VwGH vom 15.12.2011, 2008/18/0794
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des MM, vertreten durch Dr. Helga Wagner, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Lange Gasse 12/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/275.245/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Aus dem angefochtenen Bescheid geht hervor, dass sich die belangte Behörde als ihre Begründung - neben ihren ergänzenden Ausführungen - auch die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltene Begründung sowie den Inhalt des Urteils des Landesgerichts St. Pölten vom zu eigen gemacht hat. Demnach ergibt sich, dass die belangte Behörde darauf abgestellt hat, der Beschwerdeführer halte sich seit seinem zweiten Lebensjahr in Österreich auf. Er sei im Besitz eines Aufenthaltstitels, habe in Österreich die Schule besucht und eine Lehrausbildung zum Restaurantfachmann abgeschlossen. Seine gesamte Familie - seine Angehörigen verfügten über unbefristete Aufenthaltstitel - lebten in Österreich.
Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Dem sei zugrunde gelegen, dass zwei Angestellte der R Bank in T am gegen 16.05 Uhr das Bankgebäude durch den Hinterausgang hätten verlassen wollen. Als sie ins Freie getreten seien, sei ihnen plötzlich der Beschwerdeführer, der bewaffnet und maskiert gewesen sei, gegenüber gestanden. Der Beschwerdeführer habe sodann beide Bankangestellte mit einer Waffe bedroht. Dabei habe es sich um eine einer echten Faustfeuerwaffe täuschend ähnlich sehende Schreckschusspistole gehandelt. Der Beschwerdeführer habe der Angestellten die Schreckschusspistole derart im Gesicht angesetzt, dass sie diese nicht nur gespürt, sondern dadurch letztlich auch eine Rötung davongetragen habe. Die Angestellte habe sich aber dann durch lautes panisches Schreien zur Wehr gesetzt, worauf der Beschwerdeführer geflüchtet sei. Im Zuge der anschließenden polizeilichen Erhebungen habe der Beschwerdeführer als Täter ausgeforscht werden können. Als Motiv für den versuchten Banküberfall habe er seine finanzielle Notlage ins Treffen geführt. Das Landesgericht St. Pölten habe des Weiteren im Rahmen der Strafbemessung festgestellt und auch als erschwerend gewertet, dass die Tatausführung durch das vorherige Auskundschaften des Tatortes, die Mitnahme einer Waffe und die zur Unkenntlichmachung erfolgte Verwendung dunkler Kleidung und einer Motorradunterziehhaube gekennzeichnet gewesen und insofern die Tatbegehung geplant erfolgt sei.
In Anbetracht der Verurteilung des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Auf Grund des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers könne aber kein Zweifel bestehen, dass auch die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 1 FPG vorlägen.
Der Beschwerdeführer habe neben den bereits oben erwähnten Umständen zu seiner Person vorgebracht, dass er zum Zeitpunkt der Tat "gerade einmal" 20 Jahre alt gewesen sei. Bis dahin sei er strafrechtlich unbescholten gewesen. Der Tatbegehung wäre ein Streit zwischen ihm und seinem Vater vorausgegangen. Er hätte die väterliche Wohnung verlassen, woraufhin er kurzzeitig in finanzielle Probleme geraten wäre. Sohin hätte er sich zu dieser Tat hinreißen lassen. Die Tat wäre aus jugendlichem Leichtsinn begangen worden. Die Mutter des Beschwerdeführers sei vor elf Jahren gestorben. Der Beschwerdeführer sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Er habe auch "über eine regelmäßige Arbeit verfügt".
Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei aber zulässig, weil er zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums Dritter, sohin zum Erreichen eines im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zieles, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, dass er nicht in der Lage bzw. nicht gewillt sei, für ihn maßgebliche Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine positive Zukunftsprognose könne für ihn nicht erstellt werden. Bei der Interessenabwägung sei unter Bedachtnahme auf den bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht (mehr) zukomme, weil die dafür wesentliche soziale Komponente durch seine Straftat erheblich beeinträchtigt worden sei. Sohin seien die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers als gemindert anzusehen. Dem stünden die als hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Verhinderung von Eigentumskriminalität gegenüber. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessenlagen sei zum Ergebnis zu kommen, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
§ 61 Z 3 und Z 4 FPG stünden der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden sei.
Im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers sei aber auch im Rahmen der Ermessensübung nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen. Dies sei im vorliegenden Fall infolge der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens offensichtlich nicht im Sinne des Gesetzes gelegen.
Abschließend legte die belangte Behörde noch dar, weshalb das gegenständliche Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit (unbefristet) festzulegen sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose und bringt dazu vor, die diesbezügliche Beurteilung sei nicht entsprechend der Vorgabe fremdenpolizeilicher Vorschriften vorgenommen worden. Die vom Beschwerdeführer begangene Tat sei nicht durch ein besonderes Maß an Gewalt gekennzeichnet gewesen. Es sei lediglich beim Versuch geblieben; bei der Waffe habe es sich bloß um eine Schreckschusspistole gehandelt. Im Zeitpunkt der Tat sei er "gerade einmal 20 Jahre jung" gewesen. Es handle sich um einen Fall jugendlicher Delinquenz, umso mehr, als sich der Beschwerdeführer in der schwierigen Phase eines jungen Menschen zwischen Beendigung einer Ausbildung und Verselbständigung befunden habe.
