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VwGH vom 30.09.2014, 2013/08/0255

VwGH vom 30.09.2014, 2013/08/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde der P GmbH in T, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK- 426196/0002-II/A/3/2011, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. V M in L,

2. Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in 4010 Linz, Gruberstraße 77, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67,

4. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom (der in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten ist) stellte die mitbeteiligte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse fest, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit als Zusteller für die beschwerdeführende Partei in der Zeit vom 1. bis zum als Dienstnehmer der Vollversicherung (Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und der Arbeitslosenversicherung unterliege.

Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom keine Folge gegeben. Der Erstmitbeteiligte habe "anlässlich einer Niederschrift" (eine solche Niederschrift findet sich in den Verwaltungsakten ebenfalls nicht) angegeben, dass er ca. drei Jahre für die beschwerdeführende Partei gearbeitet habe. Er sei stundenweise bezahlt worden und habe Kilometergeld erhalten. In der Abendschicht und an Wochenenden sei er (nur in der Filiale U.) pro Zustellung bezahlt worden. Die notwendigen Warmhaltetaschen samt Warmhalteplatten seien von der beschwerdeführenden Partei beigestellt worden. In den Zustellerbesprechungen seien Dienstpläne je für einen Monate erstellt worden. Hätte ein Dienst nicht angetreten werden können, so hätte die Kassenkraft informiert werden müssen, von welcher eine Vertretung organisiert worden wäre. Ansonsten habe er für seine Vertretung aus einem Zustellerpool (ca. 20 bis 25 Zusteller für die Filiale U.) selbst gesorgt. Eine firmenfremde Person hätte nicht als Vertretung eingesetzt werden können.

Der Erstmitbeteiligte habe sein eigenes Kfz verwendet. Nach dem Muster der in anderen Fällen abgeschlossenen Verträge, die auch für den Erstmitbeteiligten aussagekräftig seien, sei dieser an keinen Standort gebunden gewesen. Er habe sich seine Arbeitszeit frei einteilen können. Sein Haupteinsatzort sei die Filiale U. gewesen. Auf Grund seiner Ortskenntnisse in T. sei er auch dort eingesetzt worden. Die Erstellung der Dienstpläne für einen Monat im Voraus sei hierarchisch in dem Sinn erfolgt, dass die am längsten beschäftigten Zusteller sich ihre Dienste zuerst hätten aussuchen können. Wenn nichts zuzustellen gewesen sei, hätten die Zusteller in der Filiale gewartet und - in Ausnahmefällen - leichte Hilfstätigkeiten durchgeführt. Diese seien aber nicht verpflichtend gewesen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat der Landeshauptmann von Oberösterreich die Ansicht, es liege ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis iSd § 4 Abs. 2 ASVG vor.

