VwGH vom 26.02.2013, 2010/22/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr.in Alexia Stuefer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 147.574/17-III/4/09, betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 iVm § 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt, der in erster Instanz am "gemäß §§ 7 und 8 Asylgesetz rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B vom sei gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 2 Z 7 Fremdengesetz 1997 erlassen worden, welches antragsgemäß mit Bescheid derselben Behörde vom wieder aufgehoben worden sei. Der Beschwerdeführer sei trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet verblieben und habe am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Am habe er bei der Bundespolizeidirektion Wien im Rahmen der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau den Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt. Dieser sei durch den ab dafür zuständig gewordenen Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom abgewiesen und die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid "des Bundesministeriums" für Inneres vom gemäß § 21 Abs. 1 sowie § 11 Abs. 2 Z 1 NAG abgewiesen worden. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde nach Ablehnung ihrer Behandlung und Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof durch diesen stattgegeben und der angefochtene Bescheid mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0476, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Am habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - erstmals die Erteilung einer Daueraufenthaltskarte beantragt. Laut Melderegister sei er seit durchgehend mit Hauptwohnsitz, zuletzt seit an einer näher genannten Adresse in Wien, amtlich gemeldet. Laut "aktuellem Hauptverband" weise er von zumindest bis "nahezu durchgehende" Versicherungszeiten als Arbeiter, zuletzt in der Zeit vom bis in Wien, auf. Seine Ehegattin sei seit durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich, zuletzt seit an der gleichen Adresse wie der Beschwerdeführer in Wien, amtlich gemeldet und weise zumindest seit durchgehend Versicherungszeiten als Angestellte einer Agentur in Wien auf.
Im Zuge der Antragstellung habe der Beschwerdeführer eine "am ausgestellte" spanische Niederlassungsbewilligung und eine am auf seine Ehegattin ausgestellte spanische Anmeldebescheinigung vorgelegt. Für die korrekte Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Sinn des Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: RL) sei jedoch ein Aufenthalt von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates erforderlich. Zur Stellungnahme über Dauer, Art und Umfang seines Aufenthalts bzw. jenen seiner Frau in Spanien (z.B. Vorlage von Arbeits- und Gehaltsbestätigungen, Steuererklärungen, etc) aufgefordert, habe er über seine rechtsfreundliche Vertretung mit Schreiben vom angeführt, dass kein Nachweis in Bezug auf eine Erwerbstätigkeit seiner Ehegattin in Spanien vorgelegt werden könne. In seiner Berufung habe er auch ausgeführt, dass bereits durch das Faktum der Ausstellung der spanischen Anmeldebescheinigung am für seine Ehegattin die Freizügigkeitsberechtigung erwiesen sei; eine weitere Befugnis zur Überprüfung des Freizügigkeitsrechts käme den österreichischen Behörden nicht zu. Es stehe daher fest, so die belangte Behörde weiter, dass der Beschwerdeführer nicht dargetan habe, dass seine Ehegattin das Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habe; auch sonst sei weder der Berufung noch dem bekämpften Bescheid noch dem Akteninhalt ein Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme dieses Rechtes zu entnehmen. Darüber hinaus stünden einer korrekten Ausübung der Freizügigkeit der Ehefrau des Beschwerdeführers ihre durchgehenden Versicherungszeiten zumindest seit als Angestellte einer näher genannten Agentur und die seit durchgehende Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entgegen. Der Beschwerdeführer sei somit die Ehe mit einer "nicht freizügigkeitsberechtigten" Unionsbürgerin eingegangen und falle daher nicht unter § 54 NAG. Die Ehe mit einer EWR-Bürgerin allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom , Zl. B 156/10-3) an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene (Beschluss vom , Zl. B 156/10-5) Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und auftragsgemäßer Ergänzung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer erwogen:
Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides am sind die Bestimmungen des NAG im 4. Hauptstück über das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht (§§ 51 bis 57) in der Stammfassung maßgeblich.
