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VwGH vom 02.09.2010, 2008/19/0549

VwGH vom 02.09.2010, 2008/19/0549

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/19/0550

2008/19/0553

2008/19/0552

2008/19/0551

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien 1. U T, geboren am , 2. A A, geboren am , 3. I T, geboren am , 4. Z T, geboren am , 5. A T, geboren am , alle in Ybbs an der Donau und vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , 1. 313.856-2/9E-XV/54/07, 313.856-1/4E-XV/54/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0549), 2. 313.857-2/7E-XV/54/07, 313.857-1/4E-XV/54/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0550), 3. 313.858-2/4E-XV/54/07, 313.858-1/4E-XV/54/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0551), 4. 313.859-2/4E-XV/54/07, 313.859-1/4E-XV/54/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0552), 5. 313.860-2/3E-XV/54/07, 313.860-1/5E-XV/54/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0553), betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (zu 1. bis 4.) und §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1, 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (zu 5.; weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden im Umfang ihrer Anfechtung, nämlich nur hinsichtlich der Abweisung der Asylanträge, der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und der Ausweisung, betreffend den Erstbeschwerdeführer wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und betreffend die zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 5.532,--, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien sind ihre minderjährigen Kinder); sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Die erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien reisten gemeinsam im November 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl. Für den in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführer stellte die Zweitbeschwerdeführerin am einen Antrag auf internationalen Schutz. In diesen Anträgen bezogen sich sämtliche beschwerdeführenden Parteien auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die im Wege der Devolution zuständig gewordene belangte Behörde die Asylanträge der erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab, erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, für zulässig und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Den Antrag auf internationalen Schutz des Fünftbeschwerdeführers wies die belangte Behörde gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten nicht zu. Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs 3 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat nicht zuerkannt und er wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im erstangefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers komme "keine Asylrelevanz" zu. Sein Vorbringen sei im Verfahren ausgewechselt und kontinuierlich gesteigert worden. Im Folgenden schilderte die belangte Behörde die aktenkundige Entwicklung des Vorbringens und kam zu dem Schluss, dass eine vom Erstbeschwerdeführer angegebene Festnahme durch russische Militärs im Jahr 1999 - aus näher dargestellten Gründen - nicht habe verifiziert werden können. Auch zu den Ursachen einer angeblichen Festnahme im Juni 2004 habe der Erstbeschwerdeführer unterschiedliche Angaben gemacht. Es sei evident, dass er nicht imstande gewesen sei, einen gleich bleibenden Sachverhalt zu schildern. Sein Motiv, die Russische Föderation zu verlassen, sei wohl außerhalb asylrelevanter Gründe zu suchen. Selbst bei "rein hypothetischer" Annahme, dass er tatsächlich im Jahr 2004 festgenommen worden sei, ergebe sich keine andere Beurteilung in Bezug auf die Asylrelevanz, zumal allfällige regimefeindliche Äußerungen zwar Grund für eine vorübergehende Anhaltung sein könnten, von der Art und Intensität aber nicht geeignet wären, eine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu begründen. Zudem sei davon auszugehen, dass sich der Erstbeschwerdeführer durch einen Ortswechsel innerhalb der Russischen Föderation vor weiteren Übergriffen auf seine Person hätte wirksam schützen können. Dass von einem österreichischen Journalisten bestätigt werde, der Erstbeschwerdeführer sei für ihn und andere ausländische Journalisten als Chauffeur tätig gewesen, ändere an der Gesamtbeurteilung nichts, da dem Erstbeschwerdeführer aus diesem Umstand offenkundig keine Probleme erwachsen seien. Dasselbe gelte für die von ihm vorgelegte Videokassette (auf der er russische Bombardements im ersten Tschetschenienkrieg aufgenommen haben will, um zu dokumentieren, was damals passiert sei). Insgesamt seien seine Ausführungen nicht einmal ansatzweise geeignet, die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung zu begründen. Auch subsidiärer Schutz sei ihm - aus näher dargestellten Gründen - nicht zu gewähren; Ausweisungshindernisse lägen nicht vor.

Die zweit- bis fünftangefochtenen Bescheide begründete die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend.

Dagegen richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, zu der in der Beschwerde geltend gemachten Befangenheit der entscheidenden Organwalterin Stellung genommen und im Übrigen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde macht zunächst die "Befangenheit der entscheidenden Organwalterin" geltend. Diese leitet sie aus der früheren Tätigkeit des entscheidenden Mitglieds der belangten Behörde im Bundesministerium für Inneres, aus einem e-mail-Verkehr in einem anderen Asylverfahren zwischen ihr und einem Mitarbeiter des Bundesasylamtes und aus der nach Auffassung der Beschwerde mangelhaften Verfahrensführung bzw. der inhaltlich unrichtigen Entscheidung in den gegenständlichen Fällen ab.