In der gegen diesen Einspruchsbescheid erhobenen Berufung brachte die beschwerdeführende Partei vor, es sei kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Der Landeshauptmann von Oberösterreich habe seine Sachverhaltsfeststellungen auf "andere einvernommene Zustellkollegen" des Erstmitbeteiligten gestützt. Um welche Personen es sich dabei handeln soll und was diese Personen ausgesagt hätten, sei dem Einspruchsbescheid nicht zu entnehmen. Ob ordnungsgemäße Vernehmungen (Belehrungen; allenfalls unter Beiziehung von Dolmetschern usw.) durchgeführt worden seien, stehe nicht fest. Die beschwerdeführende Partei habe bereits in einer früheren Stellungnahme zum Beweis dafür, dass der Erstmitbeteiligte nicht als Zusteller für die beschwerdeführende Partei tätig gewesen sei, dessen Einvernahme beantragt. Außerdem habe sie mit demselben Schriftsatz vom die Einvernahme von acht weiteren namentlich genannten Zeugen zu diesem Thema beantragt. Die Filialen in U. und T. seien nicht von der beschwerdeführenden Partei, sondern von einer P. OEG als Franchisenehmer geführt worden. Die beschwerdeführende Partei habe mit dem Betrieb dieser Lokale nichts zu tun. Der Erstmitbeteiligte habe für die beschwerdeführende Partei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine Zustellungen vorgenommen. Selbst wenn in diesem Zeitraum ein Vertragsverhältnis zwischen dem Erstmitbeteiligten und der beschwerdeführenden Partei bestanden haben sollte, werde geltend gemacht, dass es sich in Anbetracht dessen, dass der Erstmitbeteiligte mit eigenen Betriebsmitteln tätig gewesen sei (er habe einen eigenen Pkw verwendet) und ausdrücklich berechtigt gewesen sei, sich geeigneter Vertreter oder Gehilfen zu bedienen, er sich darüber hinaus die Zeiteinteilung selbst vornehmen konnte und keine persönliche Leistungspflicht bestanden habe, lediglich auf Grund eines Werkvertrages tätig gewesen und nicht in einem Dienstverhältnis gestanden sei. Die Berufungsbehörde möge zum Beweis dafür, dass die zwischen dem Erstmitbeteiligten und der P. OEG vereinbarten vertraglichen Regelungen auch im praktischen Betriebsablauf vertragskonform gehandhabt worden seien, insbesondere zu den tatsächlichen Arbeitsabläufen der Zusteller, den Verrechnungsmodalitäten und der sonstigen praktischen Handhabung der vertraglichen Vereinbarungen mit den Zustellern, die Zustellkollegen des Erstmitbeteiligten als Zeugen einvernehmen, wofür auf die bereits namhaft genannten Zeugen verwiesen wurde.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben und den Einspruchsbescheid bestätigt.

Die beschwerdeführende Partei unterhalte an verschiedenen Standorten einen Speisen- und Getränkezustelldienst. Die bei ihr beschäftigten Zusteller seien in verschiedenen Gastgewerbebetrieben nach einem im Voraus erstellten Dienstplan anwesend und würden nach Eingang der Kundenbestellungen die Lieferung der Speisen und Getränke mit dem eigenen Pkw vornehmen. Sie hätten sich grundsätzlich an die einmal getroffene Diensteinteilung zu halten, zu Beginn jeder Schicht am jeweiligen Standort zu erscheinen und sich im EDV-System an- bzw. abzumelden. Warmhaltetaschen, Arbeitskleidung (T-Shirt, Polo bzw. Jacke jeweils mit der Firmenaufschrift), ein Magnetschild mit Firmenaufschrift für den Pkw seien den Zustellern zur Verfügung gestellt worden. Die Entlohnung sei nach einem vereinbarten Stundenhonorar erfolgt. Der Erstmitbeteiligte habe angegeben, dass in den Abendstunden und an Wochenenden auch eine Entlohnung pro Zustellung erfolgt sei.

Anlässlich einer den Zeitraum 2003 bis 2006 umfassenden Lohnsteuerprüfung sei die Prüferin zur Feststellung gelangt, dass die im Prüfungszeitraum als Speisen- und Getränkezusteller ("Pizza-Zusteller") tätigen Personen in einem Dienstverhältnis zur beschwerdeführenden Partei iSd § 47 Abs. 2 EStG 1988 gestanden seien. Das Finanzamt sei den Prüfungsfeststellungen gefolgt und habe der beschwerdeführenden Partei für die Kalenderjahre 2003 bis 2006 mit Bescheiden vom die Lohnsteuer, den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag vorgeschrieben. Unter den betroffenen Beschäftigten sei auch der Erstmitbeteiligte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gewesen. Gegen diese Bescheide habe die beschwerdeführende Partei Berufung erhoben. Der unabhängige Finanzsenat habe dieser Berufung keine Folge gegeben und die Bescheide bestätigt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die beschwerdeführende Partei habe sich in ihrem Einspruch noch als Dienstgeberin gesehen und erst in der Berufung vorgebracht, eigentlich keine Zusteller beschäftigt zu haben. Dieses Vorbringen sei eine reine Schutzbehauptung.

