VwGH vom 26.02.2020, Ra 2019/09/0044
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B, vertreten durch Mag. Julia Eckhart, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 30. 9-2391/2017-10, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld vom wurde der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher genannten Gesellschaft der sechsfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) iVm § 9 Abs. 1 VStG mit fünf näher bezeichneten Glücksspielgeräten und einem Nullstellschlüssel schuldig erkannt und über ihn sechs Geldstrafen in der Höhe von jeweils 5.000 Euro (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
2 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.
3 Das Landesverwaltungsgericht Steiermark führte am
eine mündliche Verhandlung durch. In der
Verhandlungsschrift wurde vor der Eröffnung des Beweisverfahrens
festgehalten, dass "dem Verfahren aus dem Beschlagnahmeverfahren
zu LVwG ... die Verhandlungsschrift vom ..., das Erkenntnis LVwG
vom ... sowie das Ergebnis aus dem verwaltungsgerichtlichen
Verfahren zu ..., wonach der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ablehnte und der Verwaltungsgerichtshof die Revision gegen das zitierte Erkenntnis beschlussmäßig zurückgewiesen habe, zugrunde gelegt werden".
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde durch das Landesverwaltungsgericht Steiermark zu den Spruchpunkten betreffend die Glücksspielgeräte als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Nullstellschlüssel wurde der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG iVm § 38 VwGVG eingestellt. Weiters sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren der belangten Behörde 5.000 Euro betrage und dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. In der Beweiswürdigung stützte sich das Verwaltungsgericht "in erster Linie" auf den vorliegenden Verwaltungsakt sowie auf die bereits aus der Verhandlungsschrift zitierten Akten. Zum Spielablauf stützte sich das Gericht auch auf die Aussage eines in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen.
5 Mit Beschluss vom , E 4832/2018-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der vor ihm dagegen erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.
6 Gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark richtet sich die außerordentliche Revision, in der die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. 7 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision erweist sich mit Blick auf ihr Vorbringen, wonach gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz gemäß § 48 Abs. 1 VwGVG bzw. die hg. Judikatur (Verweis auf ) verstoßen worden sei, weil das Verwaltungsgericht weder den erstinstanzlichen Behördenakt, noch den Beschlagnahmeakt und insbesondere nicht die Verhandlungsschrift und die zitierten Erkenntnisse verlesen und daher auch die Beweiswürdigung ausschließlich auf Beweismittel gestützt habe, die in der Verhandlung nicht verlesen worden seien, als zulässig und begründet:
9 Gemäß § 48 Abs. 1 VwGVG ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist.
10 § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen (vgl. ; , Ra 2019/09/0049; , Ra 2018/09/0159, mit Verweis auf ).
11 Nach der Verhandlungsschrift ist weder ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Verlesung (§ 46 Abs. 3 VwGVG) gegeben gewesen wären, in der Verhandlung die oben genannten Akten und Aktenbestandteile verlesen wurden noch dass der Revisionswerber auf eine Verlesung verzichtet hätte. Das Verwaltungsgericht stützt sich in seiner Beweiswürdigung großteils auf die Beweisergebnisse der zugrunde gelegten Akten und Erkenntnisse, insbesondere auch zu der bereits in der Beschwerde bestrittenen Inhaberschaft der Geräte.
12 Stützt sich das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung zu einer entscheidungswesentlichen Tatfrage unter anderem auf Beweise, die entgegen § 48 VwGVG nicht in der durchgeführten Verhandlung aufgenommen wurden, ist daraus ein für den Beschuldigten nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht auszuschließen. Ein solcher sich aus der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nach § 48 VwGVG ergebender Verfahrensmangel ist insofern entscheidungsrelevant und hat die Aufhebung eines entsprechend mangelhaften Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes zur Folge (vgl. , mwN). Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht lediglich zu einem Teil des entscheidungsrelevanten Beweisthemas unmittelbare Beweisaufnahmen durch Einvernahme von zwei Zeugen vorgenommen hat, vermag daran nichts zu ändern.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen gewesen wäre.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019090044.L00 |
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