekommen wäre, ob die der Revisionswerberin bezahlten Auslagenersätze unter den Entgeltbegriff des § 49 ASVG fallen.

Da somit bereits die Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren abzuweisen.

Wien, am