Das entscheidende Mitglied der belangten Behörde trat diesen Vorwürfen in seiner Stellungnahme ausführlich entgegen.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 4 AVG, der auch im Verfahren der belangten Behörde zur Anwendung kommt, haben sich Verwaltungsorgane der Ausübung ihres Amtes zu enthalten, wenn (sonstige) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass das Wesen der Befangenheit in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive besteht (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 2009/03/0129, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0088). Maßgeblich ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 7 Rz 14 mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung). Der Umstand, dass eine Entscheidung allenfalls unrichtig ist, ist für sich allein ohne Hinzutreten weiterer Gründe aber nicht ausreichend, um eine Befangenheit des entscheidenden Organs anzunehmen (vgl. auch dazu etwa das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2009/06/0088).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen gelingt es der Beschwerde nicht, eine Befangenheit des entscheidenden Mitglieds der belangten Behörde aufzuzeigen. Fallbezogen leitet die Beschwerde die angebliche Befangenheit nämlich nur aus der ihrer Ansicht nach unrichtigen Sachentscheidung und einer mangelhaften Verfahrensführung ab. Diese mögen zwar die Aufhebung der angefochtenen Bescheide rechtfertigen (siehe dazu gleich), sie sind aber für sich betrachtet ungeeignet, eine Befangenheit zu belegen. Soweit die Beschwerde auf die frühere Tätigkeit des entscheidenden Mitglieds im Bundesministerium für Inneres und einen e-mail-Verkehr mit einem Mitarbeiter der erstinstanzlichen Behörde in einem anderen Asylverfahren hinweist, vermag sie keinen Bezug zu den gegenständlichen Verfahren herzustellen. Schon deshalb ist daraus keine Voreingenommenheit der Organwalterin in Bezug auf die beschwerdeführenden Parteien abzuleiten.

Die diesbezügliche Verfahrensrüge erweist sich daher als unberechtigt.

2. Mit dem weiteren Beschwerdevorbringen zeigt die Beschwerde allerdings relevante Verfahrensmängel in Bezug auf den erstangefochtenen Bescheid auf, die zu dessen Aufhebung führen müssen.

2.1. Nach § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützt Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0550, mwN).

2.2. Diesen Erfordernissen entspricht der erstangefochtene Bescheid nicht.

Der Erstbeschwerdeführer hatte im Verfahren im Wesentlichen behauptet, bis in das Jahr 1999 unter dem damaligen Leiter des staatlichen Sicherheitsdienstes in Tschetschenien, der vom heutigen Regime als "Verräter" angesehen werde, in führender Position tätig gewesen zu sein. Als solcher habe er etwa auch ausländische Journalisten (darunter einen namentlich genannten österreichischen Journalisten) begleitet. Im Jahr 1999 sei er einmal festgenommen und mehrere Tage unter näher dargestellten Bedingungen inhaftiert und misshandelt worden. In der Folge habe er sich der Aufforderung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, für diesen Spitzeldienste zu leisten, widersetzt und öffentlich das neue Regime in Tschetschenien kritisiert, weshalb er im Jahr 2004 festgenommen und nach seiner - näher umschriebenen - Freilassung die Flucht ergriffen habe.

Die belangte Behörde traf in ihrer Entscheidung keine expliziten Sachverhaltsfeststellungen. Aus den beweiswürdigenden Erwägungen lässt sich nur schlüssig erkennen, dass ihr die vom Erstbeschwerdeführer angegebenen Inhaftierungen in den Jahren 1999 und 2004 nicht glaubwürdig erschienen. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese von der Beschwerde angegriffene Beweiswürdigung nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes Bestand hat.

Entscheidend ist, dass sich der Begründung des erstangefochtenen Bescheides nicht entnehmen lässt, ob die belangte Behörde die frühere Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers für den angeblich als "Verräter" geltenden Leiter des staatlichen Sicherheitsdienstes als erwiesen ansah und ob er deshalb - in Verbindung mit seinem sonstigen von der belangten Behörde nicht näher überprüften Verhalten (Begleitung ausländischer Journalisten, Aufnahme einer Videokassette über ein Bombardement im ersten Tschetschenienkrieg, um "den Leuten die Wahrheit zu zeigen") - im Zeitpunkt seiner Flucht eine asylrelevante Verfolgung erfahren konnte oder bei nunmehriger Rückkehr in den Herkunftsstaat erfahren würde. Dabei kommt es - wie die Beschwerde zutreffend hervorhebt - nicht darauf an, ob der Erstbeschwerdeführer bereits tatsächlich inhaftiert worden ist, sondern vielmehr, ob eine in seiner Situation befindliche Person wohlbegründete Furcht vor Verfolgung gehabt hätte bzw. noch haben würde. Zu Recht rügt die Beschwerde, dass sich die belangte Behörde mit diesen Fragen nicht genügend auseinandergesetzt hat. Insbesondere ist ihr Hinweis, regimefeindliche Äußerungen könnten nur zu einer vorübergehenden Anhaltung führen, die ihrer Art und Intensität nach nicht geeignet sei, als asylrelevante Verfolgung angesehen zu werden, im Lichte der notorischen Verhältnisse in Tschetschenien nicht nachzuvollziehen.

Für die abschließende Beurteilung des angesprochenen Themenkomplexes wird es auch erforderlich sein, die übergangenen Beweisanträge (Einvernahme eines namentlich genannten österreichischen Journalisten zum Beweis der "angegebenen Tätigkeit für die Staatssicherheit der Republik Itschkeria und den Kontakt und Betreuung von westlichen Journalisten" und zweier in Österreich aufhältiger tschetschenischer Zeugen zum Beweis der Tätigkeiten des Erstbeschwerdeführers für die Staatssicherheit) auf ihre Relevanz für den Verfahrensausgang einer Prüfung zu unterziehen.

Der erstangefochtene Bescheid war aus diesen Gründen im Umfang der Anfechtung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

3. Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren auch auf die angefochtenen Bescheide der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien durch (§ 10 Abs. 5 AsylG bzw. § 34 Abs. 4 AsylG 2005) und belastet diese mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die zweit- bis fünftangefochtenen Bescheide waren deshalb im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

4. Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 4 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II. Nr. 455. Da den beschwerdeführenden Parteien die Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Pauschalgebühr bewilligt worden ist, war das darauf gerichtete Kostenmehrbegehren abzuweisen. Wien, am

Fundstelle(n):
JAAAE-82263