Zunächst ist der Beschwerdeansicht, wonach die bloße Ausstellung einer Anmeldebescheinigung bzw. einer Aufenthaltskarte - hier durch Spanien - bereits einen durch die österreichischen Behörden nicht mehr zu hinterfragenden Beleg für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 7 RL darstelle, zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass solchen Dokumenten lediglich Indiz-, nicht aber eine Bindungswirkung für die Behörden anderer Mitgliedstaaten zukommt (vgl. dazu ausführlich die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/22/0011, sowie vom , Zl. 2010/22/0035, auf deren Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
Wenn die Beschwerde ferner die Meinung vertritt, dass weder Art. 7 RL noch § 57 NAG eine Mindestaufenthaltsdauer normieren, ab der von der korrekten Ausübung des Freizügigkeitsrechts gesprochen werden könne, genügt es ebenfalls auf die ausführliche Begründung des bereits zitierten Erkenntnisses zur Zl. 2010/22/0011 zu verweisen, der zufolge nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen des § 57 NAG Relevanz entfalten kann, sondern die österreichische Ankerperson vielmehr effektiv und tatsächlich, somit mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben muss (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0386, und insbesondere die Ausführungen unter Pkt. 3.3).
Die Beschwerde rügt aber auch in diesem Zusammenhang, dass die belangte Behörde zur konkreten Dauer und Art des Aufenthalts der Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien keine Feststellungen getroffen hat.
Dies ist aber für die Frage, ob die unionsrechtliche Freizügigkeit durch die Ehefrau des Beschwerdeführers in Anspruch genommen wurde, maßgeblich.
Ausgehend von den Stellungnahmen des Beschwerdeführers könnte sich dieser, wie auch seine Ehefrau, mehr als drei Monate im Aufnahmemitgliedstaat Spanien aufgehalten haben.
Zur Frage, wann von einer Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit ausgegangen werden kann, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des bereits zitierten hg. Erkenntnisses zur Zl. 2010/22/0011 verwiesen. Zwar wurde im vorliegenden Verfahren nicht behauptet, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien gearbeitet hätte, arbeitssuchend gewesen sei oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, weshalb ausgehend davon der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 lit. a RL nicht eröffnet wäre. Wohl aber könnte allein durch die Wohnungnahme der Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien für die Dauer von mehr als drei Monaten das Recht auf Aufenthalt (für einen Zeitraum von über drei Monaten) gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b RL bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zum Tragen kommen, sofern diese in tatsächlicher und effektiver Weise erfolgt ist. Eine neben einer solchen Begründung eines Wohnsitzes ausgeübte Berufstätigkeit oder effektive, nachhaltige und objektiv nicht aussichtslose Arbeitsplatzsuche kann dagegen für eine relevante Ausübung der Freizügigkeit nicht gefordert werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0438).
In rechtlicher Verkennung der Notwendigkeit hat die belangte Behörde somit keine Feststellungen zur konkreten Art und Dauer des Aufenthaltes der Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien getroffen und Beweisaufnahmen wie etwa die Befragung der Ehefrau des Beschwerdeführers nicht vorgenommen. Dies wäre aber für die Beurteilung der Frage, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers ihre unionsrechtliche Freizügigkeit gemäß § 57 NAG in Anspruch genommen hat und somit dem Beschwerdeführer als ihrem Familienangehörigen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zusteht, erforderlich gewesen.
Die belangte Behörde hat aber auch nicht konkret und nachvollziehbar begründet, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau die genannten spanischen Dokumente nur deswegen für sich hätten ausstellen lassen, um damit eine österreichische Berechtigung zu erwirken, ohne tatsächlich eine effektive Inanspruchnahme der Freizügigkeit in Spanien zu beabsichtigen. Die Bescheidbegründung, in der lediglich auf durchgehende Beschäftigungs- und Meldezeiten in Österreich verwiesen wird, lässt offen, ob die belangte Behörde von einem solchen Verhalten ausgeht.
Letztlich gleicht der Beschwerdefall vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, "Dereci u.a.", darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0309, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auch auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am