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VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0173

VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0173

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des B in N, vertreten durch Mag. Heinrich Luchner, Dr. Rainer Wechselberger und MMag. Johannes Wechselberger, Rechtsanwälte in 6290 Mayrhofen, Waldbadstraße 537, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. E1/9004/10, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen russischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 Z 8 und Abs. 5, § 61, § 63 und § 66 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Die erstinstanzliche Behörde habe das Aufenthaltsverbot wegen "Schwarzarbeit" als Reiseleiter für russische Touristen erlassen. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, er hätte lediglich russische Touristen eingewiesen. In den meisten Fällen hätte es sich um Bekannte von ihm gehandelt. Seine Leistung wäre unentgeltlich erfolgt. Am hätte er sich auf dem Gelände des Flughafens I befunden, um eine Gruppe aus Moskau ankommender langjähriger Freunde zu empfangen, um diese persönlich zu begrüßen und ihnen bei der Suche nach Transfermöglichkeiten zum Hotel behilflich zu sein, sowie um die weitere Urlaubsplanung vorzunehmen. Da diese Freunde mit einer Reisegruppe des Unternehmens C zusammen gereist wären, hätte er sich ein Signalschild des Unternehmens C geben lassen. Zu keinem Zeitpunkt hätte er angegeben, dass er die Tätigkeit eines Reiseleiters ausübe. Die entsprechende polizeiliche Niederschrift hätte er bewusst nicht unterschrieben, weil der Inhalt der Niederschrift frei erfunden gewesen wäre.

Am sei der Beschwerdeführer in einem Sportgeschäft in S fremdenpolizeilich kontrolliert worden. Nach seinen Angaben wäre er mit seinen Freunden in diesem Geschäft gewesen und hätte ihnen bei der Auswahl der Schiausrüstung geholfen. Die bei ihm gefundenen Belege mit der Unterschrift "B" stammten aus dem Jahr 2007/2008. Damals hätte er im Unternehmen W-Tour eine kurze Ausbildung gemacht und dieses Unternehmen wäre damals irgendwie mit dem Unternehmen C verbunden gewesen.

Die belangte Behörde habe den einschreitenden Polizeibeamten als Zeugen vernommen. Dieser habe im Wesentlichen angegeben, er hätte den Beschwerdeführer beobachtet, wie er im Flughafen I eine Tafel mit der Aufschrift der Firma C hochgehalten hätte. Auf Grund seines Gesamtverhaltens wäre eindeutig erkennbar gewesen, dass er eine Tätigkeit als Reiseführer ausführte, zumal er in einer Gruppe mehrerer derartiger Reiseführer gestanden wäre. Im Zuge der Kontrolle hätte er ersucht, dass er noch ankommende Gäste empfangen bzw. einweisen dürfte. Dies wäre in der Weise abgelaufen, dass sich nach kurzer Zeit mehrere russische Fluggäste bei ihm eingefunden hätten, wobei diese Personen ausschließlich auf das Schild reagiert hätten. Auf Grund der Mimik bzw. des Verhaltens des Beschwerdeführers wäre eindeutig erkennbar gewesen, dass sie sich nicht gekannt hätten. Der Beschwerdeführer hätte die in der Niederschrift angeführten Aussagen getätigt und am Ende der Niederschrift plötzlich erklärt, dass er nun müde wäre und gehen wollte und die Niederschrift nicht unterschreiben würde. Er hätte erklärt, dass er alles unentgeltlich mache und sich den Geldbetrag von EUR 2.950,--, den er mitgeführt hätte, ausgeliehen hätte. Der Beschwerdeführer hätte mehrere Listen mit den Personaldaten der erwarteten Gäste bei sich gehabt.

Der Beschwerdeführer spreche - so die belangte Behörde weiter - perfekt Deutsch. Es widerspreche völlig der Lebenserfahrung, auf einem Flughafen abzuholende Freunde mit einem Reiseleiterschild mit dem Namen des Reiseunternehmens auf sich aufmerksam zu machen. Dies gelte auch, wenn - wie vom Beschwerdeführer behauptet - diese Freunde in Begleitung von unbekannten Personen seien. Weiters sei der Beschwerdeführer am in einem Sportgeschäft in S fremdenpolizeilich kontrolliert worden, wo er seinen Angaben nach wiederum mit den russischen Freunden in diesem Geschäft gewesen wäre und ihnen geholfen hätte. Im Schriftsatz vom habe er eingeräumt, aus Russland ankommende Touristen unentgeltlich, wohl aber gegen Kostenersatz, in Österreich betreut zu haben.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers werde als bloße Schutzverantwortung gewertet. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass zwischen dem Beschwerdeführer und der "Firma C" ein Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Der Beschwerdeführer sei bei einer Beschäftigung als Reiseleiter betreten worden, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen. Dies erfülle den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 8 FPG.

Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befinde sich in Deutschland. Das Aufenthaltsverbot stelle somit keinen relevanten Eingriff in sein Privat- oder Familienleben dar. Jedenfalls wögen aber die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schwerer als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Der minderjährige behinderte Sohn des Beschwerdeführers besitze die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer sei in Deutschland Sozialhilfeempfänger.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass der Bescheid auf der Grundlage des FPG vor dem FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, erlassen wurde und sich nachstehende Zitierungen auf diese Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009, beziehen.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Nach der Z 8 ist dies der Fall, wenn der Fremde von einem Organ der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG, der regionalen Geschäftsstelle oder der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen. Einer solchen Betretung kommt die Mitteilung einer Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG oder einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Unzulässigkeit der Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gleich, sofern der Fremde bei dieser Beschäftigung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten worden ist (§ 60 Abs. 5 FPG).

