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VwGH vom 26.02.2013, 2010/22/0129

VwGH vom 26.02.2013, 2010/22/0129

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.877/7-III/4/09, betreffend Aufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 iVm § 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt, der in erster Instanz "gemäß §§ 7 und 8 AsylG nicht rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Derzeit sei ein Rechtsmittelverfahren beim Asylgerichtshof anhängig, weshalb der Beschwerdeführer im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen sei.

Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin in Wien geheiratet. Am sei der gemeinsame Sohn in Wien geboren worden.

Parallel zur anhängigen "Berufung" im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer im Rahmen der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau erstmals die Erteilung einer Aufenthaltskarte beantragt. Es sei somit zu berücksichtigen, ob aufgrund einer echten und tatsächlichen Ausübung des Freizügigkeitsrechts in einem anderen Mitgliedstaat durch den Österreicher gemäß § 54 Abs. 1 NAG ein sogenannter "Freizügigkeitssachverhalt" im Sinn der "Unionsbürgerrichtlinie" und der §§ 52 ff NAG vorliege und diese Bestimmungen daher gemäß § 57 NAG auf den Angehörigen eines solchen Österreichers anzuwenden seien.

Laut Melderegister sei der Beschwerdeführer seit durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich, zuletzt seit an einer näher genannten Adresse in Wien, amtlich gemeldet, wo auch seine Ehefrau und sein Kind ab diesem Datum gemeldet seien. Laut "aktuellem Hauptverband" weise er in der Zeit von bis Versicherungszeiten als Asylwerber bei der Gebietskrankenkasse Wien auf, danach bis Ende Mai 2007 insgesamt 15 Meldungen als geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer. Im Zeitraum von bis würden durchgehende Versicherungszeiten als Arbeiter in Wien aufscheinen; zuletzt scheine seit der Bezug von Arbeitslosengeld auf. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei seit ihrer Geburt durchgehend mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet und weise laut "aktuellem Hauptverband" im Zeitraum von bis den Bezug von Kinderbetreuungsgeld auf. Seit seien laufend Versicherungszeiten als Arbeiterin bei einem näher genannten Unternehmen in Niederösterreich verzeichnet.

Im Zuge seiner Antragstellung habe der Beschwerdeführer eine am für ihn ausgestellte "spanische Niederlassungsbewilligung" und eine am auf seine Ehegattin ausgestellte spanische Anmeldebescheinigung vorgelegt, ferner Meldezettel mit dem Anmeldedatum bzw. betreffend ihn und seine Ehefrau, ausgestellt von der Stadtverwaltung Barcelona, sowie zwei auf seine Ehefrau ausgestellte spanische Bestätigungen für den Besuch eines Sprachkurses für die Zeiträume von bis und vom bis .

Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: RL) garantiere Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich für einen Zeitraum von über drei Monaten im Hoheitsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten. In seiner niederschriftlichen Einvernahme zur Frage der Dauer, Art und des Umfangs seines Aufenthalts bzw. jenes seiner Frau in Spanien habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er im April 2008 nach Spanien gereist wäre und sich dort neun Monate aufgehalten hätte. Seine Ehefrau wäre im Dezember 2008 nach Österreich zurückgekehrt und hätte ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen. Nach der schriftlichen Stellungnahme seiner Ehefrau vom hätte diese in Spanien keine Erwerbstätigkeit ausgeübt; das gemeinsame Kind wäre während des Spanienaufenthalts "abwechselnd auch bei der Großmutter verblieben".

Für die belangte Behörde stehe damit fest, dass aufgrund diverser Umstände keine echte und tatsächliche Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch seine Ehefrau vorliege: weil ihr Umzug nach Spanien erfolgt sei, nachdem der Beschwerdeführer erfolglos versucht hätte, den Status eines Asylberechtigten zu erlangen, weil die Aufenthaltsbegründung nicht ernsthaft und tatsächlich erfolgt sei, zumal die Ehegattin durchgehend Kinderbetreuungsgeld bezogen habe und somit der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich sei und engere persönliche und wirtschaftliche Beziehung zu Österreich als zu einem anderen Staat bestünden und ihr Kind durch die Großmutter in Österreich betreut worden sei, sowie aufgrund der durchgehenden Versicherungszeiten des Beschwerdeführers als Arbeiter, ferner aufgrund der durchgehenden Hauptwohnsitzmeldung der gesamten Familie in Österreich parallel zum "reklamierten" Spanienaufenthalt, schließlich weil in Spanien keine Erwerbstätigkeit oder Berufsausbildung aufgenommen worden sei, sowie weil die Ehegattin nach "Innehabung" der spanischen Anmeldebescheinigung nach Österreich zurückgekehrt sei und hier ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen habe. Der Aufenthalt in Spanien sei daher nur zum Schein erfolgt.

Der Beschwerdeführer habe daher nicht dargetan, dass seine Ehegattin ihr Recht auf das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen habe; auch sonst sei weder der Berufung noch dem bekämpften erstinstanzlichen Bescheid noch dem Akteninhalt ein Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme dieses Rechts zu entnehmen. Der Beschwerdeführer sei somit die Ehe mit einer "nicht freizügigkeitsberechtigten" Unionsbürgerin eingegangen und falle daher nicht unter § 54 NAG. Die Ehe mit einer EWR-Bürgerin allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar.

Schließlich verwies die belangte Behörde noch darauf, dass auf den Beschwerdeführer das NAG nicht anwendbar sei, weil ihm eine asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung zukomme.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides am ist für die Beurteilung des Beschwerdefalls das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 maßgeblich.

