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VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0179

VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0179

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der G in Wien, vertreten durch die Scheucher Rechtsanwalt GmbH in 1070 Wien, Lindengasse 39, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 155.342/2-III/4/10, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den als Verlängerungsantrag bezeichneten Antrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Turkmenistan, vom auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Schüler" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Sie wertete diesen Antrag als Erstantrag und begründete dies damit, dass die Beschwerdeführerin bis über eine Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" verfügt habe. Den "Verlängerungsantrag" habe sie erst nach Ablauf der Gültigkeit des Aufenthaltstitels gestellt. Die "irrtümliche Annahme" betreffend die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels sowie der spätere Erhalt der Schulbesuchsbestätigung seien nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 24 Abs. 2 NAG zu betrachten. Sie hätte ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen müssen bzw. müsse die Fristversäumung eindeutig in den Bereich der Nachlässigkeit angesiedelt werden.

Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten. Die Behörde könne gemäß § 21 Abs. 3 NAG auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland dann zulassen, wenn (u.a.) die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar sei.

Die Beschwerdeführerin habe nach Belehrung diesen Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG gestellt.

Für die Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG seien u.a. die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, sowie die Bindung zum Heimatstaat zu berücksichtigen.

Die Beschwerdeführerin habe den Antrag nach § 21 Abs. 3 NAG im Wesentlichen damit begründet, dass sie derzeit eine Ausbildung absolviere und einen Sprachkurs besuche. In diesem Zusammenhang habe sie eine Bestätigung des I College, datiert mit , vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin sei seit ihrer Einreise als Au-Pair-Kraft tätig gewesen. Der Besuch des I College und die strafrechtliche Unbescholtenheit deuteten auf einen gewissen Grad einer Integration hin, jedoch würden diese Aspekte durch die sehr kurze Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet relativiert. Die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen seien höher zu bewerten als das private Interesse der Beschwerdeführerin an der Zulassung der Inlandsantragstellung. Eine Verletzung des Art. 8 EMRK sei auf Grund der gesamten Aktenlage zweifelsfrei nicht gegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

§ 21 und 24 NAG lauten idF BGBl. I Nr. 122/2009 auszugsweise:

"§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) ...

(3) Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

...

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

…"

Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 NAG verneint hat.

Zur Begründung dieses Zusatzantrages hat die Beschwerdeführerin lediglich vorgebracht, dass ihr eine Ausreise in ihr Heimatland derzeit nicht möglich sei und sie eine Ausbildung absolviere und einen Sprachkurs besuche. Sie sei seit November 2008 in Österreich zu Au-Pair-Zwecken aufhältig und möchte jetzt eine Ausbildung absolvieren. Bei dem Beschwerdevorbringen, sie unterliege nach den gesetzlichen Vorschriften ihres Heimatlandes (Turkmenistan) im Fall einer Rückkehr einer fünfjährigen Ausreisesperre, handelt es sich somit um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung. Ausgehend von den der belangten Behörde zur Kenntnis gebrachten Umständen ist mit der Abweisung des Zusatzantrages kein unzulässiger Eingriff nach Art. 8 EMRK verbunden. Zum einen verfügt die Beschwerdeführerin nicht über eine Familie in Österreich, zum anderen ist die Aufenthaltsdauer und die aus den Feststellungen ableitbare Integration viel zu gering, um einen maßgeblichen Eingriff in ihr Privatleben durch die Erforderlichkeit der Antragstellung im Ausland zu bewirken.

Der Beschwerde kommt dennoch Erfolg zu.

Bei der Einbringung des Antrags wurde die Beschwerdeführerin befragt. Sie gab an, sie habe einerseits gedacht, dass der Aufenthaltstitel eine Gültigkeit bis November 2009 habe. Andererseits habe sie erst nach einer Prüfung in der vergangenen Woche eine Schulbesuchsbestätigung ausgefolgt bekommen.

Mit BGBl. I Nr. 29/2009 wurde der zweite Absatz des § 24 maßgeblich novelliert. Die Erläuterungen in der Regierungsvorlage führen dazu aus (88 BlgNR 24. GP 9), dieser Absatz orientiere sich an der Wiedereinsetzung nach § 71 AVG und es werde die Judikatur zu § 71 Abs. 1 AVG zu beachten sein.

Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann nun auch in einem inneren, psychischen Geschehen liegen, daher auch in einem Vergessen oder Versehen (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb , AVG § 71 Rz. 34f, angeführte Judikatur).

Dieses Versehen hat die Beschwerdeführerin in der Berufung damit näher begründet, dass sie der Meinung gewesen sei, dass das ihr am ausgefolgte "Visum" für ein ganzes Jahr und nicht um 16 Tage verkürzt gültig wäre. Weiters sei die für die "Visumverlängerung" nötige Schulbesuchsbestätigung erst nach einer Aufnahmeprüfung am ausgefolgt worden und sie habe auf diesen Termin keinen Einfluss gehabt. Es habe sich damit um ein unabwendbares Ereignis im Sinn des § 24 Abs. 2 NAG gehandelt. Sie habe den Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt.

Die belangte Behörde hat nicht nachvollziehbar begründet, warum sie ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verneint. Über die wiedergegebene diesbezügliche Bescheidbegründung hinaus wurde lediglich dargelegt, "(d)er zitierte Gesetzesparagraph kann daher im gegenständlichen Verfahren nicht herangezogen werden".

Diese Begründung greift - auch im Blick auf die oben dargelegte Rechtsprechung - zu kurz, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben war.

Die Relevanz ist gegeben, da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde zu Unrecht einen Erstantrag angenommen hat, der nur als solcher dem Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 NAG unterliegt. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin einen Antrag nach § 21 Abs. 3 NAG gestellt hat, tat sie dies doch auf Anleitung der erstinstanzlichen Behörde.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am