Anders als der Beschwerdeführer meint, lässt der angefochtene Bescheid mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die belangte Behörde von der Richtigkeit des bereits in der Berufung erstatteten Vorbringens des Beschwerdeführers zum Sachverhalt ausgegangen ist, dennoch aber eine von ihm ausgehende maßgebliche Gefahr angenommen hat. Der belangten Behörde kann sohin nicht vorgeworfen werden, die vom Beschwerdeführer in der Berufung vorgetragenen Umstände nicht in ihre Überlegungen miteinbezogen zu haben.
Der belangten Behörde ist bei ihrer rechtlichen Beurteilung zwar mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer - den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge jedenfalls seit dem Jahr 1996 - zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt ist, dahingehend ein Fehler unterlaufen, dass sie das Verhalten des Beschwerdeführers nicht am in § 56 FPG enthaltenen Maßstab gemessen hat (vgl. des Näheren zum im FPG enthaltenen System der abgestuften Gefährdungsprognosen und zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 56 FPG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Dies führt aber fallbezogen nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, weil zum einen im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens der (eine Gefährdung im Sinn des § 56 Abs. 1 FPG indizierende) Tatbestand des § 56 Abs. 2 Z 1 erster Fall FPG erfüllt ist. Zum anderen hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel, dass im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten die Annahme gerechtfertigt ist, von ihm gehe eine (gegenwärtige, hinreichend) schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 56 Abs. 1 FPG aus. Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, dass er im Zeitpunkt der Tatbegehung bereits 20 Jahre alt war, sodass von bloß jugendlicher Delinquenz - mag er strafrechtlich auch als junger Erwachsener anzusehen gewesen sein - nicht mehr gesprochen werden kann. Darüber hinaus blieben die Feststellungen der belangten Behörde zur Art der Tatbegehung unbestritten. Der Beschwerdeführer hat zur Verübung der Tat ein planmäßiges Vorgehen an den Tag gelegt. Er hat in der Absicht, seine Straftat zum Erfolg zu führen, vor der Tatbegehung den Tatort ausgekundschaftet und seine Kleidung bewusst dergestalt gewählt, um das Wiedererkennen seiner Person zu verunmöglichen, sowie zur Tatausführung eine einer echten Faustfeuerwaffe täuschend ähnliche Schreckschusspistole benutzt, deren Verwendung - anders als es der Beschwerdeführer vor Augen hat - keineswegs auf eine maßgeblich geringere von ihm ausgehende Gefährlichkeit schließen lässt. Dass es - worauf die Beschwerde abzielt - ihm im Rahmen der Gefährdungsprognose zum Vorteil gereichen solle, dass der Erfolg der Straftat wegen der Gegenwehr der Bankangestellten vereitelt wurde, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehen. Darüber hinaus hat sich der Beschwerdeführer - dem Urteil des Landesgerichts St. Pölten zufolge - im Strafverfahren nicht umfassend geständig verantwortet, sondern versucht, seine Tat durch Ausflüchte in Richtung eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch in einem günstigeren Licht darzustellen. Es vermag aber auch die Tat nicht in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, wenn der Beschwerdeführer darauf hinweist, dass die Straftat letztendlich auf einen Streit mit seinem Vater und die dadurch in der Folge hervorgerufenen finanziellen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers zurückzuführen sei. Es kann sohin im Ergebnis die Beurteilung der belangte Behörde, vom Beschwerdeführer gehe eine maßgebliche Gefahr aus, die es rechtfertige, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Die in der Beschwerde ins Treffen geführten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer nach § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung zur Gänze berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr kann der Verwaltungsgerichtshof aber nicht finden, dass ihr bei der Gewichtung der gegenläufigen Interessenlagen ein Fehler unterlaufen wäre. Die Trennung von seinen Angehörigen sowie die mit der Wiedereingliederung in sein Heimatland verbundenen Schwierigkeiten, auch unter dem in der Beschwerde aufgeworfenen Aspekt, dass der Beschwerdeführer nur über minimale Kenntnisse der Sprache seines Heimatlandes verfüge, hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Wenn sich der Beschwerdeführer gegen die auf unbestimmte Zeit ausgesprochene Dauer des Aufenthaltsverbotes richtet, ist ihm zu entgegnen, dass seinem Vorbringen kein Umstand zu entnehmen ist, weshalb davon ausgegangen werden könnte, eine von ihm ausgehende Gefahr werde bereits nach einer konkret festlegbaren Zeit weggefallen sein. Mit dem Hinweis, er befinde sich derzeit "im gelockerten Vollzug" und seine Familie sei bemüht, ihm zu helfen und ihm beizustehen, vermag er Derartiges im vorliegenden Fall nicht darzulegen. In Anbetracht der Feststellungen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, es könne nicht vorgesehen werden, wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein werden, keinen Bedenken.
Es entspricht aber auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass angesichts der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z 1 FPG) - wie hier vorliegend - eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen ist (vgl. etwa aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0665, mwN).
Da sohin die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-82140