VwGH vom 24.04.2014, 2013/08/0289

VwGH vom 24.04.2014, 2013/08/0289

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Revision der KF in G, vertreten durch Dr. Reinhard Kropff, Rechtsanwalt in 8111 Judendorf-Straßengel, Gratweiner Straße 57, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , Zl. LGS600/SfA/0566/2013-He/S, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheiden vom und vom hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarkservice Graz West und Umgebung (im Folgenden: AMS) den Arbeitslosengeldanspruch der Revisionswerberin vom 5. bis 30. September und vom

1. bis gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und von ihr EUR 608,92 gemäß § 25 Abs. 2 AlVG rückgefordert, weil sie am im Zuge einer Kontrolle des Erhebungsdienstes der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse bei Tätigkeiten im Tischlereibetrieb des E.F., ihres Ehemanns, angetroffen worden sei, ohne diese Tätigkeit dem AMS gemeldet zu haben.

In der gegen diese Bescheide erhobenen Berufung brachte die Revisionswerberin vor, sie sei im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht gemäß § 90 ABGB tätig geworden. Sie habe mit einem Putzlappen Glas gereinigt und habe dafür weder einen Auftrag noch Entgelt erhalten.

Mit dem in Revision gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben. Die Revisionswerberin sei nach einem geringfügigen Dienstverhältnis bei ihrem Ehegatten vom bis zum vollversicherungspflichtig bei ihm beschäftigt gewesen. Seit dem habe sie vom AMS Arbeitslosengeld bezogen. Im Zuge einer am von Organen der Gebietskrankenkasse vorgenommenen Kontrolle sei sie bei Putztätigkeiten (in einem Messestand ihres Ehegatten) betreten worden. Eine Anmeldung zur Sozialversicherung sei nicht erfolgt. Bei dieser Kontrolle habe der Ehegatte der Revisionswerberin angeführt, es sei eine Frechheit, dass er die Revisionswerberin anmelden müsse, weil sie nur den Messestand für ihn putzen würde. Die Tätigkeit der Revisionswerberin sei beim AMS nicht gemeldet worden.

Werde ein Bezieher von Arbeitslosengeld bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d AlVG durch öffentliche Organe betreten, die der Arbeitslose nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt habe, gelte gemäß § 25 Abs. 2 AlVG die unwiderlegliche Rechtsvermutung, dass eine Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Die Revisionswerberin wäre als Bezieherin des Arbeitslosengeldes verpflichtet gewesen, ihre Arbeitsaufnahme unverzüglich beim AMS zu melden. Auf diese Meldepflicht sei sie in ihrem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom aufmerksam gemacht worden. Am habe es sich um eine Arbeitsaufnahme gehandelt. Der Ehegatte der Revisionswerberin habe dies im Zuge der Kontrolle bestätigt (sie habe den Messestand geputzt). Die Arbeitsaufnahme sei von der Gebietskrankenkasse wahrgenommen worden (Putztätigkeiten einer Küche). Das Arbeitslosengeld sei für vier Wochen zu widerrufen bzw. rückzufordern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde, in der ausgeführt wird, dass der angefochtene Bescheid am zugestellt worden sei. Da somit die Beschwerdefrist am noch offen war, gilt die vorliegende am zur Post gebrachte und am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangte Beschwerde gemäß § 4 Abs. 1 zweiter Satz VwGbk-ÜG als Revision. Für die Behandlung dieser Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

Die Revisionswerberin hat hiezu eine Stellungnahme abgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Revisionswerberin bringt vor, sie habe am Messestand darauf gewartet, dass sich ihr Sohn für die Heimfahrt bereit mache. Dabei sei ihr aufgefallen, dass eine ausgestellte Glasschiebetür nicht schön geputzt gewesen sei. Wie sie es von daheim gewohnt gewesen sei, habe sie zu Wasser und Putzlappen gegriffen und das Glas gereinigt, wofür sie wenige Minuten benötigt habe. Sie habe von ihrem Ehegatten weder einen Auftrag noch ein Entgelt erhalten. Eine meldepflichtige Erwerbstätigkeit sei nicht vorgelegen. Sie habe diese Tätigkeit im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht gemäß § 90 ABGB erbracht. Die gesetzliche Vermutung des § 25 Abs. 2 erster Satz AlVG setze voraus, dass der Empfänger von Arbeitslosengeld bei einer Erwerbstätigkeit angetroffen werde. Gesetzlich fingiert werde nur die Höhe einer allfälligen Entlohnung, nicht aber, dass es sich bei der beanstandeten Tätigkeit um eine Erwerbstätigkeit im Sinn des § 25 AlVG handle. Auf ein Zielschuldverhältnis, wie z.B. das Putzen einer Glasscheibe während eines Kurzbesuches, stelle § 25 Abs. 2 AlVG mit seinem Verweis auf § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht ab. Die belangte Behörde habe keine Überprüfung im Hinblick auf eine Tätigkeit im Rahmen der ehelichen Beistandspflicht vorgenommen. Sie wäre jedenfalls gehalten gewesen, "sich mit den angeführten Tatsachen näher auseinanderzusetzen und die Beschwerdeführerin, deren Ehegatten, (...) und die übrigen Mitarbeiter diesbezüglich als Zeugen einzuvernehmen". Ein gesetzmäßiges Ermittlungsverfahren hätte ergeben, "dass die Beschwerdeführerin die beanstandete Tätigkeit im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht erbracht hat und keinerlei Meldepflichten verletzt wurden". Die belangte Behörde habe verkannt, dass § 25 Abs. 2 erster Satz AlVG nur die Höhe einer allfälligen Entlohnung fingiere, nicht aber, dass es sich bei der beanstandeten Tätigkeit um eine Erwerbstätigkeit handle.

