Suchen Hilfe
VwGH vom 15.12.2010, 2008/19/0600

VwGH vom 15.12.2010, 2008/19/0600

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des B, vertreten durch LEXACTA Tröthandl Rupprecht Schenz Haider Rechtsanwälte OEG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 316.275- 1/2E-VIII/23/07, betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der (minderjährige) Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste - unbestritten - über Polen in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und gelangte in der Folge in Begleitung seiner (volljährigen) Schwester, deren minderjähriger Tochter und eines (volljährigen) Bruders im Oktober 2007 in das Bundesgebiet, wo er um internationalen Schutz ansuchte.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, erklärte für seine Prüfung gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. C Dublin-Verordnung Polen für zuständig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet dorthin aus. Demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde rügt unter anderem, die belangte Behörde habe sich mit der Frage des Eingriffs in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens nicht ausreichend auseinandergesetzt, und zeigt damit einen relevanten Verfahrensmangel auf:

Die belangte Behörde beschäftigte sich im angefochtenen Bescheid zwar mit der Frage des Familienlebens des Beschwerdeführers zu einer schon zuvor in Österreich als Konventionsflüchtling anerkannten (anderen) Schwester und verneinte - mit näherer Begründung - eine "derart intensive Beziehung ..., dass im Falle einer Ausweisung nach Polen von einer unzulässigen Beeinträchtigung der in Art 8 EMRK gewährleisteten Rechte gesprochen werden" könne.

In Bezug auf seine familiären Kontakte zu anderen Familienangehörigen führte die belangte Behörde lediglich aus, es lägen keine Hinweise für die Unzulässigkeit der Ausweisung (unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK) vor, weil der Beschwerdeführer abgesehen von seinem (nicht asylberechtigten) Bruder und seiner Cousine über keine dauernd aufenthaltsberechtigten Verwandten verfüge.

Unberücksichtigt blieb bei diesen Überlegungen die volljährige Schwester des Beschwerdeführers, die ihn (gemeinsam mit ihrer Tochter und einem Bruder) nach Österreich gebracht hatte, die er im Asylverfahren als "Vertrauensperson" beigezogen hatte und bei der er - nach eigenen Angaben - leben wollte. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eine Trennung des Beschwerdeführers von dieser Schwester einen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben darstellen würde.

Dabei ist auch zu beachten, dass der in der Asylangelegenheit dieser Schwester ergangene Bescheid der belangten Behörde, mit der diese - wie der Beschwerdeführer - zuständigkeitshalber nach Polen ausgewiesen worden war, mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/19/1210, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden ist. Demnach kann eine (mögliche) Verletzung von Art. 8 EMKR nicht schon deshalb verneint werden, weil feststeht, dass auch die Schwester des Beschwerdeführers diesen nach Polen begleiten wird.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-82277