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid in seinem Spruch für unklar, weil über den räumlichen Geltungsbereich des Aufenthaltsverbotes nicht abgesprochen worden sei. Dem ist zu entgegnen, dass § 60 Abs. 1 FPG auf eine Gebietsbeschränkung nicht abstellt. Ein Aufenthaltsverbot enthält gemäß § 67 Abs. 1 FPG eine Ausreiseverpflichtung. Gemäß der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 4 Z 2a FPG stellt eine Ausreise das Verlassen des Bundesgebietes dar. Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass ein Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich gilt.

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht argumentativ gegen die behördliche Beweiswürdigung. Diese ist auch in keiner Weise unschlüssig. Aus dem Ablauf des Empfanges der russischen Gäste auf dem Flughafen I durch Hochhalten eines Schildes des Reiseunternehmens iVm der Aussage des Polizeibeamten durfte die belangte Behörde ohne weiteres darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nicht Freunde empfangen hat, sondern als Reiseleiter tätig geworden ist. Dass eine solche Tätigkeit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz widerspricht, wird vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen. Dem Beschwerdevorbringen ist zwar zuzustimmen, dass die unentgeltliche Erbringung eines Freundschaftsdienstes nicht unter den Begriff der Beschäftigung fällt, von einem bloßen Freundschaftsdienst kann auf Grund des festgestellten Sachverhalts jedoch keine Rede sein. Eine Mitteilung nach § 60 Abs. 5 FPG liegt vor.

Soweit der Beschwerdeführer auf die Unterlassung der Vernehmung von beantragten Zeugen verweist, ist ein solcher Antrag den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Der Beschwerdeführer hat lediglich mit der Stellungnahme vom eine Bestätigung der Geschäftsführerin des in Russland niedergelassenen Reiseunternehmens vorgelegt, derzufolge er keine Geschäftstätigkeit im Namen dieses Unternehmens ausgeübt habe. Die belangte Behörde hat schlüssig begründet, warum sie dem Inhalt dieser Bestätigung nicht gefolgt ist.

Die auf die Erbringung eines bloßen Freundschaftsdienstes gerichtete Argumentation des Beschwerdeführers wird schon dadurch relativiert, dass in der Beschwerde auf die Zulässigkeit einer Erwerbstätigkeit aus unionsrechtlichen Gründen hingewiesen wird. Aber auch darin kann der Beschwerde nicht gefolgt werden. Art. 23 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG räumt als verbundenes Recht ein, dass Familienangehörige eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt sind, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger aufzunehmen. Die Anwendung dieser Richtlinie scheint im vorliegenden Fall schon daran zu scheitern, dass die Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, in keiner Weise ersichtlich ist. Auch von einer Unterhaltsgewährung seitens des Unionsbürgers an den Beschwerdeführer kann wohl keine Rede sein, weshalb der Beschwerdeführer nicht als "Familienangehöriger" im Sinn dieser Richtlinie gesehen werden kann (vgl. deren Art. 2 und 3). Darüber hinaus gewährt diese Richtlinie aber - wie zitiert - die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit "dort", somit im Wohnsitzstaat des Familienangehörigen und nicht in einem weiteren Mitgliedstaat.

Soweit der Beschwerdeführer die Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG anspricht, erwirbt zwar auf Grund des Art. 14 dieser Richtlinie ein langfristig Aufenthaltsberechtigter das Recht, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten aufzuhalten; diese Richtlinie gewährt aber kein unbedingtes Recht auf Ausübung einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie, demzufolge die Mitgliedstaaten eine Arbeitsmarktprüfung durchführen und hinsichtlich der Anforderungen für die Besetzung einer freien Stelle bzw. hinsichtlich der Ausübung einer solchen Tätigkeit ihre nationalen Verfahren anwenden dürfen).

Den Ausführungen des Beschwerdeführers zum Unionsrecht ist daher insgesamt der Boden entzogen.

Vollends unglaubwürdig werden die Behauptungen des Beschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen Verfahren durch das weitere Beschwerdevorbringen, wonach das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot für seinen Sohn die faktische Folge hätte, dass ihm der Beschwerdeführer nicht den nötigen Unterhalt leisten könnte, weil die Anzahl der russischen Gäste in Deutschland weit geringer sei als in Österreich. Das verhängte Aufenthaltsverbot würde dazu führen, dass der Beschwerdeführer in den nächsten fünf Jahren in Österreich weder einer selbständigen noch einer unselbständigen Tätigkeit "unter Einhaltung der formalen Voraussetzungen" nachgehen könnte.

Da sich aus dem verwaltungsbehördlichen Verfahren in keiner Weise der Schluss ergibt, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Familienleben führt, wird durch das Aufenthaltsverbot - eine Wirkung auf das Aufenthaltsrecht in Deutschland ist nicht zu entnehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/18/0367) - nicht in sein Familienleben eingegriffen. Der Eingriff in sein Privatleben iS der Verhinderung eines inländischen Aufenthalts und einer (erst anzustrebenden) legalen Erwerbstätigkeit in Österreich kann nicht als unverhältnismäßig gesehen werden, kommt doch der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
IAAAE-82259