2. § 25 Abs. 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"(2) Wird ein Empfänger von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d durch öffentliche Organe, insbesondere Organe von Behörden oder Sozialversicherungsträgern oder Exekutivorgane, betreten, die er nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt hat (§ 50), so gilt die unwiderlegliche Rechtsvermutung, daß diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) für zumindest vier Wochen ist rückzufordern. Erfolgte in einem solchen Fall keine zeitgerechte Meldung durch den Dienstgeber an den zuständigen Träger der Krankenversicherung, so ist dem Dienstgeber von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ein Sonderbeitrag in der doppelten Höhe des Dienstgeber- und des Dienstnehmeranteiles zur Arbeitslosenversicherung (§ 2 des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994) für die Dauer von sechs Wochen vorzuschreiben. Als Bemessungsgrundlage dient der jeweilige Kollektivvertragslohn bzw., falls kein Kollektivvertrag gilt, der Anspruchslohn. Die Vorschreibung gilt als vollstreckbarer Titel und ist im Wege der gerichtlichen Exekution eintreibbar."

Gemäß § 12 Abs. 3 AlVG gilt als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 insbesondere nicht a) wer in einem Dienstverhältnis steht, b) wer selbständig erwerbstätig ist oder d) wer, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Betrieb des Ehegatten, der Ehegattin, des eingetragenen Partners, der eingetragenen Partnerin, des Lebensgefährten, der Lebensgefährtin, eines Elternteils oder eines Kindes tätig ist.

Die Revisionswerberin bestreitet, in einem Dienstverhältnis gestanden zu sein (vgl. zur Annahme eines solchen bei manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten bei Einbindung in den Betrieb das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0129, mwN), räumt jedoch - wie bereits im Verwaltungsverfahren - ein, die genannten Reinigungstätigkeiten auf dem Messestand ihres Ehegatten (sohin in dessen Betrieb) im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht gemäß § 90 ABGB erbracht zu haben.

Daraus folgt, dass sie jedenfalls iSd § 12 Abs. 3 lit. d AlVG ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen im Betrieb ihres Ehegatten tätig gewesen ist.

Zwar wäre sie nur dann iSd § 12 Abs. 3 lit. d AlVG nicht arbeitslos gewesen, wenn das Entgelt aus dieser Tätigkeit im Fremdvergleich die Geringfügigkeitsgrenze überstiegen hätte (§ 12 Abs. 6 lit. d AlVG). Im vorliegenden Fall kommt es aber nicht darauf an, welches Ausmaß die genannte Tätigkeit hatte oder ob sie aus Sicht des Arbeitslosen unerheblich war bzw. welches Entgelt dafür gebührt hätte und ob die Revisionswerberin wegen des Nichtüberschreitens der Geringfügigkeitsgrenze die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit weiterhin erfüllt hätte, weil dem Vorhalt der Nichtanzeige dieser Tätigkeit die Geringfügigkeit der (fiktiven) Entlohnung nicht entgegengehalten werden kann, wenn ein Empfänger von Arbeitslosengeld von einem öffentlichen Organ bei Tätigkeiten gemäß § 25 Abs. 2 AlVG angetroffen wird (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 15.850, sowie die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/08/0262, und vom , Zl. 2010/08/0033). Mit ihrem Vorbringen, die beanstandete Tätigkeit sei nicht von § 25 Abs. 2 AlVG umfasst und es sei keine Meldepflicht verletzt worden, bestreitet die Revisionswerberin auch nicht, dass sie die im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht erbrachte Tätigkeit nicht unverzüglich der regionalen Geschäftsstelle gemeldet hat.

3. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der gemäß §§ 3 und 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf "Übergangsfälle" weiter anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des - hier vorliegenden - Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom , Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/07/0083, und vom , Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch hier vor, weil die Beschwerde keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen hat, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Wien, am