Zunächst ist für den vorliegenden Fall anzumerken, dass der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides den unbestrittenen Feststellungen zufolge im Besitz einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung war. Die Bestimmungen des NAG sind aber gemäß § 57 iVm § 54 Abs. 1 letzter Satz NAG nur dann nach § 1 Abs. 2 Z 1 leg. cit. auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar, wenn das Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhaltes mit Recht verneint werden kann (vgl. im Übrigen zu einer früheren Rechtslage nach dem NAG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0032).

Diesbezüglich erwähnt die belangte Behörde zwar in ihrer Sachverhaltsdarstellung, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine am für sie ausgestellte spanische Anmeldebescheinigung wie auch Sprachkursbesuchsbestätigungen für die Zeiträume 14. April bis und 1. September bis vorgelegt hat, sowie, dass der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme vom angegeben hat, dass seine Gattin erst im Dezember 2008 nach Österreich zurückgekehrt sei (und hier ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hat), hat es aber - wie die Beschwerde zu Recht rügt - verabsäumt, sich mit diesem Vorbringen nachvollziehbar auseinanderzusetzen, dazu Erhebungen zu pflegen und zu Dauer und Art des Aufenthalts der Ehegattin in Spanien geeignete Feststellungen zu treffen.

Träfe es zu, dass die Ehefrau entsprechend ihren, auch durch die Vorlage von Unterlagen untermauerten, Angaben unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b RL über sieben Monate in Spanien aufhältig war, wie auch in der Berufung nochmals betont wird, wäre wohl von einer tatsächlichen und effektiven Ausübung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts im Sinn der RL durch die Ehefrau des Beschwerdeführers auszugehen, wodurch eine ausreichende Grundlage für die Dokumentation eines unionsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts gemäß § 57 iVm § 54 NAG gegeben gewesen wäre.

Soweit die belangte Behörde, ohne dazu konkrete Feststellungen zu treffen, ihre Verneinung der Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts durch die Ehefrau des Beschwerdeführers darauf stützt, dass diese in Spanien kein Beschäftigungsverhältnis eingegangen wäre, genügt es gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2010/22/0011, zu verweisen, demzufolge § 57 NAG die nachhaltige, somit effektive und tatsächliche, Ausübung jeder unionsrechtlichen Freiheit nach Art. 7 RL umfasst.

Im vorliegenden Verfahren wird nicht behauptet, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien gearbeitet hätte, arbeitssuchend gewesen sei oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, weshalb ausgehend davon der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 lit. a RL nicht eröffnet wäre. Wohl aber könnte allein durch die Wohnungnahme der Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien für die Dauer von mehr als drei Monaten das Recht auf Aufenthalt (für einen Zeitraum von über drei Monaten) gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b RL bei Einhaltung der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zum Tragen kommen, sofern diese in tatsächlicher und effektiver Weise erfolgt ist. Eine neben einer solchen Begründung eines Wohnsitzes ausgeübte Berufstätigkeit oder effektive, nachhaltige und objektiv nicht aussichtslose Arbeitsplatzsuche kann dagegen für eine relevante Ausübung der Freizügigkeit nicht gefordert werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0438).

In rechtlicher Verkennung der Notwendigkeit hat die belangte Behörde weder Feststellungen zur konkreten Dauer des Aufenthalts der Ehefrau des Beschwerdeführers in Spanien, noch zur Frage, ob dieser den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b RL entspricht, demzufolge das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von über drei Monaten besteht, wenn der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt, getroffen bzw. die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht dazu befragt. Dies wäre aber für die Beurteilung der Frage, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers ihre unionsrechtliche Freizügigkeit gemäß § 57 NAG in Anspruch genommen hat und somit dem Beschwerdeführer als ihrem Familienangehörigen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zusteht, erforderlich gewesen.

Die belangte Behörde hat aber auch nicht konkret und nachvollziehbar begründet, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau die genannten spanischen Dokumente nur deswegen für sich hätten ausstellen lassen, um damit - in Missbrauchsabsicht - eine österreichische Berechtigung zu erwirken, ohne tatsächlich eine effektive Inanspruchnahme der Freizügigkeit in Spanien beabsichtigt oder vorgenommen zu haben. Der bloße Hinweis auf teilweise durchgehende Beschäftigungs- und Meldezeiten in Österreich, sowie auf unterstützende Kinderbetreuung durch die Großmutter oder der Bezug von Kinderbetreuungsgeld in Österreich erweisen sich jedenfalls nicht als nachvollziehbare und tragfähige Begründung für die Annahme eines missbräuchlichen Verhaltens. Ebenso wenig kann dem Beschwerdeführer das seit Oktober 2004 andauernde Rechtsmittelverfahren betreffend seinen Asylantrag als missbräuchliches Verhalten ausgelegt werden. Soweit die belangte Behörde schließlich darin ein Indiz für eine nicht effektive Inanspruchnahme der Freizügigkeit erkennen möchte, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nach Ausstellung der genannten spanischen Dokumente wieder nach Österreich zurückgekehrt ist, übersieht sie nicht nur, dass die genannten Dokumente bereits am bzw. am ausgestellt wurden, die Ehefrau des Beschwerdeführers jedoch erst im Dezember 2008 nach Österreich zurückgekehrt ist, sondern ignoriert auch das Vorbringen, dass sie deshalb zurückkehrte, um eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufzunehmen.

Letztlich gleicht der Beschwerdefall vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, "Dereci u.a.", darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0313, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auch auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Erstattung von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil im mit der genannten Verordnung festgesetzten Pauschalsatz Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-82135