Im Übrigen habe der unabhängige Finanzsenat, Außenstelle Linz, mit der Berufungsentscheidung vom rechtskräftig festgestellt, dass die ausgeübte Tätigkeit der Pizza-Zusteller (unter diesen auch des Erstmitbeteiligten) in ihrer äußeren Erscheinungsform dem "Tatbild" des § 47 Abs. 2 EStG 1988 entspreche und es sich sohin um lohnsteuerpflichtige Dienstnehmer handle. Die belangte Behörde sei gemäß § 38 AVG an die Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates gebunden, weil die Vorfrage der Lohnsteuerpflicht von der zuständigen Behörde als Hauptfrage bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Eine eigene Beurteilung durch die Berufungsbehörde sei nicht mehr zulässig. Gemäß § 4 Abs. 2 letzter Satz ASVG gelte als Dienstnehmer jedenfalls auch, wer gemäß § 47 Abs. 1 iVm Abs. 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom , B 775/2013-5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag der beschwerdeführenden Partei mit Beschluss vom , B 775/2013-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde beantragt die beschwerdeführende Partei, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Auf diese Gegenschrift hat die beschwerdeführende Partei mit ergänzendem Schriftsatz repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde macht geltend, der unabhängigen Finanzsenat sei in der Berufungsentscheidung vom nicht von einer Lohnsteuerpflicht des Erstmitbeteiligten ausgegangen. Vielmehr sei in der Berufungsentscheidung ausdrücklich auf die vom Finanzamt getroffene Feststellung verwiesen worden: "... Für die Lohnsteuerhaftung wurden nur die Entgelte an die Dienstnehmer G. H., L. G. sowie Y. G. herangezogen, ..." Es liege daher keine rechtskräftig entschiedene Vorfrage bezüglich der Lohnsteuerpflicht des Erstmitbeteiligten vor, sodass eine eigene Beurteilung durch die belangte Behörde zulässig gewesen wäre.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Wie der mit den Verwaltungsakten vorgelegten undatierten Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates (Außenstelle Linz) entnommen werden kann, wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen die Bescheide des Finanzamtes Linz vom betreffend die Haftung der beschwerdeführenden Partei für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer gemäß § 82 EStG 1988 sowie Nachforderungen von Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für den Zeitraum bis zwar als unbegründet abgewiesen und der Haftungsausspruch bestätigt. Der Begründung dieses Bescheides ist jedoch zu entnehmen, dass der Erstmitbeteiligte zwar unter den von diesem Verfahren betroffenen Zustellern war und er auch zu jenen gehörte, an die im Zeitraum vom 1. Jänner bis zum von der beschwerdeführenden Partei Beträge ausbezahlt worden sind, dass jedoch für die Lohnsteuerhaftung nur die Entgelte an die auch von der Beschwerde genannten Dienstnehmer herangezogen worden sind, weil bei den übrigen Zustellern auf Grund der geringen Höhe des Entgelts keine Lohnsteuer angefallen war. Für die Lohnsteuerhaftung wurden daher nur die an Gremi H. (EUR 6.762,84), Lagona G. (EUR 1.175,64 und EUR 3.302,85) sowie Yegor G. (EUR 3.899,40) ausbezahlten Beträge, sohin insgesamt EUR 15.140,73 herangezogen. Der Haftungsbescheid gemäß § 82 EStG 1988, auf den sich die belangte Behörde zur Begründung der Lohnsteuerpflicht des Erstmitbeteiligten stützte, bezieht sich daher nicht auch auf den Erstmitbeteiligten, sodass die belangte Behörde zu Unrecht eine Bindung iSd § 38 AVG an den genannten Haftungsbescheid angenommen hat. Vielmehr hätte sie ein eigenes Ermittlungsverfahren führen, die erforderlichen Feststellungen treffen und den festgestellten Sachverhalt einer rechtlichen Beurteilung unterziehen müssen.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf "Altfälle" weiter anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am