VwGH vom 14.12.2010, 2010/22/0181
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Y, vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 14/1. Stock, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. E1/18678/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei am rechtswidrig aus Ungarn in das Bundesgebiet eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei mit gemäß § 7 und § 8 Asylgesetz 1997 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden, ohne dass über eine Ausweisung abgesprochen worden sei. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck habe mit Schreiben vom ein Ausweisungsverfahren gemäß § 53 Abs. 1 FPG eingeleitet und dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährt.
In einer schriftlichen Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorgebracht, dass er seit fast acht Jahren in Österreich lebe, sich wohlverhalten habe und auch strafgerichtlich nicht aufgefallen sei. Er sei in Österreich sowohl sozial als auch kulturell integriert, habe keinen Kontakt mehr in die Türkei und sein Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis sei ausschließlich in Österreich bzw. in der Schweiz. Am habe er sich für einen Deutsch-Qualifizierungskurs eingeschrieben. Weiters hätten drei Personen eine Patenschaftserklärung für ihn abgegeben.
Am habe der Beschwerdeführer beim Stadtmagistrat Innsbruck einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht. In einer Niederschrift, datiert mit , habe er dazu im Wesentlichen angegeben, zunächst für etwa drei Jahre in J gelebt zu haben und dann nach I übersiedelt zu sein, wo er seit 2006 in einem Zimmer in der S-Straße 6 wohne. Seine Familie lebe in der Türkei, sein Schwager wohne in Österreich und sein 22jähriger Sohn in der Schweiz. Der Beschwerdeführer habe in Österreich nie gearbeitet und sei von seinem Schwager und vom Sozialamt unterstützt worden. Derzeit besuche er einen Deutschkurs mit dem Ziel, die A2-Prüfung abzulegen, und würde gerne als Bauarbeiter in Österreich arbeiten.
Die Bundespolizeidirektion Innsbruck habe den Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen, weil er sich seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens mit rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.
Die belangte Behörde stellte fest, dass ein relevanter Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers durch eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG erfolge. Dieser Eingriff mache die Ausweisung im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG aber nicht unzulässig. Es bestehe ein großes öffentliches Interesse daran, dass sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Dass der Beschwerdeführer, der sich seit rechtswidrig in Österreich aufhalte, das Bundesgebiet verlasse, sei zur Erreichung des im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zieles des Schutzes der öffentlichen Ordnung (auf dem Gebiet des Fremden- und Einwanderungswesens) dringend geboten.
Die privaten oder familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung einer Ausweisung. Diese sei auch im Grunde des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Der Beschwerdeführer halte sich zwar seit Oktober 2002, somit seit acht Jahren, (zunächst) als Asylwerber im Bundesgebiet auf. Dieser Aufenthalt sei allerdings seit rechtswidrig. Jeder Asylwerber wisse oder müsse jedenfalls wissen, dass er im Fall des negativen Abschlusses des Asylverfahrens das Bundesgebiet verlassen müsse und nicht "im Wege des Asylverfahrens einwandern" könne.
Ein tatsächliches Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des Art. 8 EMRK in Österreich bestehe nicht. Er lebe seit 2006 in Untermiete in einem Zimmer der "Österreichisch-Islamischen Föderation, Zweigverein I" in I. Der Beschwerdeführer sei laut seinen Angaben im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom "verheiratet". Seine Familie (Ehefrau und Kinder) lebe jedoch in der Türkei oder in der Schweiz.
Ein schutzwürdiges Privatleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei angesichts des Umstandes, dass er seit acht Jahren hier lebe und ein Privatleben (Freundes- und Bekanntenkreis) entwickelt habe, gegeben. Er sei - der Art des Aufenthalts entsprechend - integriert: Er habe Bindungen im Bundesgebiet zum Bruder seiner Ehefrau sowie zu Bekannten und Freunden. Nach eigenen Angaben im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom spreche er "gut" Deutsch. Der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig und auch nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Sein Lebensunterhalt werde von der öffentlichen Hand und von Freunden bestritten, wobei drei Freunde eine Patenschaftserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 18 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz abgegeben hätten. Eine Schulausbildung habe der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht absolviert.
Bindungen zu seinem Heimatstaat Türkei habe der Beschwerdeführer insofern, als dort seine Ehefrau und seine Kinder sowie weitere Verwandte lebten. Zumindest mit seiner Mutter habe er noch Kontakt. Der Beschwerdeführer lebe zwar seit acht Jahren nicht mehr in der Türkei, dies sei allerdings noch nicht so lange, dass er sich mit den dortigen Gegebenheiten (Sprache und Kultur) nicht mehr zurechtfinden könne. Die Angehörigen und Verwandten des Beschwerdeführers in der Türkei verfügten über hinreichende Existenz- und Wohnmöglichkeiten.
Der Beschwerdeführer sei zwar strafgerichtlich unbescholten, habe jedoch auf Grund seiner Nichtausreise aus dem Bundesgebiet nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens mit Verstöße gegen die öffentliche Ordnung (auf dem Gebiet des Fremden- und Einwanderungswesens) zu verantworten.
Zum Nachteil des Beschwerdeführers falle auch ins Gewicht, dass sein Privatleben in Österreich zur Gänze in einer Zeit - nämlich während des Asylverfahrens - entstanden sei, in der er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei oder jedenfalls hätte bewusst sein müssen.
Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Bundesgebiet hätten aufhalten dürfen, zu verhindern, komme aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. Im Fall des Beschwerdeführers überwögen - unter Berücksichtigung der genannten Umstände - die privaten und familiären Interessen an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung nicht.
Könnte sich ein Fremder in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privatleben berufen, würde dies dazu führen, dass einwanderungswillige Fremde, die in rechtskonformer Art und Weise vom Ausland aus ihren Antrag auf Erteilung eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels stellten und die Entscheidung auch dort abwarteten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die in das Bundesgebiet einreisten, hier einen Asylantrag stellten, nach rechtskräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens nicht mehr ausreisten und so den dauernden Aufenthalt in Österreich erzwängen. Dies würde in letzter Konsequenz wohl zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der einwanderungswilligen Fremden untereinander führen.
Die durch die Rückkehr in die Türkei bewirkten Unannehmlichkeiten des Beschwerdeführers müsse er im Interesse der öffentlichen Ordnung (im Interesse eines geordneten Fremden- und Einwanderungswesens) in Kauf nehmen.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine nicht bereits bei der Interessenabwägung berücksichtigten Umstände vorlägen, könne von der Ausweisung auch nicht im Rahmen des von der Behörde zu übenden Ermessens gemäß § 53 Abs. 1 FPG Abstand genommen werden.
Das Asylverfahren habe zwar lange gedauert, aber nicht so lange, dass eine Ausweisung des Beschwerdeführers nicht mehr zulässig wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass das Verfahren über den vom Beschwerdeführer gestellten Asylantrag rechtskräftig negativ beendet wurde und er seitdem über keine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Im Hinblick darauf begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhalte und somit die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde ein willkürliches Verhalten vor, weil diese den angefochtenen Bescheid mit Ausführungen begründet habe, denen jeglicher Begründungswert fehle. So habe die belangte Behörde bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seit acht Jahren von seiner Familie getrennt sei und zu dieser keinen persönlichen Kontakt habe. Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer persönlich angehört, so wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass dieser tatsächlich keinen Kontakt mehr zu seiner Heimat sowie zu seinen Familienmitgliedern habe und das Ehe- und Familienleben mit seiner in der Türkei lebenden Frau nicht dem Wesen eines Ehelebens entspreche. Bei einer Trennung von acht Jahren, wie im konkreten Fall, könne kein Zweifel daran bestehen, dass weder der Ehemann noch die Ehefrau an der Ehe festhalten wollten. Die belangte Behörde sei auch auf den Integrationsgrad des Beschwerdeführers bei ihrer Beurteilung nicht ausreichend eingegangen, zumal der Beschwerdeführer die deutsche Sprache im Selbststudium gut erlernt und sich auch für einen Deutschkurs eingeschrieben habe. Wenn die belangte Behörde den Beschwerdeführer persönlich angehört hätte, so hätte sie unmittelbar erfahren, dass er die deutsche Sprache beherrsche.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 66 FPG hat die belangte Behörde den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit Oktober 2002 und die daraus resultierende Integration berücksichtigt. So hat sie etwa Feststellungen dazu getroffen, dass der Beschwerdeführer in Österreich Bindungen zum Bruder seiner Ehefrau sowie zu anderen Bekannten und Freunden habe, "gut" Deutsch spreche, einen Deutschkurs besuche und strafgerichtlich unbescholten sei.
Die belangte Behörde hat aber in ihrer Begründung auch festgehalten, dass der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig und auch in den österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert sei, über Bindungen zu seinem Heimatstaat verfüge, weil seine Kernfamilie sowie weitere Verwandte dort lebten, und Kontakt zu seiner Mutter habe.
Selbst wenn der Beschwerdeführer kein Interesse mehr an der Fortführung der Ehe mit seiner in der Türkei lebenden Ehefrau hat, leben doch - unbestritten - seine Kinder dort.
Zutreffend hat die belangte Behörde einen mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers angenommen. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet steht jedoch gegenüber, dass er sich seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens am unrechtmäßig in Österreich aufhält, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, darstellt. In Anbetracht dieser Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, keinem Einwand, zumal - worauf die belangte Behörde zu Recht hingewiesen hat - sich der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers stets als unsicher dargestellt hat.
Das Vorliegen von zu Gunsten des Beschwerdeführers abgegebenen Patenschaftserklärungen vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern.
Entgegen der Beschwerdeansicht liegt - wie sich schon aus den obigen Ausführungen ergibt - auch kein relevanter Ermittlungs- und Begründungsmangel vor und die belangte Behörde ist auch nicht willkürlich vorgegangen.
Wenn die Beschwerde der belangten Behörde vorwirft, auch insofern jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen zu haben, als sie den Beschwerdeführer nie persönlich angehört habe, so ist ihr zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0966).
Das weitere Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe sich während des Asylverfahrens eine wirtschaftliche Existenz aufgebaut, ist angesichts der unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach er nicht selbsterhaltungsfähig und auch nicht in den Arbeitsmarkt integriert sei, sowie angesichts der zur Sicherung seines Lebensunterhalts geltend gemachten Patenschaftserklärungen, nicht nachvollziehbar.
Letztlich sind auch keine Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von ihrem Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.
Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-82279