VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0140

VwGH vom 13.12.2011, 2010/22/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der U, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. E1/1430/6/2010, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass die Beschwerdeführerin erstmals im Jahr 2004 mit einem "von der griechischen Botschaft in Lagos ausgestellten Reisepass sowie einem griechischen Visum" nach Griechenland gereist sei. Im Rahmen einer Polizeikontrolle in Griechenland seien der Reisepass und das griechische Visum überprüft und für echt befunden worden. Am sei die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben nach Österreich gereist und habe dann in einem Bordell gearbeitet. Bei einer Identitätskontrolle sei festgestellt worden, dass der Reisepass gefälscht sei. Dieser sei von einer nicht autorisierten Stelle in Nigeria gegen Entgelt ausgestellt worden. Der Preis für die Beschaffung dieses Reisepasses sei laut Angaben der Beschwerdeführerin bei ca. EUR 3.000,-- bis EUR 4.000,-- gelegen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Beschwerdeführerin berechtigte Zweifel hegen müssen, dass es sich um einen echten nigerianischen Reisepass handle. Das Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin rechtfertige die in § 60 Abs. 2 Z 6 FPG umschriebene Annahme, lasse doch ihr Verhalten deutlich die Neigung erkennen, sich über die maßgeblichen passrechtlichen und fremdenpolizeilichen Normen hinwegzusetzen. Ein Grenzübertritt mit einem gefälschten Reisepass bzw. das Vorbringen unrichtiger Angaben über die Person gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht stelle eine schwerwiegende Übertretung fremdenpolizeilicher Normen dar.

Die Beschwerdeführerin sei ledig. Auf Grund der sehr kurzen Aufenthaltszeit in Österreich werde in ihr "Privat- und Familienleben" nicht eingegriffen. Die Dauer des illegalen Aufenthaltes in Österreich habe ca. drei Monate betragen, der derzeitige Aufenthaltsort sei unbekannt. Sie sei zu keinem Zeitpunkt in Österreich einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Nicht berechtigt ist der Beschwerdeeinwand, die Bezirkshauptmannschaft S sei (in erster Instanz) zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unzuständig gewesen. Gemäß § 6 Abs. 1 FPG richtet sich die örtliche Zuständigkeit im Inland nach dem Hauptwohnsitz im Sinn des § 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Gemäß § 6 Abs. 2 FPG richtet sich die Zuständigkeit nach dem Aufenthalt des Fremden zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz, sofern dieser keinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Nach dem im Verwaltungsakt erliegenden Ausdruck aus dem Zentralen Melderegister war die Beschwerdeführerin vom 25. Februar bis in Wien und in der Folge vom 8. März bis in O (Bezirk S) hauptgemeldet. Die Beschwerdeführerin wurde im Zuge einer "Rotlichtkontrolle" in O am angetroffen und kontrolliert. Somit war die erstinstanzliche Behörde, die das gegenständliche Verfahren zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes am eingeleitet hat, zur Erlassung des am zugestellten Aufenthaltsverbotes zuständig.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG (in der Stammfassung) sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Eine solche Tatsache liegt gemäß Z 6 vor, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen.

Die Beschwerdeführerin verweist darauf, dass "die griechische Botschaft in Lagos den sichergestellten Reisepass für echt befunden" habe und somit begründete Zweifel an der Annahme der S kriminalpolizeilichen Untersuchungsstelle zulässig seien.

Die belangte Behörde stellte fest, dass sich die Beschwerdeführerin in Nigeria einen unechten, nämlich nicht von einer autorisierten Behörde ausgestellten Reisepass beschafft und dafür EUR 3.000,-- bis EUR 4.000,-- bezahlt habe. Diese Feststellung stimmt mit der Aussage der Beschwerdeführerin überein, die sie am nach Aufgriff in einem Bordell getätigt hat. Demnach sei sie im Jahr 2004 von Nigeria über Italien nach Griechenland eingereist. "Der Reisepass mit dem griechischen Visa wurde mir in Lagos von einem Visabüro für ein Entgelt von 3.000,-- bis 4.000,-- Euro ausgestellt." In Griechenland habe sie dann einen weiteren Aufenthaltstitel erhalten.

Damit ist die Annahme der belangten Behörde, dass der Reisepass unecht war, nicht unschlüssig. Dass der in der Folge von den griechischen Behörden ausgestellte Aufenthaltstitel echt und nicht gefälscht ist, wurde allerdings von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen.

Die belangte Behörde warf der Beschwerdeführerin auch nicht vor, dass sie falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht habe.

Eine dem Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG zumindest nahe kommende Sachverhaltskonstellation läge allerdings dann vor und es käme eine Bejahung der Gefährdungsprognose des § 60 Abs. 1 FPG in Betracht, wäre die Beschwerdeführerin nicht nur mit einem unechten Reisepass, sondern auch einem gefälschten Visum nach Griechenland gelangt und hätte auf diese Weise einen weiteren griechischen Aufenthaltstitel erlangt, der ihr die Einreise in Österreich ermöglicht hätte. Ein solches Verhalten dient nämlich dem Zweck, (auch) in Österreich unbehelligt Aufenthalt nehmen zu dürfen (vgl. das Erkenntnis vom , 2008/21/0556, zum Fall der Verwendung eines gefälschten slowenischen Reisepasses und eines slowenischen Führerscheines). In solchen Konstellationen darf ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, auch wenn keiner der Tatbestände des § 60 Abs. 2 FPG erfüllt ist (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2008/21/0556).

Allerdings fehlen zu dieser Beurteilung eindeutige behördliche Feststellungen. Einerseits führt die belangte Behörde am Beginn der Sachverhaltsfeststellungen aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem von der Botschaft ausgestellten griechischen Visum nach Griechenland gekommen. Auch ist dem Verwaltungsakt die kriminalpolizeiliche Feststellung einer Fälschung des Visums nicht zu entnehmen. Andererseits deutet die von der belangten Behörde zitierte Aussage der Beschwerdeführerin über den Erwerb des Reisepasses samt Visum um EUR 3.000,-- bis 4.000,-- "in einem Visabüro" auf die Ausstellung eines unechten Reisepasses mit einem gefälschten Visum hin.

Im fortzusetzenden Verfahren werden daher eindeutige und einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugängliche Feststellungen über die Echtheit oder Fälschung des Visums zu treffen sein, um im zweitgenannten Fall darauf gestützt (nach nunmehriger Rechtslage) die weitere Beurteilung vornehmen zu können.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am