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VwGH vom 10.11.2010, 2010/22/0161

VwGH vom 10.11.2010, 2010/22/0161

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des P, vertreten durch die Brandtner Doshi Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, Drevesstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom , Zl. E1/25189/09, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen im Jahr 1989 geborenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Dieser Maßnahme legte sie zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom wegen schweren Raubes nach § 142 Abs. 1, § 143 erster Satz, zweiter Fall, StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe als Mittäter unter Verwendung einer Waffe einer Person Sachen weggenommen, indem der Mittäter dem Opfer einen Faustschlag in das Gesicht versetzt und ihm ein Messer vorgehalten und der Beschwerdeführer dem Opfer Stöße versetzt habe. Anschließend hätten sie die Kleidung des Opfers durchsucht und die Wertsachen an sich genommen. Erschwerend habe das Gericht die Ausführung der Tat trotz laufender Anzeigen beurteilt.

In der Folge listete die belangte Behörde zahlreiche Anzeigen gegen den Beschwerdeführer wegen diverser Straftaten auf; der Großteil der Verfahren sei gemäß § 192 Abs. 1 Z 1 StPO im Hinblick auf die genannte rechtskräftige Verurteilung eingestellt worden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 1 und Abs. 2 (Z 1) FPG erfüllt seien. Es sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, insbesondere an der Verhinderung strafbarer Handlungen, zuwiderlaufe.

Die große kriminelle Energie bzw. "negative Sinnesart" des Beschwerdeführers habe sich nicht nur im schweren Fehlverhalten anlässlich des Raubes, sondern auch in der Vielzahl der Delikte gezeigt, die er davor begangen habe. Er habe seine kriminellen Aktivitäten bis hin zum schweren Raub gesteigert. Auf Grund dieses Gesamtfehlverhaltens und der wiederholten Rückfälligkeit könne für den Beschwerdeführer derzeit keine positive Zukunftsprognose getroffen werden.

Durch das Aufenthaltsverbot werde in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Dieser sei im Jahr 1992 (somit im Alter von ca. drei Jahren) nach Österreich gereist. Seither halte er sich durchgehend im Inland auf und sei im Besitz eines Niederlassungsnachweises. In Österreich lebten seine Eltern. Die berufliche Integration des Beschwerdeführers sei nicht sehr ausgeprägt, weil er zuletzt größtenteils arbeitslos gewesen sei. Außerdem befinde er sich als 20-jähriger in einem Alter, in dem er nicht mehr auf den direkten Kontakt zu seinen Eltern angewiesen sei. Der Beschwerdeführer beherrsche die Sprache seines Heimatlandes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Eine Unzuständigkeit der belangten Behörde (mit Blick offensichtlich auf § 9 Abs. 1 FPG) vermeint der Beschwerdeführer mit dem Vorbringen, er sei als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen. Er lebe bei seinem Onkel und seiner Tante, die österreichische Staatsbürger seien.

§ 2 Abs. 4 Z 11 FPG definiert den begünstigten Drittstaatsangehörigen folgendermaßen:

"der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr gemeinschaftsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;"

§ 9 Abs. 1 FPG lautet:

"(1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Mit dem genannten Vorbringen wird in keiner Weise dargelegt, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG für die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger nachgewiesen habe und die belangte Behörde somit im Blick auf § 9 Abs. 1 FPG unzuständig gewesen sei.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen. Demnach wurde der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt und der Gerichtshof hegt angesichts des schweren Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers keine Bedenken gegen die von der belangten Behörde getroffene Gefährdungsprognose. Der belangten Behörde ist auch darin Recht zu geben, dass im Blick auf die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren das Aufenthaltsverbot nicht nach § 61 Z 4 FPG unzulässig ist.

Weiters verneinte die belangte Behörde die Verfestigung nach § 56 FPG. Der Beschwerdeführer war im Besitz eines Niederlassungsnachweises, der gemäß § 11 Abs. 1 lit. C NAG-DV als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" gilt.

§ 56 FPG lautet:

"§ 56. (1) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' oder 'Daueraufenthalt-Familienangehöriger' verfügen, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(2) Als schwere Gefahr im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht

1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, entgeltlicher Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt, Eingehens oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder Aufenthaltspartnerschaften, wegen einer Aufenthaltsadoption oder der Vermittlung einer Aufenthaltsadoption, wegen eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens nach dem SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB oder

2. wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

rechtskräftig verurteilt worden ist.

(3) § 55 Abs. 4 und 5 gilt."

Auch wenn die belangte Behörde diese Annahme einer erhöhten Gefährdungsprognose (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0603) nicht weiter begründet, sondern lediglich eine "Verfestigung" nach § 56 FPG verneint hat, wurde der Beschwerdeführer angesichts seines schweren Fehlverhaltens dadurch nicht in Rechten verletzt.

Der Beschwerdeführer meint, dass "bloße Anzeigen" keinesfalls zu seinen Lasten in eine Ermessensentscheidung einfließen dürften. Dieses Argument ist insoweit verfehlt, als strafbare Handlungen auch dann berücksichtigt werden dürfen, wenn diese nicht zu einer Verurteilung geführt haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0890). Hier ist der belangten Behörde zwar vorzuwerfen, dass sie nähere Feststellungen zu den den Anzeigen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen unterlassen hat. Dadurch wurde der Beschwerdeführer aber nicht in Rechten verletzt, ist doch schon anhand der Feststellungen zum schweren Raub die Gefährdungsprognose gerechtfertigt.

Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist, würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

§ 66 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 lautet auszugsweise:

"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;


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2.
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3.
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4.
der Grad der Integration;
5.
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6.
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7.
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8.
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
(3)…"
Es kann das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach dieser Bestimmung nicht als fehlerhaft beurteilt werden. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Verübung des Raubes bereits über 19 Jahre alt und er bringt in der Beschwerde ausdrücklich vor, dass er unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen "auf die schiefe Bahn" geraten sei. Er bestreitet auch nicht die behördliche Feststellung, dass er keine berufliche Integration aufweisen könne. Dem insgesamt hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes steht somit lediglich der lange inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers gegenüber, der keine eigene Kernfamilie (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) hat. Da von einer entsprechenden Integration im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann, ist die Ansicht der belangten Behörde nicht zu beanstanden, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schwerer wiege als das gegenläufige private Interesse des Beschwerdeführers, zumal er unbestritten die Sprache seines Heimatlandes beherrscht und keine Gründe ersichtlich sind, die ein Leben in seinem Heimatland unmöglich oder unzumutbar erscheinen ließen.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-82217