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VwGH vom 19.11.2010, 2008/19/0652

VwGH vom 19.11.2010, 2008/19/0652

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des F in I, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den am verkündeten und am ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 258.918/0/15E-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

A. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan) bestätigt wurde, sowie in seinem Spruchpunkt II. (Ausweisung des Beschwerdeführers) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag Asyl.

In seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am begründete der Beschwerdeführer seinen Asylantrag im Wesentlichen damit, dass er in seiner Heimat ein Verhältnis mit der Tochter des Kommandanten und späteren Verteidigungsministers Fahim gehabt habe. Von einem Freund habe der Beschwerdeführer erfahren, dass Fahim plane, ihn deshalb zu töten. Der Beschwerdeführer habe Angst vor Fahim und dem nunmehrigen Ehemann seiner früheren Freundin. Weiters sei ein Cousin des Beschwerdeführers getötet worden, welcher ihm zuvor erzählt habe, dass sein einziger Feind ein Kommandant der Luftwaffe sei. Der Beschwerdeführer habe daher vermutet, dass dieser Kommandant den Cousin getötet habe, was er im Haus seines Onkels hätte bezeugen sollen, nachdem er diesem Onkel schon zuvor seine Befürchtungen mitgeteilt habe. Er habe Angst, dass ihm das gleiche passieren könne wie seinem Cousin.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und verfügte gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dessen Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (Spruchpunkt III.).

Über die dagegen erhobene Berufung führte die belangte Behörde unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Klimburg am eine mündliche Verhandlung durch, in welcher das zuvor vom Sachverständigen erstattete Gutachten und dessen Ergänzung sowie die dazu ergangenen Stellungnahmen des Beschwerdeführers erörtert wurden. Am Schluss dieser Verhandlung verkündete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit welchem die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG mit der Maßgabe abgewiesen wurde, dass die zwangsweise Durchsetzung der erstinstanzlich verfügten Ausweisung nur nach Afghanistan für zulässig erklärt wurde (Spruchpunkt II.).

Die belangte Behörde ging - mit näherer Begründung - von der Unglaubwürdigkeit des vom Beschwerdeführer erstatteten Fluchtvorbringens aus. Im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit des Refoulements erachtete die belangte Behörde die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, wonach sich die wirtschaftliche Situation seiner in Afghanistan verbliebenen Familie mittlerweile dramatisch verschlechtert habe, als unglaubwürdig und ging unter Zugrundelegung der noch in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt erstatteten Angaben des Beschwerdeführers, wonach es seiner Heimatfamilie finanziell gut gehe, davon aus, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Kabul nicht in eine existenzielle Notlage geraten würde. Überdies sei auf die Beurteilung des Sachverständigen hinzuweisen, welcher es für wahrscheinlich halte, dass der Beschwerdeführer auch aus eigener Initiative in Kabul eine Anstellung, etwa in einem Büro, finden könne. Schließlich sei auch die allgemeine Sicherheitslage vom Sachverständigen, jedenfalls in Bezug auf Kabul und insbesondere in Bezug auf die vom Beschwerdeführer angegebene letzte Wohngegend, "keineswegs so negativ beurteilt" worden, "wie der Beschwerdeführer sie darzustellen versuchte"; dort sei "gerade auf Grund der Präsenz von einheimischer Polizei und ISAF 'die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, gering'". Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die Interessenabwägung der Erstbehörde im Sinne des Art. 8 EMRK fehlerhaft sei oder dass nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Interessen des Beschwerdeführers entstanden wären, die geeignet seien, die öffentlichen Interessen zu überwiegen, zumal die Beziehung des erwachsenen Beschwerdeführers zu seiner im Bundesgebiet lebenden Cousine nicht die erforderliche Intensität aufweise.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu A:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in der hier maßgeblichen Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, hat die Asylbehörde im Falle der Abweisung eines Asylantrages von Amts wegen festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist. Die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2008/19/0271 und 2008/19/0653).

Nach dem gemäß § 67 AVG auch im Berufungsverfahren anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grund gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und weshalb sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , 2001/20/0550, mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid in Bezug auf die Beurteilung der Zulässigkeit des Refoulements nicht gerecht. Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall darauf verzichtet, über die Rückkehrbedingungen für afghanische Staatsbürger nähere Feststellungen zu treffen und sich bei ihrer Einschätzung der möglichen Gefährdung auf die zum Teil wörtlich zitierten Ausführungen des Sachverständigen Dr. Klimburg gestützt. Diese beschränkten sich jeweils auf wenige Sätze, wobei der Sachverständige insbesondere im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage davon ausging, dass in Kabul die Gefahr, Opfer von Gewalttaten zu werden, "im Verhältnis zur Lage außerhalb Kabuls gering" sei; die Polizei werde massiv aufgebaut und sei "trotz ihrer Korrumpiertheit ein gewisser Schutzfaktor". Die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, sei gemessen an der über zwei Millionen Menschen betragenden Einwohnerzahl von Kabul gering; besonders gering sei sie in den sogenannten "besseren Vierteln" in Kabul, zu welchen die Wohngegend des Beschwerdeführers zu zählen sei, weil dort die "ISAF" besonders präsent sei. Auf welche konkreten Ermittlungen der Sachverständige diese positive Lagebeurteilung gründete, lässt sich - worauf auch die Beschwerde hinweist - weder dem Gutachten noch dem angefochtenen Bescheid entnehmen. Gleiches gilt für die Ausführungen des Sachverständigen zu den für den Beschwerdeführer bestehenden "guten Chancen", in Kabul eine Anstellung, "etwa in einem Büro", zu finden. Dazu kommt, dass sich die belangte Behörde auch nicht mit den vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zum Beweis seines Vorbringens betreffend die schlechte Sicherheitslage und die hohe Arbeitslosigkeit in Afghanistan vorgelegten Beweismitteln (zwei nicht in die deutsche Sprache übersetzte Berichte und eine Videokassette) auseinander gesetzt hat.

Die belangte Behörde hat damit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu B.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde - soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - abzulehnen.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-82290